Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Poesie statt Pose

Wie kriegt man einen Kaf­fee aus der Kiste? Vie­le Pik­to­gram­me und kei­ne Knöp­fe. Gut, wenn einer 90 ist, ist das Unver­ständ­nis groß. Aber doch nicht, wenn man Erich John heißt und bei­spiels­wei­se die Welt­zeit­uhr auf dem Ber­li­ner Alex­an­der­platz gebaut und die Eri­ka, die berühm­te Rei­se­schreib­ma­schi­ne, ent­wor­fen hat. Ach, sagt John, Alt­sein ist doof, und ver­sucht sich an der Sei­te der Gerät­schaft. Aber da sind nur Deckel für Papp­be­cher, kei­ne Tas­sen. Wo soll man drücken, was kommt wo raus, wie stellt man das Gefäß rein, das man gar nicht hat? – Ach, Pro­fes­sor, sage ich, erst drück­ste da, dann dort, dann schau­ste zu, wie sich der Bal­ken auf dem Dis­play bewegt, und dann …

Was ist das für ein unprak­ti­sches Design, wenn man erst einen Lehr­gang besu­chen muss, um einen Espres­so zu kriegen?

Unse­re Begeg­nung ist zufäl­lig, der Ort kei­nes­wegs. John wur­de zum Tag der Offe­nen Tür ein­ge­la­den, ich auch. John stu­dier­te hier in den fünf­zi­ger Jah­ren, 1958 gehör­te er zum ersten Jahr­gang, der an der Hoch­schu­le für Bil­den­de und Ange­wand­te Kunst Ber­lin-Wei­ßen­see das Diplom erhielt. Seit 1965 lehr­te er selbst, und 27 Jah­re spä­ter warf er den Bet­tel hin. Er soll­te – wie die ande­ren Pro­fes­so­ren auch – zwei Men­to­ren aus dem Westen bei­brin­gen, die ihm die Lehr­be­fä­hi­gung kon­ze­dier­ten. Seit 1982 übte John auch eine Gast­pro­fes­sur an der Ohio Sta­te Uni­ver­si­ty in den USA aus, aber das genüg­te nicht als Zer­ti­fi­kat. Sein Sohn hat­te nach der »Wen­de« in Alten­trep­tow bei Neu­bran­den­burg eine Tisch­le­rei erwor­ben. Da stieg Erich John mit 62 ein und rea­li­sier­te Ent­wür­fe für Innen­aus­stat­tun­gen, ehe er nach drei Jah­ren in Alters­ren­te ging.

Das erzählt John alters­wei­se und poin­tiert in der Aula, die sich im Flü­gel befin­det, den der Archi­tekt Sel­man Sel­ma­na­gić ent­warf. Der Bos­ni­er aus Sre­bre­ni­ca stu­dier­te am Bau­haus in Des­sau und bekam 1932 das Diplom Nr. 100, unter­schrie­ben von Mies van der Rohe. In Ber­lin lehr­te der Bau­häus­ler von 1950 bis 1970 Archi­tek­tur an eben jener Schu­le, die heu­te Kunst­hoch­schu­le Ber­lin-Wei­ßen­see heißt (offi­zi­ell: wei­ßen­see kunst­hoch­schu­le ber­lin) und an die neun­hun­dert Stu­die­ren­de zählt.

