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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ohrfeigen

Irre ich mich nicht, stel­len Ohr­fei­gen schon seit Ein­füh­rung des auf­rech­ten Gan­ges ein belieb­tes mul­ti­kul­tu­rel­les Mit­tel der Züch­ti­gung, Zurecht­wei­sung und Krän­kung dar. Schließ­lich sind sie stets auf unser am höch­sten getra­ge­nes Kör­per­teil gemünzt, und da wie­der­um auf unser Gesicht. Und wer wüss­te nicht um die Schan­de, sein Gesicht zu ver­lie­ren – Staats­prä­si­den­ten und hohe Rich­ter wis­sen es beson­ders gut.

Dem­nächst jedoch, mit dem Sie­ges­zug der Zeit (gegen den Raum), dürf­ten die Ohr­fei­gen aus­ge­dient haben. Soge­nann­te Sank­tio­nen oder Droh­nen gegen gan­ze Län­der sind offen­kun­dig ungleich hef­ti­ger, vor allem aber nicht so leicht sicht­bar und nach­weis­bar wie Ohr­fei­gen. Man wird auch die Abc-Schüt­zen nicht mehr ohr­fei­gen, viel­mehr durch ein harm­lo­ses Schild, das unver­mu­tet auf ihrem Note­book erscheint, an ihre Pflich­ten als tüch­ti­ge Kon­su­men­ten, Ver­leum­de­rIn­nen und Nato-Mit­glie­der erin­nern. Falls es dann noch rebel­lisch gestimm­te Schü­le­rIn­nen gibt, wer­den sie ein­an­der von fol­gen­den Vor­fäl­len ins Ohr flüstern.

1915 ohr­feig­te der Schrift­stel­ler Leon­hard Frank in einem Ber­li­ner Café den sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Jour­na­li­sten Felix Stö­ssin­ger, weil die­ser die Ver­sen­kung des bri­ti­schen Pas­sa­gier­schiffs RMS Lusi­ta­nia durch deut­sche U-Boo­te als »größ­te Hel­den­tat der Mensch­heits­ge­schich­te« bezeich­net hat­te. Die Hel­den­tat sorg­te für knapp 1.200 Tote und zudem, nach der Ohr­fei­ge, für Franks Emi­gra­ti­on in die Schweiz. Hät­te er heu­te Scholz oder Baer­bock geohr­feigt, wegen des Aus­ver­kaufs an die Yan­kees und an Kiew? Baer­bock nie­mals, denn damals stand gera­de die Frau­en­eman­zi­pa­ti­on hoch im Kurs.

Mit­te April 1956 pin­kel­te der bekann­te Wie­ner Lite­ra­tur­kri­ti­ker und Autoren­för­de­rer Hans Weigel die noch pro­mi­nen­te­re Burg­thea­ter-Schau­spie­le­rin Käthe Dorsch im ört­li­chen Blatt Bild-Tele­graf wegen ihrer Büh­nen­dar­bie­tung an, wie sie fand. Prompt lau­er­te sie ihm vor sei­nem Stamm­ca­fé Rai­mund auf und hau­te ihm eine run­ter. Die 80 Mark Stra­fe beglich sie locker aus ihrem Näh­käst­chen, falls sie eins hatte.

Ein noch heu­te unter Anti­fa­schi­sten berühm­tes Glanz­licht setz­te Bea­te Klars­feld am 7. Novem­ber 1968 auf einem CDU-Par­tei­tag in Ber­lin. Als der amtie­ren­de Bun­des­kanz­ler Kurt Kie­sin­ger das Podi­um erklom­men hat­te, ging die kämp­fe­ri­sche Jour­na­li­stin zu ihm und ohr­feig­te ihn, weil sie ihn für einen Nazi a.D. hielt und als sol­chen öffent­lich brand­mar­ken woll­te. Noch am sel­ben Tag sah sich Klars­feld durch ein amts­ge­richt­li­ches Schnell­ver­fah­ren zu 12 Mona­ten Haft ver­ur­teilt. Das ent­setz­te damals sogar den Spie­gel (Nr. 46). Immer­hin blieb Klars­feld der Straf­an­tritt auf­grund ihrer fran­zö­si­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit erspart. Ein Jahr dar­auf wur­de die Stra­fe in vier Mona­te auf Bewäh­rung abge­mil­dert. Ob jedoch hart oder mild, es blieb eine Strafe.

