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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zwei Paar Schuhe

Man will es ein­fach nicht glau­ben, aber kaum hat ein Fuß­ball­team ein Spiel ver­lo­ren, tritt der Trai­ner oder die Trai­ne­rin fru­striert und nach einer Erklä­rung rin­gend vor die Kame­ra, und der erste Satz, den sie ins Mikro­fon in ihrer Ent­täu­schung preis­ge­ben, lau­tet: »Das kann nicht unser Anspruch sein!« Anschlie­ßend wie­der­ho­len gebets­müh­len­ar­tig eini­ge Spie­ler oder Spie­le­rin­nen die­sen Spruch in ver­schie­de­nen Varia­tio­nen: »Es ist nicht unser Anspruch, in so einem Spiel wie heu­te ohne Punk­te raus­zu­ge­hen«, oder: »Ich weiß nicht, was hier gera­de pas­siert ist. Das ist nicht unser Anspruch.« Auch den Ver­ant­wort­li­chen fällt wenig spä­ter im Inter­view nichts Bes­se­res ein und sie bla­sen in das glei­che Horn: »Das ist nicht unser Anspruch!«

Die oft ver­wen­de­te Flos­kel ist aber nicht nur im Fuß­ball oder bei ande­ren Sport­ar­ten anzu­tref­fen, auch Poli­ti­ker bedie­nen sich ihrer immer öfter bei nied­ri­gen Umfra­ge­wer­ten oder nach Wahl­schlap­pen: »Mit­tel­maß ist nicht unser Anspruch, wir hat­ten ande­re Erwar­tun­gen. Unse­re Inhal­te sind zu wenig rüber­ge­kom­men. Wir müs­sen unse­re Zie­le kla­rer formulieren.«

Was dabei häu­fig über­se­hen wird: Es klafft eine gro­ße Lücke zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit. Sie sind häu­fig zwei Paar Schu­he. Gera­de in der Poli­tik ist die Dis­kre­panz zwi­schen Anspruch und Rea­li­tät groß – von der Bil­dungs­mi­se­re bis zur Klimapolitik.

Nicht unser Anspruch? Gewünscht oder real? Auf was haben wir Anspruch, wenn die Lei­stung nicht dahin­ter­steckt? Mit der abge­grif­fe­nen Phra­se umschreibt man auf rela­tiv vor­neh­me Art und Wei­se das eige­ne Ver­sa­gen. Doch die­se Schön­re­de­rei ist nur ein Selbstbetrug.