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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Sezierte Innerlichkeit

Die Schwar­ze Botin ist in den sieb­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts nicht zu mir gekom­men. Es hät­te auch nicht genützt: Ich war längst ver­hei­ra­tet – mit einem Mann. Die Schwar­ze Botin, neben Emma und Cou­ra­ge die drit­te femi­ni­sti­sche Zeit­schrift, ganz anders, aber weni­ger bekannt. Sie woll­te kei­ne Strei­chel­ein­hei­ten für sich unter­drückt füh­len­de Frau­en lie­fern, son­dern auf­ru­fen zum Den­ken. Und zur Kri­tik an dem Selbst­fin­dungs­fe­mi­nis­mus, dar­an, was sich hin­ter dem Begriff »Neue Weib­lich­keit« ver­barg: die Ableh­nung von Ratio­na­li­tät als männ­lich und die Fixie­rung auf das »weib­li­che Fühlen«.

War­um gera­de jetzt die Rück­be­sin­nung auf die sich der Sati­re ver­pflich­te­te Zeit­schrift der Frau­en­be­we­gung? Wer trifft sich bei den Quer­den­ker-Demos so alles: Eso­te­ri­ke­rin­nen, Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­rin­nen, Irra­tio­na­li­stin­nen, Anti­se­mi­tin­nen, Iden­ti­tä­rin­nen, Mut­ter­schafts­an­be­te­rin­nen, Reichs­bür­ge­rin­nen, neue (alte) Deut­schin­nen, Hexen. Was tun? Das, was die Schwar­ze Botin in den sieb­zi­ger Jah­ren ver­such­te: die Femi­ni­stin­nen auf­zu­rüt­teln, sich aus dem Gestrüpp der Inner­lich­keit zu befrei­en, unab­hän­gig zu wer­den (nicht nur von den Män­nern) – heu­te gilt es immer noch.

Der Wall­stein Ver­lag ent­schloss sich zu einer Doku­men­ta­ti­on die­ser auf­re­gend pro­vo­zie­ren­den Zeit­schrift, her­aus­ge­ge­ben von dem Histo­ri­ker Vojin Saŝa Vuka­di­no­vić, der auch die 43 Sei­ten lan­ge Ein­lei­tung schrieb. Dazu ein lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­ches Nach­wort von Chri­stia­ne Kett­ler und Magnus Klaue sowie Bil­der­strecken von Sarah Schu­mann und Eli­sa­beth Kmöl­ni­ger. Ein Pla­kat der Schwar­zen Botin für die Frank­fur­ter Buch­mes­se: ein Nas­horn, dane­ben ein mensch­li­ches Ske­lett, das sich in der Geste der Melan­cho­lie auf das Tier stützt – Gabrie­le Goett­le schuf die Col­la­ge. Wer­bung für eine femi­ni­sti­sche Zeit­schrift? Aber sie weckt Neu­gier. Das Titel­bild ist einem Fres­ken-Zyklus von Pie­ro del­la Fran­ce­s­ca ent­lehnt: drei streng blicken­de Damen.

Die Schwar­ze Botin – das war ein Freun­din­nen­paar, Gabrie­le Goett­le und Bri­git­te Clas­sen. Sie nann­ten ihr Peri­odi­kum, unter­trei­bend oder eli­tär »Eine Zeit­schrift für die Wenig­sten«. Sie exi­stier­te von Okto­ber 1976 bis 1980. Die Infor­ma­tio­nen, pole­misch-miss­ver­ständ­lich, lau­te­ten etwa: »Im Janu­ar sol­len 200.000 Frau­en pene­triert wer­den.« Damit war die geplan­te Auf­la­gen­hö­he der Emma gemeint, die sich gera­de grün­de­te und von dem Con­stan­ze-Ver­le­ger Hans Huffz­ky unter­stützt wur­de. Jene Emma, die von Ali­ce Schwar­zer gelei­tet wird, die mit der Zeit geht und im letz­ten Som­mer gar ein Pflicht­jahr auch für Frau­en in der Bun­des­wehr vor­schlug. Unter dem Vor­satz: »Emma bleibt mutig.« So weit wäre es mit der Schwar­zen Botin nie gekom­men. Eman­zi­pa­ti­on der Frau? So nicht. 1980 erschien das letz­te Heft der Botin. Für das, was dann kam, war sie zu eigensinnig.

Ein ande­res femi­ni­sti­sches Blatt war die Cou­ra­ge, die etwa gleich­zei­tig erschien – die Botin sah dar­in »gei­sti­ge Schon­kost«, eine Zeit­schrift, »die es den aller­mei­sten recht machen will«, so Sil­via Boven­schen in einem Lese­rin­nen­brief an die Cou­ra­ge. All jene, die in die­sem woh­lig-kusche­li­gen Gefühl ver­san­ken, wie es Karin Struck mit ihrem Mut­ter-Roman aus­lö­ste. Kri­tik konn­te sie abso­lut nicht ver­tra­gen. Ich erleb­te es mit, wie sie dar­auf mit dem geziel­ten Wurf eines vol­len Bier­gla­ses ant­wor­te­te im Ham­bur­ger Lite­ra­tur­zen­trum. Sie mach­te sich nass dabei. Struck wur­de von der Botin so wenig geschont wie Vere­na Ste­fan mit ihrem Selbst­fin­dungs-Roman »Häu­tun­gen«, das Vor­bild für zahl­rei­che Bewunderinnen.