Eine Sache ist, dass mir das ewi­ge Gewet­te­re gegen eine Gewalt, die angeb­lich nur aus Arm­mus­keln oder Schuss­waf­fen kommt, seit etli­chen Jahr­zehn­ten auf den Keks geht. Gerichts­be­schlüs­se, Behör­den­be­schei­de, Schlag­zei­len, Gehirn­wä­sche und väter­li­che Sei­ten­blicke haben schon min­de­stens genau­so viel Unheil wie Waf­fen und Fäu­ste ange­rich­tet. Aber für jene »sanf­te« Gewalt gibt es kei­ne Zoll­stöcke, wäh­rend Geweh­re und Ein­schuss­lö­cher wun­der­bar zähl­bar sind. Eine ande­re Sache ist frei­lich, ob man über­haupt stra­fen soll­te. In den Frei­en Repu­bli­ken mei­ner uto­pi­schen Erzäh­lun­gen hat der Irr­glau­be, Stra­fen bes­ser­ten oder schreck­ten ab, so wenig Nähr­bo­den wie der welt­weit belieb­te Rache­durst. Zwang wird besten­falls zwecks vor­über­ge­hen­den Schut­zes der Gemein­schaft gebil­ligt. Wenn ja, ist er durch die unmit­tel­ba­ren Betei­lig­ten aus­zu­üben, und nicht etwa durch eine staat­li­che Züch­tungs­ma­schi­ne­rie. Anson­sten wer­den nicht »Straf­tä­ter« oder gar »poten­ti­el­le« Straf­tä­ter, viel­mehr Nähr­bö­den bekämpft – bei­spiels­wei­se für ras­si­sti­sches Gedan­ken­gut, Hab­gier, Hoch­mut. Hier gehört selbst­ver­ständ­lich auch das Gift des Patrio­tis­mus hin. In ihrer nach­ge­las­se­nen Schrift Ein­füh­rung in die Natio­nal­öko­no­mie erwähnt Rosa Luxem­burg die Sit­te, bei Flur­um­gän­gen in der ger­ma­ni­schen Mark Kin­dern Ohr­fei­gen zu ver­ab­rei­chen. Hat­ten die etwa auch schon Schul­aus­flü­ge? In gewis­ser Wei­se ja. Die Kin­der und Jugend­li­chen hat­ten teil­zu­neh­men, um sich die Grenz­ver­läu­fe und wohl auch die Ritua­le gut ein­zu­prä­gen. Die Ohr­fei­gen wirk­ten wie Stem­pel. Man denkt hier unwei­ger­lich an man­che india­ni­schen Initia­ti­ons­ri­ten, die sicher­lich oft grau­en­haft waren. Das Mot­to lau­te­te »Gebrann­tes Kind scheut das Feuer«.

Bekannt­lich wur­den Luxem­burg und Lieb­knecht im Janu­ar 1919 heim­tückisch von den dama­li­gen Ber­li­ner »Sicher­heits­kräf­ten« ermor­det. Weder deren Anfüh­rer Wal­de­mar Pabst, ein Haupt­mann, noch des­sen sehr wahr­schein­li­cher Anstif­ter Gustav Noske, SPD-Mit­glied und Reichs­kriegs­mi­ni­ster, wur­den jemals von der demo­kra­ti­schen oder faschi­sti­schen Justiz behel­ligt. Für Pabst, der erst 1970 mit knapp 90 starb, war der Dop­pel­mord zeit­le­bens eine unum­gäng­li­che »Hin­rich­tung« gewe­sen. In der west­deut­schen Demo­kra­tie wid­me­te er sich vor allem dem Waf­fen­han­del. Am 8. Febru­ar 1962 sprach ihn die Ade­nau­er­re­gie­rung inso­fern nach­träg­lich frei, als sie im Bul­le­tin des Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­am­tes ver­lau­ten ließ, was Lieb­knecht und Luxem­burg damals wider­fuhr, sei eine »stand­recht­li­che Erschie­ßung« gewe­sen. Haupt­mann Pabst bestrei­te sei­ne Ver­ant­wor­tung nicht, ver­si­che­re jedoch, er habe in höch­ster Not und in der Über­zeu­gung gehan­delt, nur so habe man den Bür­ger­krieg been­den und Deutsch­land vor dem Kom­mu­nis­mus ret­ten kön­nen. Die­ses »Argu­ment« mau­ser­te sich bald zum belieb­ten Muster. Unse­re jüng­sten Impft­o­ten hal­fen ja gleich­falls höch­ste Not abwenden.

Selbst­ver­ständ­lich wäre es ein­fäl­tig, Leu­te wie Noske, Spahn, Baer­bock bes­sern zu wol­len. In Freie Repu­bli­ken kom­men die neben­bei gar nicht erst rein. Auch hin­dert kei­ne Abschreckung der Welt die nach­drän­gen­den Kar­rie­ri­sten dar­an, die neu­sten Schlupf­lö­cher zu den Fut­ter­trö­gen der Macht auf­zu­spü­ren. Was das Krank­ma­chen­de an der Straf­lo­sig­keit unse­rer Eli­ten ist, muss man wohl Gerech­tig­keits­emp­fin­den nen­nen. Es macht nicht Noske, Spahn oder Baer­bock krank, son­dern Leu­te wie mich. Als wäre unse­re gleich­sam natür­li­che Ohn­macht (die wir der Kin­der­stu­be oder der fal­schen Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit ver­dan­ken) nicht schon genug des Gebre­chens – und der Stra­fe. Wahr­schein­lich wird uns unser Gerech­tig­keits­emp­fin­den auch noch ohr­fei­gen, wenn alles online läuft.