Und eben die­se Ein­rich­tung öff­ne­te am zwei­ten Wochen­en­de im Juli ihre Pfor­ten. Zum ersten Mal nach zwei Pan­de­mie­jah­ren durf­ten Neu­gie­ri­ge sich auf einen Rund­gang bege­ben und Ate­liers, Werk­stät­ten und Abschluss­ar­bei­ten besich­ti­gen. Oder eben in der Aula unter schlich­ten Kron­leuch­tern und zwi­schen Holz­wän­den aus den Werk­stät­ten in Hel­ler­au dem Gespräch zwi­schen dem ein­sti­gen Gestal­ter Erich John und Gün­ter Höh­ne bei­woh­nen. Höh­ne, in den acht­zi­ger Jah­ren Chef­re­dak­teur der Design-Fach­zeit­schrift der DDR form+zweck, sam­mel­te nach dem Unter­gang des Lan­des die Nach­läs­se von Form- und Indu­strie­ge­stal­tern, stell­te sie ver­schie­de­nen Muse­en zur Ver­fü­gung und publi­zier­te dar­über (zuletzt einen Gesprächs­band mit Mar­tin Kelm*, der als Staats­se­kre­tär so etwas wie der Design-Papst der DDR war). Wenn inzwi­schen das DDR-Design auch im Rest des Vater­lan­des zu dem ihm gebüh­ren­den Anse­hen gelang­te, so ist das zu gro­ßen Tei­len eben jenem Höh­ne zuzu­schrei­ben; er ist ver­mut­lich der beste Ken­ner der Design-Geschich­te des Landes.

Des­sen war sich wohl auch Ange­li­ka Rich­ter bewusst, die seit einem reich­li­chen Jahr Rek­to­rin der Ein­rich­tung ist: Sie hat­te näm­lich Höh­ne und John zum Künst­ler­ge­spräch gebe­ten. Die in den sieb­zi­ger Jah­ren in Dres­den gebo­re­ne Kunst­hi­sto­ri­ke­rin kommt nicht aus dem aka­de­mi­schen Betrieb und nicht aus dem Westen, arbei­te­te zuvor als Kura­to­rin und Kunst­wis­sen­schaft­le­rin im In- und im Aus­land und fei­er­te bei der dies­jäh­ri­gen Prä­sen­ta­ti­on ihre Pre­mie­re als Gastgeberin.

Dem Gespräch in der gefüll­ten Aula wohn­ten auch vie­le frü­he­re Leh­rer und Stu­den­ten, nun­mehr oft bekann­te Künst­ler, bei. Es mach­te deut­lich, dass sich die Rek­to­rin des 1946 gegrün­de­ten Hau­ses bewusst ist, auf wes­sen Schul­tern sie steht. Was sie durch­aus mit Dank­bar­keit und Stolz quit­tier­te. Zur Spra­che kam auch, dass ost­deut­scher Behaup­tungs­wil­le sich in den neun­zi­ger Jah­ren den Plä­nen erfolg­reich wider­setz­te, die Schu­le der in Char­lot­ten­burg ansäs­si­gen Hoch­schu­le der Kün­ste Ber­lin (seit 2001 Uni­ver­si­tät der Kün­ste) anzu­schlie­ßen, was gewiss ihre Beer­di­gung bedeu­tet hät­te. Das Selbst­be­wusst­sein pflanzt sich erkenn­bar fort.

Den Vor­raum zur Aula schmückt ein Wand­bild von Arno Mohr, das den bezie­hungs­rei­chen Titel »Wen­de­punkt« trägt. Es atmet den Zeit­geist jenes schwe­ren Auf­bruchs nach dem Krieg. Zwi­schen den schuf­ten­den Land­ar­bei­tern, Häu­ser­bau­ern und sor­gen­voll in die Zukunft Schau­en­den steht nicht nur ein Maler an der Staf­fe­lei – ver­mut­lich der Künst­ler selbst –, son­dern auch ein bekann­ter Mann mit Rau­sche­bart als Signal­ge­ber. Vom Opti­mis­mus, den Jah­re spä­ter Wal­ter Womacka – von 1968 bis 1988 Rek­tor in Wei­ßen­see – auf sei­ner »Bauch­bin­de« am Haus des Leh­rers unweit von Johns Welt­zeit­uhr ver­brei­te­te, ist auf Mohrs Wand­bild nichts zu erken­nen. Aber Marx ist da, und da bleibt er auch. Und das ist auch gut so.

