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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Raffael – der »Göttliche«

Dass man ihn spä­ter den »Gött­li­chen« nann­te, il divi­no, zeich­ne­te sich schon im Moment sei­nes frü­hen Able­bens mit 37 Jah­ren ab. Mit Leo­nar­do da Vin­ci und Michel­an­ge­lo zählt der genia­le Maler und Archi­tekt Raf­fa­el zu den maß­geb­li­chen Prot­ago­ni­sten der Hoch­re­nais­sance. Ent­spre­chend Leo­nar­dos Prin­zip einer Meta­mor­pho­se der For­men ging es auch ihm dar­um, ein The­ma durch vie­le Fas­sun­gen zu vari­ie­ren. So ent­wickel­te er eine erstaun­li­che Fül­le ver­schie­de­ner Madon­nen­mo­ti­ve, die er im Lau­fe meh­re­rer Jah­re in Gemäl­de umsetz­te. Allein fünf Madon­nen besitzt die Ber­li­ner Gemäl­de­ga­le­rie, und sie prä­sen­tiert sie seit Dezem­ber 2019 – mit einer aus­führ­li­chen Dar­stel­lung ihrer Ber­li­ner Aus­stel­lungs­ge­schich­te – anläss­lich des 500. Todes­jah­res Raf­fa­els 2020 in einer exqui­si­ten Kabi­nett­aus­stel­lung. Sie wird ergänzt durch das eben­so berühm­te Gemäl­de »Madon­na mit den Nel­ken« (1505 – 1508) aus der Natio­nal Gal­lery Lon­don, das, erst Anfang der 1990er Jah­re in der Samm­lung des Duke of Nor­th­um­ber­land als Ori­gi­nal erkannt, nun zum ersten Mal außer­halb Eng­lands zu sehen ist.

Unser Genuss in der Betrach­tung der Gemäl­de kann von der Freu­de an den per­fekt gemal­ten Details bis zur Wür­di­gung der Kom­ple­xi­tät der zar­ten for­ma­len Aus­ge­wo­gen­heit und Struk­tur der Bil­der rei­chen. Wir kön­nen uns eben­so durch die Ent­deckung des sub­ti­len Wech­sel­spiels von Blicken zwi­schen den Figu­ren berei­chern las­sen, die in einen pro­fun­den und stil­len Aus­tausch ver­tieft sind, wie durch die Erkennt­nis der Weis­heit, die sich im Bild­gan­zen offen­bart. Jedem Gemäl­de gab Raf­fa­el eine ande­re Beto­nung, jedes reprä­sen­tiert eine wei­te­re – ande­re – Stu­fe sei­ner Entwicklung.

In dem frü­he­sten Bild, der »Madon­na Sol­ly« (um 1502) wen­den sich Mut­ter und Kind schein­bar dem Buch zu, das Maria in den Hän­den hält, aber zugleich geht ihr Blick in die Fer­ne – oder sind bei­de nicht in sich selbst ver­sun­ken? Die »Madon­na Ter­ra­nuo­va« (1505) – sie kann mit Raf­fa­els Zeich­nung des Kop­fes der Madon­na (um 1505) aus dem Kup­fer­stich­ka­bi­nett ver­gli­chen wer­den – füllt das Ton­do mit beherr­schen­der Kraft. Das inni­ge Ver­hält­nis Mari­as zum Jesus­kind und des­sen Gebor­gen­heit im Schoß der Mut­ter kom­men in der trau­li­chen Umschlos­sen­heit des run­den Rau­mes beson­ders zur Gel­tung. Gleich­zei­tig hat Raf­fa­el sei­ne flo­ren­ti­ni­sche Kom­po­si­ti­ons­er­fin­dung des Drei­ecks den vier Figu­ren ein­ge­schrie­ben. Deren Gesten sind von raum­grei­fen­der Pla­sti­zi­tät und rücken die Figu­ren nahe an den Betrach­ter. Sie schei­nen zu spre­chen oder uns doch durch die Inten­si­tät ihres Gefühls an ihrer Visi­on teil­ha­ben zu las­sen. Der See­len­zu­stand, das emo­tio­na­le Ele­ment sind zu etwas ganz und gar Per­sön­li­chem gewor­den. Das zeich­net die mensch­li­chen Figu­ren Raf­fa­els aus, sie sind frei vom Aus­druck des Kon­flikts, weni­ger expres­siv und pro­blem­be­stimmt, sie sind gelö­ster, so wie auch Raf­fa­el per­sön­lich ein aus­ge­gli­che­ne­res Ver­hält­nis zur Welt hat­te als Michel­an­ge­lo, sein Kol­le­ge und Riva­le in Rom.

