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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wie wir ungenau, aber angeberisch sprechen

Kürz­lich frag­te ich eine sprach­be­wuss­te Freun­din aus der sprach­be­wuss­ten Mit­te Deutsch­lands (Frank­furt am Main), war­um man eigent­lich neu­er­dings die Begrif­fe Shut­down und Lock­down all­über­all nut­ze, statt zum Bei­spiel Still­stand oder Aus­gangs­sper­re oder Abrie­geln oder Schlie­ßung, bei denen man doch viel dif­fe­ren­zier­ter … Sie hör­te mich ver­wun­dert an (selbst­ver­ständ­lich spra­chen wir nicht von Ange­sicht zu Ant­litz, um alte deut­sche Begrif­fe zu ver­wen­den): Still­stand! Das hört sich so hart an!

Der bra­ve Deut­sche spricht lie­ber weich.

Schau­en wir mal bei Wiki­pe­dia die eng­li­sche – bezie­hungs­wei­se US-ame­ri­ka­ni­sche – Her­kunft von Lock­down und Shut­down an: »In den USA bezeich­net man als ›Shut­down‹ eine Schlie­ßung des gesam­ten staat­li­chen Ver­wal­tungs­ap­pa­ra­tes, nach­dem sich das Reprä­sen­tan­ten­haus und der Prä­si­dent nicht über einen neu­en Haus­halts­plan eini­gen konn­ten. Die­ser Begriff bezeich­net also einen ver­wal­tungs­tech­ni­schen Vor­gang und hat mit einer medi­zi­ni­schen ›Kri­se‹ wenig zu tun.«

»Ein ›Lock­down‹ hin­ge­gen beschreibt das Abrie­geln von allen Gebäu­den oder eines gan­zen Gebie­tes im Fal­le eines Atten­ta­tes oder eines Amoklaufes.«

Der bra­ve, aber immer bis­sel ange­be­ri­sche Deut­sche über­nimmt also eher juri­sti­sche anglo-ame­ri­ka­ni­sche Begrif­fe, ursprüng­lich ganz klar abge­grenzt, um nicht har­te, kla­re, genaue, eige­ne Wör­ter ver­wen­den zu müs­sen, die lei­der nicht frisch – fresh – klin­gen. Wenn aber von ZDF-»heu­te-jour­nal« bis FAZ, von ARD-»Anne Will« bis Bild alle shut- und lockdownen?

Damit die den­ken­de Lese­rin und der nach­den­ken­de Leser jetzt gut beschäf­tigt sind, bie­ten wir eine eini­ger­ma­ßen alpha­be­tisch geord­ne­te Liste von Begrif­fen mit win­zi­gen Nach­fra­gen. Es heißt Bad­min­ton – ist das dem Feder­ball ähn­lich? Das eine ist pro­fes­sio­nell, das ande­re ein Jeder­manns­sport. Darf man aber sol­che Eigen­bau-Wör­ter ver­wen­den? Oder heißt es kor­rekt (cor­rect) sport for everybody?

Der Blick­fang war immer der Blick­fang, jetzt ist es der eye cat­cher. Beim Chil­len scheint klar: Das klingt straf­fer und beschäf­tig­ter als Aus­ru­hen. Frü­her kon­trol­lier­te man, es gab sogar mal die Qua­li­täts­kon­trol­le, jetzt herrscht über­all das Con­trol­ling. Sogar aus dem Fuß­ball, wich­tig­ste Tätig­keit, wie wir im Still­stand merk­ten, wird neu­er­dings Soc­cer. War­um die Haus­an­dacht jetzt Home­churching heißt? Es gibt ja auch nur einen Gott, der ent­we­der My God! oder God­fa­ther heißt. Alle Arten Beschu­lung fasst man unter schoo­ling zusam­men. Der hei­mi­sche Arbeits­platz ist sicher­lich als Wort­zu­sam­men­set­zung eini­ger­ma­ßen lang – aber er wur­de ja gera­de recht lan­ge genutzt. Die Medi­en­welt hat sich auf Home­of­fice geei­nigt, auf oder in oder bei dem auch nicht mehr Tele­ar­beit – klingt wirk­lich bis­sel alt­frän­kisch – son­dern home­wor­king gelei­stet wird, was auch eine Haus­auf­ga­be sein könn­te. Ob man zwi­schen­durch das Steh­fahr­rad oder doch den Home­trai­ner zum Aus­gleich (Chil­len!) nutzt, das ist sogar eine Sache der Denk­wei­se. Die­ses Wort kennt nun wirk­lich nie­mand mehr, seit es mind set gibt. Statt der Liste nut­zen wir list – das haben wir schon zu Beginn die­ser Auf­stel­lung falsch gemacht. Und den Ort gibt es schon lan­ge nicht mehr, son­dern all­zeit die Loca­ti­on, was in die­sem Fall schon der Län­ge wegen breit und lang und also bedeu­tend klingt. Schicken wir noch Nach­rich­ten oder ist’s immer eine Mes­sa­ge? Dem Netz ent­neh­men wir einen Buch­sta­ben zum Net. Und ob wir beim Lock­down drau­ßen sein dür­fen? Wenn wir out­side sagen, gewiss.

Ob irgend­je­mand Hin­fahr­kar­te, Rück­fahr­kar­te oder gar Sonn­tags­rück­fahr­kar­te (DDR-Omis fra­gen) nutzt, wo doch alles One-Way-Ticket ist? Den über­aus bild­haf­ten Begriff Zeit­lu­pe ver­steht kein Schwein, also kein Jugend­li­cher (Young­ster) mehr, seit alle nur noch Slow Moti­on sagen, weil auch Speed ein­fach schnel­ler als die Geschwin­dig­keit ist. Schlie­ßen wir mit ein paar Arbeits­welt-Begrif­fen, wo nichts mehr über­tra­gen wird, seit es Trans­fer gibt. Wer dort kein Worko­ho­lic ist – klingt viel net­ter als das Arbeits­tier – bekommt eine war­ning. Auch das ist hüb­scher als die Abmahnung.

Ver­mut­lich bekom­me ich, der Con­tent­ma­ker, jetzt eine sol­che vom User. Weil ich behaup­te, einen Text, eine Glos­se, einen Arti­kel oder einen Bei­trag geschrie­ben zu haben.

Dabei ist alles nur noch Projekt.