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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wortgeschichten: Phobien

Das Fremd­wort »Pho­bie« lei­tet sich aus dem Alt­grie­chi­schen ab. In der »Poe­tik« des Ari­sto­te­les spielt es eine gro­ße Rol­le im Rah­men sei­ner Theo­rie der Tra­gö­die: Die Auf­ga­be der Tra­gö­die sei es, durch die Erzeu­gung von »pho­bos« (Furcht) und »ele­os« (Mit­leid) eine rei­ni­gen­de Wir­kung im Publi­kum zu errei­chen. Die Bedeu­tung die­ser Stel­le, die spä­ter ins­be­son­de­re Gott­hold Ephra­im Les­sing in sei­ner »Ham­bur­ger Dra­ma­tur­gie« dis­ku­tier­te, war zwar auch spä­ter umstrit­ten. So viel aber scheint klar: Der Begriff der Furcht ist auf dem ursprüng­lich reli­giö­sen Hin­ter­grund der Tra­gö­die zu sehen. Im Mit­tel­punkt der Auf­merk­sam­keit stand immer wie­der die Hybris (Über­he­bung) des Men­schen gegen­über den Göt­tern. Deren Rache, die meist grau­sam und oft sogar unver­hält­nis­mä­ßig grau­sam war, erreg­te die­sen Schrecken auf der Büh­ne und soll­te eine ethi­sche Rei­ni­gung bewirken.

Als Gefühl abseits der reli­giö­sen Sphä­re tritt der Begriff der Pho­bie bei Freud auf (»Ana­ly­se der Pho­bie eines fünf­jäh­ri­gen Kna­ben«). Es geht hier um psy­cho­lo­gi­sche Sym­pto­me und deren Aus­lö­ser und Therapie.

In der gegen­wär­ti­gen Umgangs­spra­che ist auch viel von Pho­bien die Rede: Xeno­pho­bie, Homo­pho­bie, Isla­mo­pho­bie, Rus­so­pho­bie usw., usw.

Inter­es­sant ist, wie gemein­hin die Über­set­zun­gen lau­ten: »Frem­den­feind­lich­keit«, »Schwu­len­feind­lich­keit«, »Islam­feind­lich­keit«, »Rus­sen­feind­lich­keit«. Es kann kein Zufall sein, dass im Klar­text von »Feind­lich­keit«, im Fremd­wort (inhalt­lich) von »Furcht« die Rede ist.

Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang eine Hypo­the­se, die Han­nah Are­ndt in ihrem Werk »Ele­men­te und Ursprün­ge tota­ler Herr­schaft« (1955) über den »Ras­se­be­griff der Buren« auf­stellt: »(Er) ent­springt aus dem Ent­set­zen vor Wesen, die weder Mensch noch Tier zu sein schie­nen, und gespen­ster­haft, ohne alle fass­ba­re zivi­li­sa­to­ri­sche oder poli­ti­sche Rea­li­tät, den schwar­zen Kon­ti­nent bevöl­ker­ten und überbevölkerten.«

Die lie­be­vol­le Empa­thie, die Han­nah Are­ndt den ver­mu­te­ten Umstän­den einer ersten Begeg­nung von Wei­ßen mit Schwar­zen wid­met, läuft lei­der dar­auf hin­aus, das Ver­ständ­nis für Ras­sis­mus zu wecken.

Und genau­so funk­tio­niert die Wir­kung z. B. des Wor­tes »Homo­pho­bie«: Es ist durch­aus mög­lich, dass man­che Men­schen Furcht emp­fin­den, wenn sie bewusst einem Schwu­len gegen­über­ste­hen. Dies ist aber wohl weder das gän­gi­ge Emp­fin­den, noch ent­spricht es der übli­chen Ver­wen­dung des Wor­tes. »Homo­pho­bie« meint viel­mehr »Ableh­nung« oder »Hass«. Ähn­li­ches gilt für die genann­ten und für ähn­lich gebil­de­te Komposita.

Fazit: Statt die gemein­te Gefühls­re­gung zu benen­nen, wird eine ande­re – eine, die um Ver­ständ­nis für die Per­son, die von ihr ergrif­fen wird, wirbt – vorgeschoben.

Als beson­ders per­fi­de fällt dabei die Über­set­zung für die »Xeno­pho­bie« als »Frem­den­feind­lich­keit« auf: Gemeint sind hier nicht etwa Men­schen aus einem ande­ren Ort oder einem belie­bi­gen ande­ren Land, son­dern aus ande­ren Erd­tei­len und/​oder Kul­tu­ren; vor­wie­gend geht es um Geflüch­te­te. Die Ver­bre­chen gegen die­se »Frem­den« wer­den aber nicht aus »Furcht«, son­dern aus Hass verübt.

Mit die­ser Inter­pre­ta­ti­ons­ver­schie­bung lässt sich auch die nicht min­der ver­harm­lo­sen­de (Selbst-)Bezeichnung »besorg­te Bür­ger« in Ver­bin­dung brin­gen: Aus der Furcht wird die Sor­ge, und schon ist das Ver­ständ­nis für feind­se­li­ge Hal­tung und ent­spre­chen­des Ver­hal­ten in Gang gesetzt.