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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Voller gegenseitiger Ehrerbietung

Nicht immer, nur in Gra­tu­la­ti­ons­brie­fen zum Geburts­tag durf­te Kurt Goss­wei­ler zum par­tei­lo­sen Peter Hacks »Genos­se« sagen, und er tat das auch, und es war wie ein fei­er­li­cher Akt.

Pro­fes­sor Kurt Goss­wei­ler (1917-2017), Histo­ri­ker, der sich als Faschis­mus­for­scher ver­dient gemacht hat, beschäf­tig­te sich auch mit der Geschich­te der Arbei­ter­be­we­gung, dabei mit Revi­sio­nis­mus-Ana­ly­sen, wobei er die Posi­ti­on ver­trat, dass mit Niki­ta Chruscht­schow der Ver­rat an der sozia­li­sti­schen Sache begon­nen habe und so Lenins und Sta­lins Erbe ver­spielt wur­de. Peter Hacks (1928-2003), Dra­ma­ti­ker, Lyri­ker und Essay­ist, hat­te schon zu DDR-Zei­ten Erich Hon­ecker als den Ver­rä­ter von Wal­ter Ulb­richts Erbe aus­ge­macht und ließ auf den »Klas­si­ker« Sta­lin nichts kom­men. So ist es fast ein Wun­der, dass bei­de sich erst 1996 »tra­fen«. Hacks schick­te Goss­wei­ler sei­ne Gesam­mel­ten Auf­sät­ze »Die Maß­ga­ben der Kunst«, Goss­wei­ler bedank­te sich, und all­mäh­lich ent­wickel­te sich ein Brief­wech­sel zwi­schen den »Mit­strei­tern«, der schließ­lich 52 Brie­fe im Lau­fe von mehr als sechs Jah­ren aus­mach­te. Sie waren sich gewo­gen. Bewusst, Außen­sei­ter­po­si­tio­nen zu ver­tre­ten, bestärk­ten sie sich gegen­sei­tig. Vol­ler Respekt, ja Ehr­erbie­tung, aber auch nicht unei­tel, tausch­ten sie sich über die ihnen so drin­gen­den Fra­gen aus, wann und wie das Sta­lin­sche Erbe ver­spielt wor­den war, wel­che Rol­le Chruscht­schow dabei gespielt habe, was in der DDR falsch gelau­fen sei, wann und ob das schmäh­li­che Ende der DDR noch auf­zu­hal­ten gewe­sen wäre. Hacks› Theo­rie von den beson­de­ren Klas­sen im Sozia­lis­mus wird zwar von Goss­wei­ler nicht geteilt, aber sie tun sich bei Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten nicht weh. Was gegen­sei­ti­ge Hoch­ach­tung ist, ist hier zu ler­nen, wenn­gleich auch ein biss­chen Spaß oder Iro­nie im Spiel gewe­sen sein dürf­te. Es ist erstaun­lich, wie infor­miert und inter­es­siert Hacks an den zeit­ge­nös­si­schen Debat­ten der Lin­ken war, immer auf der Suche nach Ant­wor­ten, wie es mit dem Sozia­lis­mus wei­ter­ge­hen könn­te. Nicht immer fein in ihren Urtei­len über Zeit­ge­nos­sen, ver­su­chen sich die zwei einen Weg aus dem Dickicht der Ideo­lo­gien zu bah­nen, und noch heu­te ist es span­nend und lehr­reich, ihnen zu fol­gen, wenn man auch so man­che Theo­rie nicht teilt.

Das Buch liegt nun in einer erwei­ter­ten zwei­ten Auf­la­ge vor – ein Ver­dienst von Mat­thi­as Oeh­me und dem Eulen­spie­gel Verlag.

Kurt Goss­wei­ler: »Darf ich Genos­se sagen? Der Brief­wech­sel mit Peter Hacks«, her­aus­ge­ge­ben von Mat­thi­as Oeh­me, Eulen­spie­gel Ver­lag, 220 S., 12 €.