Gleich in der ersten Num­mer schrieb Gabrie­le Goett­le ein Vor­wort. »Die Schwar­ze Botin ver­steht sich als Sati­ri­ke­rin, damit ist sie unver­söhn­lich mit dem jewei­li­gen Objekt ihrer Sati­re: Humor geht ihr voll­kom­men ab. Sie ver­sieht die Sati­re als Tech­nik zur Ent­lar­vung des fal­schen und schäd­li­chen Den­kens.« Und was setzt sie vor­aus? »Dass die Lese­rin­nen nicht in der Lage sind, Spaß zu ver­ste­hen, son­dern Ernst zu machen.« Ein Mani­fest? »Die Schwar­ze Botin wird viel­leicht anfäng­lich schwer zu ver­ste­hen sein, aber noch schwe­rer miss­zu­ver­ste­hen.« Und dar­auf kam es an. Mit ande­ren Frau­en­zei­tun­gen woll­te sie nicht kon­kur­rie­ren. Und die­se ande­ren haben sie oft falsch – oder aber sehr gut ver­stan­den. Nicht nur mit Femi­ni­stin­nen, auch mit weib­li­chen Lin­ken gab es bald Zoff. Klaus Rai­ner Röhl, Ulri­ke Mein­hofs ein­sti­ger Ehe­mann, nann­te die Schwar­ze Botin das Organ des – wie er glaub­te – in West-Ber­lin wüten­den »Femi-Faschis­mus«. Über Ulri­ke hat­te Goett­le einen schar­fen beklem­men­den Text geschrie­ben, der atem­los macht, nicht nur wegen der Beschrei­bung ihrer Obduk­ti­on durch zwei Gerichts­me­di­zi­ner, einer davon, Hans Joa­chim Mal­lach, war SS-Mit­glied. Der Arti­kel in der ersten Num­mer im Okto­ber 1976 endet mit einem lan­gen Zitat von Susan Sonn­tag über Faschis­mus, der als »die nor­ma­le Natur des moder­nen Staats­we­sens« ver­stan­den wird. Zur Aus­strah­lung und Rezep­ti­on der Holo­caust-Serie im Fern­se­hen mach­te Goett­le »Anmer­kun­gen«, die wegen des popu­lä­ren Medi­ums aus den USA kri­tisch aus­fal­len. Die Deut­schen hät­ten sich vor­her schon ihre Auf­klä­rung holen kön­nen – haben sie aber nicht.

Zu den Autorin­nen, die sich nicht nur auf die femi­ni­sti­sche Per­spek­ti­ve beschränk­ten, gehör­ten Elfrie­de Jeli­nek (herr­lich: die Unter­su­chun­gen zu Udo Jür­gens Lied­tex­ten und die ver­rück­te Kurz­ge­schich­te einer vom Rus­sen ver­ge­wal­tig­te »Emma« – kei­ne Femi­ni­stin). Das Mär­chen von der Klu­gen Else, von Ger­burg Treusch-Die­ter völ­lig aus­ein­an­der­ge­nom­men und anders zusam­men­ge­setzt. Gise­la Els­ner über deut­sche Tou­ri­sten in Afri­kas Son­ne, fleisch­li­che »Schat­ten­spen­der« bezah­lend. Gise­la von Wysocki schreibt über Uni­ca Zürn so ein­fühl­sam, als sei es ihr eige­nes Leben. Rita Bischof kri­ti­siert das, was als »weib­li­che Spra­che« miss­ver­stan­den wird. Ursu­la Kre­chel ent­deckt, was die Gün­dero­de wol­len soll.

Zur Lyrik in den Hef­ten: Gleich zur Ein­lei­tung ein »Gedicht mit Per­spek­ti­ve« von Gabrie­le Goett­le. Weg­wei­send die Zei­len: »Das Unvor­stell­ba­re ist nicht das Unmög­li­che, /​ aber das Vor­stell­ba­re ist das Unmög­li­che.« In Hei­di Pata­kis »Pra­xis« putzt Imma­nu­el Kant die Fen­ster und fragt sich: »stehn die klop­se schon am feu­er?« Im Schluss­vers schlägt sich eine Emma »im stil­len stüb­chen schrei­bend« mit dem a prio­ri rum und wägt »gemäch­lich gut und böse in des men­schen see­le« ab.

Über vier­zig Jah­re sind seit der letz­ten Num­mer der Schwar­zen Botin ver­gan­gen, und es gibt nichts Ver­gleich­ba­res mehr. Wer in der Antho­lo­gie blät­tert, wird immer wie­der Ent­deckun­gen machen.

Die Schwar­ze Botin. Ästhe­tik, Kri­tik, Pole­mik, Sati­re, 1976-1980. Hg. von Vojin Saŝa Vuka­di­no­vić. Wall­stein Ver­lag, 512 Sei­ten, 36 €.