Eine der reif­sten Lei­stun­gen sei­ner Flo­ren­ti­ner Zeit, die »Madon­na Colon­na« (um 1508), ist von hei­te­rer Gegen­wär­tig­keit. Raf­fa­el behielt das von Leo­nar­do her­ge­lei­te­te fein­to­ni­ge Kolo­rit bei, ver­lieh den Far­ben aber neue Sub­stanz. Das Erd­beer­ro­sa des Gemäl­des wird einem im Gedächt­nis blei­ben. Mit­tels der Far­be erfolgt über­haupt die Ent­fal­tung im Raum. Form, Far­be und das Hell-Dun­kel ver­bin­den sich, und alle rein linea­ren Ele­men­te der Model­lie­rung wer­den ver­mie­den. Eine jugend­li­che Maria, die mit dem Chri­stus­kind spielt, zeigt dann die »Madon­na mit den Nel­ken« aus Lon­don. Raf­fa­el plat­ziert hier die Drei­ecks­kom­po­si­ti­on Leo­nar­dos in einem eben­falls von die­sem inspi­rier­ten Raum mit offe­nem Fen­ster, wel­ches das gedämpf­te Licht erklärt. Die roten Nel­ken (Hin­weis auf die Pas­si­on Chri­sti) schei­nen einen Augen­blick lang in einem Schwe­be­zu­stand zu ver­har­ren, bevor der Chri­stus­kna­be sie ergreift.

Die »Six­ti­ni­sche Madon­na« (1512/​13), die 1754 nach Dres­den kam und das Glanz­stück der Gale­rie Alte Mei­ster bil­det, gilt als die Krö­nung der Madon­nen­dar­stel­lun­gen Raf­fa­els. Wegen des glei­chen engen Bei­ein­an­ders der Köp­fe von Mut­ter und Kind kön­nen die Ber­li­ner Madon­nen­bil­der als ihre »irdi­schen Gegen­stücke« in Bezie­hung gesetzt wer­den. Land­schaft­li­ches bil­det ihren Hin­ter­grund, wäh­rend die »Six­ti­ni­sche« schwe­re­los in den Him­mel ver­setzt ist.

In dem Aus­stel­lungs­pro­jekt »Raf­fa­el in Ber­lin« der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin zeigt das Kup­fer­stich­ka­bi­nett in einer wei­te­ren Aus­stel­lung Arbei­ten auf Papier, Mei­ster­wer­ke aus der ita­lie­ni­schen Renais­sance. Elf eigen­hän­di­ge Zeich­nun­gen Raf­fa­els, die er in Vor­be­rei­tung sei­ner gro­ßen Gemäl­de ange­legt hat, besitzt das Kup­fer­stich­ka­bi­nett, und es prä­sen­tiert sie jetzt zusam­men mit einem Dut­zend Zeich­nun­gen sei­ner eng­sten Weg­ge­fähr­ten, dar­un­ter sei­nes Leh­rers Peru­gi­no. (Gera­de die Phy­sio­gno­mien gehö­ren zum Typen­schatz, den Raf­fa­el von Peru­gi­no auf­ge­nom­men hat.) Ergänzt wer­den sie durch Blät­ter sei­ner wich­tig­sten Schü­ler und Mit­ar­bei­ter in sei­ner Werk­statt wie Giu­lio Roma­no und Gian­fran­ces­co Pen­ni. Arbei­ten auf Papier sind beson­ders licht­emp­find­lich. Des­halb wer­den sie nur sel­ten der Öffent­lich­keit vorgestellt.

Ganz nah an den Künst­ler her­an­ge­führt, kann der Betrach­ter Raf­fa­els Stra­te­gien der bild­li­chen Erzäh­lung an sei­nen Blät­tern ver­fol­gen. Vie­le sei­ner gro­ßen Vor­ha­ben – Gemäl­de, Fres­ko oder Archi­tek­tur, aber auch Druck­gra­fik – hat der Mei­ster nur noch zeich­ne­risch vor­be­rei­tet und deren Rea­li­sie­rung sei­ner Werk­statt über­tra­gen. Um sei­ne Bild-Ent­wür­fe gezielt wei­ter bekannt zu machen, ließ er eini­ge Kom­po­si­tio­nen druck­gra­fisch repro­du­zie­ren, ent­wickel­te aber auch Erfin­dun­gen spe­zi­ell für die Ver­viel­fäl­ti­gung im Kupferstich.

Fast alle Ent­schei­dun­gen über das Aus­se­hen sei­ner berühm­ten Bild­wer­ke hat Raf­fa­el mit Hil­fe von Zeich­nun­gen getrof­fen. Auf Papier gewan­nen sei­ne Ideen erste Gestalt, hier form­te und ent­wickel­te er sei­ne Ent­wür­fe und berei­te­te ihre Aus­füh­rung vor. In sei­nen Zei­chen­me­di­en und tech­ni­schen Hilfs­mit­teln zeigt sich ein gro­ßer Reich­tum: Feder und Pin­sel, Tin­te und Deck­weiß, schwar­ze und rote Krei­de, Silb­er­stift und Koh­le. Raf­fa­el spiel­te in sei­nen Zeich­nun­gen alter­na­ti­ve Bild­lö­sun­gen durch, lote­te die Aus­drucks­tie­fe einer Erfin­dung aus.

