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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Vaterland, arg dezimiert

»Lieb’ Vater­land, magst ruhig sein, /​ Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!« Text­si­cher sang die Enke­lin alle Stro­phen von »Die Wacht am Rhein«, die­sem »deut­schen Volks- und Sol­da­ten­lied« aus dem Jahr 1854, noch heu­te ober­halb von Rüdes­heim im Rhein­gau den Sockel schmückend, von dem aus Ger­ma­nia monu­men­tal ihr Schwert nach Westen erhebt, in Rich­tung des Erb­fein­des. Der Groß­va­ter, der dem Mäd­chen gera­de die Haa­re schnitt, fiel aus allen Wol­ken. Ab da war es mit dem beschau­li­chen, zufrie­de­nen Leben des Fri­seur­mei­sters vor­bei. Das Ver­trau­en in sei­nen Sohn und des­sen Recht­schaf­fen­heit schwin­det rapi­de, und bit­ter wird die Erkennt­nis, dass sich im »Toten Win­kel« der Fami­lie, dort wo man nicht so genau hin­schaut und nichts hin­ter­fragt, Rechts­ter­ro­ris­mus breit­ge­macht hat. Der NSU stand Pate.

Die­ser sehens­wer­te, kom­pro­miss­lo­se, span­nen­de Fern­seh­film in dra­sti­schen Bil­dern des Regis­seurs Ste­phan Lacant aus dem Jahr 2017 wur­de am 13. Mai im »Ersten« gesen­det, immer­hin um 20.15 Uhr.

Vater­land! Zufäl­lig hat­te ich an jenem Tag das »Spruch­wör­ter­buch« zur Hand, eine Samm­lung deut­scher und frem­der Sinn­sprü­che, Wahl­sprü­che, Inschrif­ten, Grab­sprü­che, Sprich­wör­ter, Apho­ris­men, Epi­gram­me – 1069 klein­be­druck­te Sei­ten umfas­send. Der Her­aus­ge­ber Franz Frei­herr von Lip­per­hei­de, hat das Erschei­nen der Ori­gi­nal­aus­ga­be im Jah­re 1907 nicht mehr erlebt.

Ich schla­ge »Vater­land« auf. Zehn Spal­ten füh­ren auf über fünf Sei­ten das Stich­wort in 7 Punkt klei­ner Schrift, bis zu »Vater­lands­wohl«, »ober­stes Gesetz und höch­ste Richt­schnur für alle Par­tei­en« (von Bismarck).

Dann grei­fe ich zu den »Geflü­gel­ten Wor­ten«, 1980 im VEB Biblio­gra­phi­sches Insti­tut Leip­zig erschie­nen. Gan­ze 15 Zita­te sind zu fin­den, inklu­si­ve »Vater­län­di­scher Krieg« und »Vater­lands­lo­se Gesellen«.

Und was sagt das Pen­dant, die »Geflü­gel­ten Wor­te« des Georg Büch­mann, die­ser »Zita­ten­schatz des deut­schen Vol­kes«, erst­mals 1864 erschie­nen? Mei­ne 33. Auf­la­ge stammt aus dem Jah­re 1981, Ver­lag Ull­stein. Ich fin­de immer­hin 20 Zita­te. Auch hier set­zen die »Vater­lands­lo­sen Gesel­len« den Schluss­punkt. Ich kann es zwar nicht nach­prü­fen, bin mir aber sicher: In 150 Jah­ren ist viel abge­speckt worden.

Kann da das Vater­land noch ruhig sein, so arg wie es gerupft und dezi­miert wor­den ist?