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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die absehbare Katastrophe

Die Kon­se­quen­zen der Flut­ka­ta­stro­phe in West­deutsch­land mit vie­len Toten, Ver­miss­ten und Trau­ma­ti­sier­ten, mit Zer­stö­run­gen, die an Kriegs­fol­gen erin­nern, las­sen sich nicht mit einem vom Deut­schen Städ­te­tag gefor­der­ten, groß­zü­gig finan­zier­ten Wie­der­auf­bau aus der Welt schaf­fen. Das Wort »Jahr­hun­dert­hoch­was­ser« klingt so, als han­de­le es sich um ein außer­ge­wöhn­li­ches Ereig­nis, des­sen Zwangs­läu­fig­keit jedoch schon lan­ge bekannt ist: Durch die Zunah­me der Tem­pe­ra­tur erhöht sich die Meer­was­ser­ver­dun­stung, und der ver­mehr­te Was­ser­dampf in der Luft inten­si­viert das Unwet­ter­ge­sche­hen. Denn was nach oben ver­dun­stet, kommt auch wie­der run­ter. Die­ser Mecha­nis­mus folgt einem ein­fa­chen phy­si­ka­li­schen Gesetz – der »Clau­si­us-Clapey­ron-Glei­chung« –, wonach der Sät­ti­gungs­dampf­druck von Was­ser­dampf mit stei­gen­der Tem­pe­ra­tur expo­nen­ti­ell ansteigt. An ent­spre­chen­den War­nun­gen, dass es des­halb ver­mehrt zu extre­men Regen­fäl­len kom­men wird, herrscht seit Jah­ren kein Mangel.

Der Kanz­ler­kan­di­dat der Uni­on, Armin Laschet, kon­sta­tier­te laut Süd­deut­scher Zei­tung, die »Was­ser­mas­sen haben bis­her undenk­ba­re Schä­den ver­ur­sacht. Unser Land erlebt eine Flut­ka­ta­stro­phe von histo­ri­schem Aus­maß.« Bis­her undenk­bar waren der­ar­ti­ge Kata­stro­phen viel­leicht für Füh­rungs­kräf­te und unin­for­mier­te Men­schen: Bis Mit­te Juli warn­ten Ver­tre­ter der Indu­strie noch vor Stand­ort­nach­tei­len, wenn die For­de­run­gen der Öko­lo­gen, die Gesell­schaft zur Nach­hal­tig­keit umzu­bau­en, umge­setzt wer­den. Inzwi­schen ist klar: Kli­ma­schutz ist teu­er, nur eins ist noch teu­rer: kein Klimaschutz.

Das Wort »Wie­der­auf­bau« kennt die deut­sche Spra­che aus Nach­kriegs­zei­ten, als es dar­um ging, das, was Bom­ben und Artil­le­rie zer­stört hat­ten, wie­der auf­zu­bau­en. Aber heu­te geht es eben nicht mehr dar­um, ein­fach den vor­he­ri­gen Zustand wie­der­her­zu­stel­len, heu­te muss viel mehr geschehen.

Es wird immer wahr­schein­li­cher, dass die Anpas­sung des Lebens an die Fol­gen der glo­ba­len Erd­er­wär­mung eine neue Prio­ri­tät wird. Aber das kann auch Augen­wi­sche­rei sein, solan­ge der Kampf gegen die immer offen­sicht­li­che­ren Ursa­chen der Kata­stro­phen auf der Strecke bleibt.

Der anthro­po­ge­ne Treib­haus-Effekt, vom AfD-Chef Meu­then noch unmit­tel­bar nach der Kata­stro­phe in einem ZDF-Inter­view geleug­net, ist die Ursa­che für unge­wöhn­li­che Wet­ter­ereig­nis­se. Wald­brän­de, Was­ser­man­gel und lan­ge Trocken­zei­ten in vie­len Tei­len der Erde und andern­orts mas­si­ve und häu­fi­ge Flut­ka­ta­stro­phen sind kei­ne regio­na­len Ereig­nis­se mehr. Selbst wer in Zwei­fel zieht, dass es eine men­schen­ge­mach­te Zukunfts­ge­fähr­dung gibt, wäre doch gehal­ten, im eige­nen Über­le­bens­in­ter­es­se so lan­ge Vor­sicht wal­ten zu las­sen, bis es ein­hel­lig fest­steht, ob die exi­sten­zi­el­le Gefahr exi­stiert oder nicht.

