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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ange­la Mer­kel, besorgt. – Trotz Qua­ran­tä­ne wer­den Sie erfah­ren haben, dass Ste­phan Pusch, Land­rat des von der Coro­na-Epi­de­mie beson­ders betrof­fe­nen nord­rhein-west­fä­li­schen Land­krei­ses Heins­berg, sich mit einem Brief an den chi­ne­si­schen Staats­prä­si­den­ten Xi Jin­ping gewandt und die­sen um Hil­fe bei der Beschaf­fung von Schutz­mas­ken, Kit­teln und son­sti­gen Mate­ria­li­en gebe­ten hat, die zum Schutz der Beschäf­tig­ten des Heins­ber­ger Kran­ken­hau­ses vor dem Coro­na­vi­rus drin­gend benö­tigt wer­den. Ver­trau­en, dass deut­sche Behör­den zu Hil­fe kom­men wür­den, hat­te der Land­rat offen­bar nicht mehr. In einer Video-Bot­schaft stell­te er am 23. März fest, dass die deut­sche Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin zwar »medi­en­wirk­sam« Hil­fe durch die Bun­des­wehr ange­kün­digt habe, doch »für uns sind sämt­li­che Hil­fe­ge­su­che, die wir bis­her an die Bun­des­wehr gerich­tet haben, nega­tiv beschie­den wor­den«. In sei­nem Brief nach Chi­na, adres­siert an die Bot­schaft der Volks­re­pu­blik in Ber­lin, zeig­te sich Pusch auch inter­es­siert an einem fach­li­chen Aus­tausch mit den chi­ne­si­schen Coro­na-Spe­zia­li­sten. Und er reg­te eine Part­ner­schaft zwi­schen sei­nem Land­kreis und der chi­ne­si­schen Pro­vinz Wuhan an. Wie Sie sicher auch wis­sen, erhielt Pusch umge­hend einen Anruf des chi­ne­si­schen Gene­ral­kon­suls in Düs­sel­dorf. Der for­der­te ihn auf, mit­zu­tei­len, was gebraucht wird. Man wer­de nach Kräf­ten hel­fen. Aber haben Sie auch gele­sen, was Ger­man For­eign Poli­cy unter der Über­schrift »Annah­me ver­wei­gert« berich­te­te? Die gewöhn­lich gut unter­rich­te­te Online-Platt­form am 22. März: »Als bis­lang ein­zi­ges Land Euro­pas nimmt Deutsch­land ein chi­ne­si­sches Hilfs­an­ge­bot im Kampf gegen die Covid-19-Pan­de­mie nicht an. Wie Chi­nas Prä­si­dent Xi Jin­ping mit­teilt, habe er Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel mit­ge­teilt, die Volks­re­pu­blik sei bereit, ›im Rah­men [ihrer] Fähig­kei­ten Hil­fe zu lei­sten‹, soll­te es ›Bedarf‹ geben. Bei­jing hat in den ver­gan­ge­nen Tagen meh­re­ren Staa­ten Euro­pas, dar­un­ter Ita­li­en, Spa­ni­en und Frank­reich, Hilfs­lie­fe­run­gen zukom­men las­sen und teil­wei­se auch Ärz­te­teams … ent­sandt. Ber­lin igno­riert das Hilfs­an­ge­bot …« Ihr Par­tei­freund Pusch wuss­te offen­bar nichts von Ihrer »Annahme-verweigert«-Haltung. Woher auch, da die Medi­en dar­über schwei­gen? Wir sind gespannt, was Sie ihm ant­wor­ten wer­den, wenn er Ihnen dem­nächst des­we­gen Fra­gen stellt.