Im glei­chen Flü­gel gibt es noch ein zwei­tes Wand­bild im Trep­pen­haus. Es zeigt, zwi­schen zwei Ein­gangs­tü­ren ein­ge­klemmt, einen Fische­rei­ha­fen und stammt vom dama­li­gen Dozen­ten Kurt Rob­bel. Dem ver­dank­te Kol­le­ge Womacka die Anre­gung, sei­ne kon­struk­tiv-kom­po­si­to­ri­schen Ansät­ze wei­ter zu ver­fol­gen. Ach, irgend­wie waren die DDR-Künst­ler wie eine Fami­lie, in der man sich wech­sel­sei­tig anreg­te, befruch­te­te und bis­wei­len stritt und sich auch fetz­te, wie es in jeder Fami­lie auch pas­siert. Und die Schu­le in Wei­ßen­see war ein guter, krea­ti­ver Ort, wo sol­ches mög­lich war.

John erwähn­te wie­der­holt sei­nen Leh­rer Rudi Hög­ner, der maß­geb­lich das Indu­strie­de­sign der DDR begrün­de­te, indem er die erste Gene­ra­ti­on indu­stri­el­ler Form­ge­stal­ter nicht nur aus­bil­de­te, son­dern präg­te. (Als er 1972 eme­ri­tiert wur­de, über­nahm John sei­nen Platz am Pult, und Hög­ner konn­te wie­der selbst gestal­ten; von ihm stam­men zum Bei­spiel die Ent­wür­fe der DDR-Mün­zen, im Volks­mund »Alu-Chips« genannt.) Hög­ner lehr­te die jun­gen Leu­te, dass es auch bei der Gestal­tung von Indu­strie­gü­tern auf Poe­sie und nicht auf Pose ankä­me. Man müs­se sowohl an die Ver­brau­cher wie auch an die Pro­du­zen­ten den­ken, damit die­se bei Her­stel­lung und Ein­satz nicht mehr Res­sour­cen ver­brauch­ten als unbe­dingt nötig. Pose sei was für den Pro­fit, mehr Schein als Sein. Das sei­en kei­ne Kri­te­ri­en für die Waren­pro­duk­ti­on in der DDR. Wohl aber Nach­hal­tig­keit – die damals noch nicht so hieß. Die DDR hat­te oft nur Stroh, und aus dem muss­te Gold gespon­nen wer­den. Dazu brauch­te es des Ver­stan­des und der Ver­nunft. Klaus Staeck hat­te wohl doch Recht mit sei­ner iro­ni­schen The­se: Nur die Armut gebiert Großes!

Höh­ne nutz­te das Podi­um für einen Appell. Es sei mehr als an der Zeit, ein Deut­sches Design­mu­se­um zu grün­den. Und dann zähl­te er auf, wel­che Ein­rich­tun­gen in den letz­ten Jah­ren zugrun­de gegan­gen waren oder auf­grund redu­zier­ter öffent­li­cher Unter­stüt­zung ein unbe­ach­te­tes Dasein in der Nische füh­ren. Er nann­te die 1950 an der Hoch­schu­le von des­sen Rek­tor Mart Stam – hol­län­di­scher Bau­häus­ler und Erfin­der des berühm­ten »Frei­schwin­gers«, des Stuhls ohne Füße – begrün­de­te »Samm­lung Indu­stri­el­le Gestal­tung«. Sie wur­de, so Höh­ne, nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung hin und her gescho­ben, Ende 2005 ging sie als Schen­kung an das Bon­ner Haus der Geschich­te. »Nach der Ver­ein­nah­mung« wur­de es von die­sem »not­ge­drun­gen und not­dürf­tig mit­ver­wal­tet«. Die­ser ein­zig­ar­ti­ge Schatz ding­li­cher deut­scher (nicht nur ost­deut­scher!) Design-Geschich­te wer­de, so Höh­nes Kla­ge, »vor­wie­gend als Arse­nal genutzt für ideo­lo­gi­sche Haus-Aus­stel­lun­gen zur vor­geb­lich histo­risch-wis­sen­schaft­li­chen ›Auf­ar­bei­tung der SED-Dik­ta­tur‹«. Und fast ent­schul­dig­te er sich für die­ses offe­ne Wort am Tag der Offe­nen Tür in Wei­ßen­see. Aber er fand damit offe­ne Ohren, wie der Applaus zumin­dest in der Aula bewies.

