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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Atomtod

Die kri­ti­schen Nukle­ar­wis­sen­schaft­ler stell­ten die Uhr zur War­nung vor dem Atom­krieg auf die seit Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki kür­ze­ste Zeit vor der Stun­de Null.

Damals kam der Atom­tod am Mor­gen des 6. August über die 250.000 Bewoh­ner von Hiro­shi­ma sowie über die 40.000 Sol­da­ten des Mari­ne­stütz­punk­tes und eine unbe­kann­te Zahl chi­ne­si­scher und korea­ni­scher Zwangs­ar­bei­ter/-innen. Der Feu­er­sturm feg­te durch die Stra­ßen und riss auf einen Schlag 80.000 Men­schen in den Tod. Ins­ge­samt muss man davon aus­ge­hen, dass Hun­dert­tau­sen­de an den Fol­gen des US-Atom­kriegs starben.

Im Wei­ßen Haus erklär­te am sel­ben Tag der dama­li­ge US-Prä­si­dent Tru­man: »Vor 16 Stun­den warf ein ame­ri­ka­ni­sches Flug­zeug eine Bom­be auf Hiro­shi­ma ab, einen wich­ti­gen japa­ni­schen Armee­stütz­punkt. Die­se Bom­be hat­te eine grö­ße­re Ener­gie als 20.000 Ton­nen TNT. (…) Die Japa­ner began­nen den Krieg aus der Luft in Pearl Har­bor. Es ist ihnen viel­fäl­tig heim­ge­zahlt wor­den. Und es ist noch nicht das Ende. Mit die­ser Bom­be haben wir unse­re bewaff­ne­ten Streit­kräf­te um eine neue und umwäl­zen­de Zer­stö­rungs­macht berei­chert. (…) Wir sind nun gerü­stet, noch schnel­ler und voll­stän­di­ger jeder Pro­duk­ti­ons­an­la­ge, wel­che die Japa­ner über der Erde in irgend­ei­ner Stadt haben, aus­zu­lö­schen. Wir wer­den ihre Docks, ihre Fabri­ken und ihre Nach­schub­li­ni­en ver­nich­ten. Man darf sich kei­ner Täu­schung hin­ge­ben: Wir wer­den Japans Macht, Krieg zu füh­ren, voll­stän­dig ver­nich­ten« (https://ahf.nuclearmuseum.org/ahf/key-documents/truman-statement-hiroshima/).

Bevor die japa­ni­sche Regie­rung reagier­te, zer­stör­te eine zwei­te US-Atom­bom­be am 9. August Naga­sa­ki. Min­de­stens 22.000 Men­schen waren dort sofort tot.

Mit der Kapi­tu­la­ti­on Japans ende­te am 2. Sep­tem­ber 1945 der Zwei­te Welt­krieg auch in Asi­en. Aber für die Men­schen in Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki ging der Krieg wei­ter. Er tob­te in ihren Kör­pern: Zehn­tau­sen­de star­ben in der Fol­ge an der Strahlenkrankheit.

Die Über­le­ben­den wur­den als Hiba­ku­sha bezeich­net – »Hi« für »Lei­den«, »baku« für »Bom­be« und »sha« für »Mensch«. Weil man nicht wuss­te, ob die Strah­len­krank­heit ansteckend sein könn­te, wur­den die Erkrank­ten gesell­schaft­lich geäch­tet, in der Arbeits- und sozia­len Welt wie in der Politik.

Ihr Schick­sal wur­de weit­ge­hend ver­schwie­gen. Sie lit­ten unter ande­rem an Organ­schä­den, Krebs- und Immun­erkran­kun­gen, Unfrucht­bar­keit, Fehl­ge­bur­ten und Miss­bil­dun­gen. Es gibt kei­ne vali­den Anga­ben über die unmit­tel­ba­ren Fol­gen des Angriffs auf Über­le­ben­de. Bis heu­te hat man kein kom­plet­tes Bild, zumal von 200 Ärz­ten in Hiro­shi­ma nur 28 über­leb­ten. Es feh­len unter ande­rem auch genaue­re Sta­ti­sti­ken über Fehlgeburten

Genaue­re Ergeb­nis­se von Unter­su­chun­gen an Opfern, auch sol­che, die Ärz­te aus den USA vor­ge­nom­men haben, sind weit­ge­hend geheim geblieben.

Die US-Admi­ni­stra­ti­on hat die Atom­schlä­ge gegen Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki vom 6. und 9. August 1945 mit der Lüge gerecht­fer­tigt, man habe mit die­sen bei­den Angrif­fen den Krieg in Japan 1945 ver­kürzt und somit Leben gerettet.

Die­ses Kriegs­ver­bre­chen war zugleich das erste Täu­schungs­ma­nö­ver der Welt­öf­fent­lich­keit durch die US-Admi­ni­stra­ti­on im Kal­ten Krieg, lan­ge vor des­sen offi­zi­el­lem Beginn. Wor­um es wirk­lich ging, das sprach unter ande­rem der Enkel des 1945 ver­ant­wort­li­chen US-Prä­si­den­ten Tru­man 2012 bei einer Trau­er­fei­er in Hiro­shi­ma aus: Der Abwurf der Atom­bom­ben auf die Zivil­be­völ­ke­rung der bei­den Groß­städ­te habe sei­ner­zeit »vor allem dem Zweck gedient, die Sowjet­uni­on abzu­schrecken«, zitier­te ihn die Schwei­zer Tra­di­ti­ons­zei­tung Der Bund am 4.8.2012.

Es ging dar­um, dass die Sowjets kei­nen Anteil am japa­ni­schen Kuchen erhal­ten soll­ten. Prä­si­dent Tru­man schrieb in den Tagen vor dem Atom­schlag gegen Hiro­shi­ma: »Macht ist das Ein­zi­ge, was die Rus­sen ver­ste­hen.« Wie aus Band 1 sei­ner Memoi­ren her­vor­geht, befürch­te­te er, dass »die Sowjets das Recht bean­spru­chen wer­den, alles japa­ni­sche Eigen­tum in den von ihnen besetz­ten Gebie­ten als Kriegs­beu­te zu bezeichnen«.

Die bis heu­te auf­recht­erhal­te­ne Legi­ti­ma­ti­ons­lü­ge, die Atom­schlä­ge dien­ten dem Frie­den, führ­te zu einer erschrecken­den Teil­nahms­lo­sig­keit in der Welt­öf­fent­lich­keit gegen­über dem Tod, dem Ter­ror und dem Trau­ma, das die Bom­ben in den Men­schen hinterließen.