Saskia Esken, SPD-Kovor­sit­zen­de. – Rigo­ro­se Ein­schrän­kun­gen der Bewe­gungs­frei­heit der Bevöl­ke­rung zwecks Schutz vor wei­te­rer mas­si­ver Coro­na-Ver­brei­tung fin­den Sie »pro­ble­ma­tisch«. »Als frei­heit­li­che Gesell­schaft brau­chen wir kei­ne Aus­gangs­sper­re«, sagen Sie. Viel­leicht brau­chen wir sie doch, auch wenn »die mei­sten Men­schen … sich ver­nünf­tig, ver­ant­wor­tungs­voll und soli­da­risch [ver­hal­ten]«. Aber auch schon die jet­zi­ge »Aus­gangs­be­schrän­kung« bringt erheb­li­che Pro­ble­me für die demo­kra­ti­sche Ord­nung in unse­rem Land mit sich. Die­se Sor­ge beschäf­tigt vie­le. Wird nicht die Situa­ti­on genutzt, um Not­stands­maß­nah­men aus­zu­pro­bie­ren, die sich irgend­wann als fatal erwei­sen könn­ten? Wer­den nicht Bun­des­wehr­ein­sät­ze im Inne­ren, Ein­schrän­kun­gen der par­la­men­ta­ri­schen Rech­te, flä­chen­decken­de Bewe­gungs­kon­trol­len anhand von Han­dy-Daten als akzep­ta­ble Mög­lich­kei­ten pro­pa­giert? Ist nicht die Ver­samm­lungs- und Mei­nungs­frei­heit bereits in hohem Maße aus­ge­setzt? Mit dem Sieg über die Viren muss eine brei­te Debat­te ein­her­ge­hen, wie unse­re Demo­kra­tie künf­tig aus­se­hen soll. Kön­nen wir Ihre skep­ti­schen Wor­te so ver­ste­hen, dass Sie und Ihre Par­tei dann die Sei­te der ver­nünf­tig, ver­ant­wor­tungs­voll und soli­da­risch die Demo­kra­tie Ver­tei­di­gen­den stär­ken werden?

Car­sten Bros­da, Ham­bur­ger Vor­den­ker. – Karl Marx hat in sei­ner »Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie« (»Das Kapi­tal«, Bd. 1) dar­über geschrie­ben, Rosa Luxem­burg in ihrem »Bei­trag zur öko­no­mi­schen Erklä­rung des Impe­ria­lis­mus« (»Die Akku­mu­la­ti­on des Kapi­tals«) eben­falls und Han­nah Are­ndt in ihrem monu­men­ta­len Werk über »Ele­men­te und Ursprün­ge tota­ler Herr­schaft«. Und nun spre­chen auch Sie, als Kul­tur­se­na­tor »einer der gefrag­te­sten Vor­den­ker der Stadt«, von der »kapi­ta­li­sti­schen Land­nah­me« (Inter­view mit Jörn Lau­ter­bach, Redak­ti­ons­lei­ter Ham­burg, welt.de, 22.3.2020). Sie hof­fen dar­auf, »dass die Gesell­schaft sich nach der Coro­na-Kri­se neu ent­deckt«, und ant­wor­ten auf die Fra­ge, ob dann eine Rück­kehr in den Sta­tus Quo ante mög­lich sein wer­de und ob das erstre­bens­wert wäre: »Das wird anders sein und sich anders anfüh­len. Wir wer­den die gesell­schaft­li­chen Orte des Begeg­nens, den öffent­li­chen Raum ver­mut­lich anders wahr­neh­men. Das, was Karl Marx mal als die ›kapi­ta­li­sti­sche Land­nah­me‹ bezeich­net hat, war in den letz­ten Jah­ren … doch sehr domi­nant. Es ging oft mehr um wirt­schaft­li­che und weni­ger um gesell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Fra­gen. Wenn wir die heu­te lee­ren Plät­ze künf­tig wie­der betre­ten wer­den, kön­nen wir sie auch neu bewer­ten. Da könn­te die neu gefun­de­ne Soli­da­ri­tät, ein neu­es Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl, eine gute Rol­le spie­len. Die Ver­lust­er­fah­rung könn­te dann nach­hal­len und Neu­es her­vor­brin­gen. Das wäre gut.« Ossietzky meint dazu: ein lesens­wer­tes Inter­view vol­ler klu­ger Gedan­ken, imma­nent unter­legt mit fei­ner Skep­sis. Und drückt die Dau­men, dass Sie im Zuge der anste­hen­den Regie­rungs­neu­bil­dung in Ham­burg kei­ne per­sön­li­che Ver­lust­er­fah­rung machen wer­den. (Sie­he auch: Klaus Nili­us: »Der Him­mel kennt kei­ne Günst­lin­ge« in Ossietzky 5/​20.)