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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zivil in Frankreich

ivil in Frankreich

In der Ber­li­ner Zei­tung vom 15./16. Juni (S. 5, Poli­tik) wird ein Brief zitiert, der sich mit Wehr­machts­uni­for­men in einem Fami­li­en­al­bum beschäf­tigt. Der Brief hat mich wegen sei­ner Par­al­le­len zu mei­ner Fami­li­en­ge­schich­te berührt.

1870/​71 muss­te mein Groß­va­ter väter­li­cher­seits, ein Zim­mer­mann und Vater von neun Kin­dern, am Krieg gegen den »Erb­feind« Frank­reich teil­neh­men, den er ver­wun­det über­leb­te. In sei­nem abge­grif­fe­nen Büch­lein fand ich blei­stift­ge­schrie­be­ne Regeln über das Ver­hal­ten unter­ge­ord­ne­ter Dienst­rän­ge beim Erschei­nen von Vorgesetzten.

Mein Vater wur­de als 19-Jäh­ri­ger in Dall­gow-Döbe­ritz für den Ein­satz gegen Frank­reich gedrillt, den er mit sei­ner Kom­pa­gnie vor Ver­dun zu absol­vie­ren hat­te. Er war der ein­zi­ge aus sei­ner Trup­pe, der die Nah­kämp­fe wegen eines Streif­schus­ses an der Schlä­fe und des anschlie­ßen­den Laza­retts lebend über­stand. Sein älte­rer Bru­der war als Schiffs­bäcker und -koch ein­ge­zo­gen wor­den und ver­sank mit sei­nem Schiff mit­samt sei­nen Küchenreserven.

Mein Groß­va­ter müt­ter­li­cher­seits, ein Tex­til­ar­bei­ter und pas­sio­nier­ter Land­schafts- und Blu­men­ma­ler, kam zwar lebend aus dem Ersten Welt­krieg zurück, jedoch beglei­tet von einer unheil­ba­ren Mala­ria, die ihm den ver­spä­te­ten »Hel­den­tod« an der »Hei­mat­front« einbrachte.

Mein Vater hat­te über­dies die Ehre, im Zwei­ten Welt­krieg noch zwei­mal gegen den »Erb­feind« über den deut­schen Rhein aus­zu­rücken, und zwar 1939/​40 und 1944/​45. Er über­stand auch die­se Tor­tu­ren, so dass er den Kampf ums Über­le­ben sei­ner Fami­lie nach Kriegs­en­de unter den übli­chen Man­gel­be­din­gun­gen fort­set­zen konnte.

Mein Onkel Wal­ter, jün­ge­rer Bru­der mei­ner Mut­ter, muss­te unmit­tel­bar nach Kriegs­be­ginn als stol­zer Kaval­le­rist in den Kampf um den siche­ren End­sieg ein­grei­fen und starb an einem Bauchschuss.

Ich hat­te 1993 als 58-Jäh­ri­ger erst­mals die Gele­gen­heit, das west­li­che Nach­bar­land ken­nen­zu­ler­nen – als erster aus der männ­li­chen Fami­lie in zivi­ler Klei­dung! Die­se Chan­ce wie­der­hol­te sich, als wir – mei­ne Frau und ich – als Mit­glie­der der Kurt-Tuchol­sky-Gesell­schaft 2003 eine Tagung in den fran­zö­si­schen Pyre­nä­en und 2008 das 20-jäh­ri­ge Jubi­lä­um des Ver­eins in Tuchol­skys mehr­jäh­ri­ger Wir­kungs­stät­te in Paris mit vorbereiteten.

Möge es mir und uns allen ver­gönnt sein, alle wei­te­ren Rei­sen an die Sei­ne und in ande­re fran­zö­si­sche Land­schaf­ten als zivi­le Gäste eines befreun­de­ten Lan­des zu genießen!