Das Kar­ton­frag­ment mit dem Gesicht einer Madon­na, die auf das Kind in ihrem Schoß her­ab­blickt (um 1505), dien­te Raf­fa­el zur Vor­be­rei­tung sei­ner »Madon­na Ter­ra­nuo­va«, die heu­te ein Glanz­stück der Gemäl­de­ga­le­rie dar­stellt. Bereits 1509/​10 berei­te­te er in meh­re­ren Zeich­nun­gen einen Ent­wurf für die Dar­stel­lung des Kin­der­mords von Beth­le­hem vor, der dann von Mar­can­to­nio Rai­mon­do als Kup­fer­stich umge­setzt wur­de. Die­ser hat seit 1510 etwa 70 Kup­fer­sti­che nach Vor­la­gen Raf­fa­els ange­fer­tigt. Der Holz­schnei­der Ugo da Car­pi wie­der­um über­trug ab 1517 Raf­fa­els Bil­der­fin­dun­gen als Chiaroscuro(Hell-Dunkel)-Holzschnitte. Die Zeich­nung »Jesus­kind und Johan­nes­kna­be« (um 1511/​12) ist eine Figu­ren­stu­die für die »Madon­na dell’Impannata«, die sich heu­te im Palaz­zo Pit­ti in Flo­renz befin­det. Durch die Wen­dung von Ober­kör­per und Leib bei­der, die gegen­läu­fi­ge Nei­gung der Köp­fe ent­steht eine sen­ti­ment­ge­la­de­ne Öff­nung zum Betrach­ter hin. Über­haupt hat Raf­fa­el in sei­nen Zeich­nun­gen das Inein­an­der­grei­fen von Kör­per­be­we­gung, Phy­sio­gno­mien und Gebär­den ver­fei­nert und in der flie­ßen­den Ver­ket­tung der Prot­ago­ni­sten die Inten­si­tät der Gesprächs­si­tua­ti­on gestei­gert. Sen­si­bel setzt der Rötel­stift in der Figu­ren­stu­die »Plu­to« (um 1518), die einen jun­gen, unbe­klei­de­ten Mann mit einem zwei­deu­ti­gen Lächeln zeigt, das Wech­sel­spiel der Lini­en, ihre Fär­bung, Span­nung, Schat­tie­rung, auch ihre pla­sti­schen For­men vir­tu­os in Sze­ne. Bei dem dop­pel­sei­tig mit zwei geflü­gel­ten Put­ten­fi­gu­ren bezeich­ne­ten Blatt (um 1519 – 1520) gibt es mög­li­cher­wei­se eine Ver­bin­dung zu dem Fres­ko auf der Nord­wand der Sala Con­stan­ti­no im Vati­kan, wo sich meh­re­re sol­cher Figu­ren befin­den. Erst wenn Raf­fa­el eine befrie­di­gen­de Lösung gefun­den hat­te, wech­sel­te er zu ande­ren Zei­chen­me­di­en, dem Pin­sel für das Stu­di­um der Licht­füh­rung und der roten Krei­de für die Fest­le­gung wei­te­rer Einzelheiten.

Raf­fa­els bild­ne­ri­scher Erzähl­stil blieb bis ins 19. Jahr­hun­dert vor­bild­lich. Schon in der zwei­ten Aus­ga­be sei­ner »Vite«, 1568, hat­te Gior­gio Vasa­ri, der Künst­ler-Histo­rio­graf des 16. Jahr­hun­derts, das Urteil über Raf­fa­el ergänzt zu gra­zia e dol­cez­za, Anmut und Süße, und damit eine Ori­en­tie­rung für alle spä­te­re Kunst­kri­tik gegeben.

 

»Raf­fa­el in Ber­lin. Die Madon­nen der Gemäl­de­ga­le­rie«, Kul­tur­fo­rum, Mat­thäi­kirch­platz, bis 26. April. »Raf­fa­el in Ber­lin. Mei­ster­wer­ke aus dem Kup­fer­stich­ka­bi­nett«, Kul­tur­fo­rum, bis 1. Juni; Kata­log 16 €. Alle Häu­ser der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin sind vor­erst bis ein­schließ­lich 19. April geschlos­sen. Einen Ein­druck von den bei­den Aus­stel­lun­gen ver­lieh der Muse­ums­rund­gang »Ein Tag im Kul­tur­fo­rum« in der Sen­dung rbbKul­tur – Das Maga­zin vom 21. März, sie­he: https://www.rbb-online.de/rbbkultur-magazin/archiv/20200321_1830/kulturforum.html.