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber soll noch erwähnt wer­den, dass das Ange­bot der Kunst­hoch­schu­le ange­nom­men wur­de. In den Gän­gen und Werk­stät­ten, in den Ate­liers und Aus­stel­lungs­räu­men, auf allen Ebe­nen und zwi­schen den Gebäu­den dräng­te sich viel jun­ges Volk. Auf den grü­nen Flä­chen zwi­schen den Gebäu­den jag­ten die Kin­der den Bäl­len nach, wan­den sich Schlan­gen vor den Tank­stel­len und folg­ten brav Hun­de an der Lei­ne, Volks­fest also in Wei­ßen­see, mit beträcht­li­chem Aus­län­der­an­teil. Eng­lisch schien die am häu­fig­sten gepfleg­te Umgangs­spra­che, auch die gedruck­ten Erklä­run­gen für die ver­schie­de­nen Objek­te waren meist zwei­spra­chig. Es gab viel Mode zu sehen – auf zwei Bei­nen oder an Mode­pup­pen –, es gab Mal­wer­ke und Pla­sti­ken, Bei­spie­le für visu­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on sowie Tex­til- und Flä­chen-Design, Büh­nen- und Kostüm­bil­der und der­glei­chen mehr. Nach mei­nem Geschmack mit­un­ter zu viel Pose statt Poe­sie, aber wer will es den Stu­die­ren­den vor­wer­fen? Son­nen­schir­me, die sich bei star­kem Licht­ein­fall selbst ent­fal­ten, »extra­ter­re­stri­sches Bau­en« (auf dem Mond), Objek­te für den Bahn­hof (»Platt­form: Play­ground«), die »den Bahn­steig zu einem leben­di­gen, inklu­si­ven Ort (machen), an wel­chem alle Men­schen, ins­be­son­de­re Kin­der, ent­spannt und wahr­ge­nom­men kür­zer auf ihre Bahn warten« …

Zuge­ben, der Ein­druck ist ober­fläch­lich, damit das Urteil unge­recht. Aber mir scheint, dass, anders als zu DDR-Zei­ten, mit­un­ter die Ver­bin­dung zu den Adres­sa­ten, zu den Abneh­mern, poten­ti­el­len Auf­trag­ge­bern und Pro­du­zen­ten fehlt. Nicht weni­ge, so war zu hören, gehen nach der Schu­le gleich in die Arbeits­lo­sig­keit. Da waren Absol­ven­ten wie Erich John bes­ser dran: Bereits ihre Stu­den­ten-Arbei­ten wur­den sofort pro­du­ziert – Kame­ras, Krä­ne, Fern­se­her, Geschirr. Sie hat­ten eine kla­re Per­spek­ti­ve. Selbst­iro­ni­scher Kom­men­tar in der Kera­mik­werk­statt auf einem Zet­tel an der Wand: »Oh, du stu­dierst Kunst? – Was machst du dann den gan­zen Tag?« Und wovon wirst du leben?

Johns Welt­zeit­uhr übri­gens, die seit 2015 unter Denk­mal­schutz steht und für die er 2021 das Bun­des­ver­dienst­kreuz am Ban­de erhielt, erfuhr nach der »Wen­de« eini­ge Kor­rek­tu­ren. Aus Bra­tis­la­va wur­de Press­burg und aus Lenin­grad St. Peters­burg. Tel Aviv und Jeru­sa­lem wur­den hin­zu­ge­fügt. Wie das halt so ist mit dem Zeit­geist. Und dem Umgang mit dem Urhe­ber­recht von Kunstwerken.

* Gün­ter Höh­ne: Design Made in GDR. Der Form­ge­stal­ter Mar­tin Kelm im Gespräch, Das Neue Ber­lin, Ber­lin 2021, 256 S., 16 €.