Gro­ße Tei­le der Indu­strie, die im glo­ba­len Kon­kur­renz­kampf ums öko­no­mi­sche Über­le­ben ste­hen, bie­ten ver­mehrt smar­te, tech­ni­sche Aus­we­ge in Rich­tung Nach­hal­tig­keit an, etwa E-Autos, Atom­kraft und vie­le wei­te­re als »grün« ver­kauf­te Pro­duk­te, die letzt­lich ein »Wei­ter-so« ver­hei­ßen. Dabei wer­den etwa die gro­ßen Risi­ken der Atom­kraft und deren unüber­schau­ba­re Fol­ge­ko­sten für die Ent­sor­gung eben­so aus­ge­blen­det wie bei den E-Autos der Res­sour­cen­ver­brauch für Karos­se­rie und Akku und der hohe CO2-Anteil im Pro­zess ihrer Her­stel­lung. Der Anteil des Mili­tär­sek­tors wird gleich kom­plett aus der Kli­ma-Bilanz her­aus­ge­hal­ten. Flug­rei­sen wer­den als »kli­ma­neu­tral« gela­belt, etwa weil die Flug­ge­sell­schaft eine »Kli­ma­ab­ga­be« lei­stet oder in Auf­for­stungs­pro­jek­te inve­stiert. Sol­che Ver­kaufs­stra­te­gie kann man nur Green­wa­shing nen­nen. Die Emis­sio­nen der glo­ba­len Luft­fahrt haben sich laut EU-Par­la­ment in den letz­ten zwan­zig Jah­ren verdoppelt.

Der Club of Rome-Bericht »Die Gren­zen des Wachs­tums« von 1972 for­mu­lier­te: »Wir sind (…) über­zeugt, dass jeder ver­nünf­ti­ge Ver­such, einen dau­er­haf­ten Gleich­ge­wichts­zu­stand durch geplan­te Maß­nah­men her­bei­zu­füh­ren, letzt­lich nur bei grund­sätz­li­cher Ände­rung der Wert- und Ziel­vor­stel­lun­gen des ein­zel­nen, der Völ­ker und auf Welt­ebe­ne gekrönt sein wird. (…) Nur ein ech­tes Ver­ständ­nis der Bedin­gun­gen, unter denen die Mensch­heit an die­sem Wen­de­punkt der Geschich­te steht, kann die not­wen­di­gen Trieb­kräf­te frei­set­zen, (…) um einen Gleich­ge­wichts­zu­stand zu errei­chen.« Mit dem Gleich­ge­wichts­zu­stand mein­te der Club of Rome eine Balan­ce zwi­schen Ver­brauch von Res­sour­cen und deren Nachwachsen.

Der Kapi­ta­lis­mus hat sich als unfä­hig erwie­sen, einen sol­chen Zustand her­bei­zu­füh­ren. Der soge­nann­te »Erd­er­schöp­fungs­tag«, das heißt der Zeit­punkt im Jahr, an dem die Mensch­heit so viel Res­sour­cen ver­braucht hat, wie die Erde nach­wach­sen lässt, hat sich seit Ver­öf­fent­li­chung des Club of Rome-Berichts von Anfang Dezem­ber auf Ende August nach vor­ne gescho­ben. Wir leben also immer stär­ker auf Kosten der Nachgeborenen.

For­de­run­gen und Ver­spre­chun­gen, die Kata­stro­phen­fol­gen zu besei­ti­gen, bewe­gen sich auf der Ebe­ne der Sym­pto­me; sie kön­nen beschwich­ti­gen und so die eigent­lich erfor­der­li­chen Umwäl­zun­gen der Lebens­ver­hält­nis­se, wie sie der Club of Rome an der zitier­ten Stel­le sei­nes »Berichts zur Lege der Mensch­heit« ein­for­der­te, verhindern.

Bei der Suche nach den Ursa­chen ist immer auch die Fra­ge nach dem System zu stel­len, das die Mensch­heit in die aktu­el­le Lage gebracht hat. Der Psy­cho­lo­ge Ronald Laing sprach 1967 auf dem inter­na­tio­na­len Kon­gress der Stu­den­ten­be­we­gung »Dia­lek­tik der Befrei­ung« in Lon­don von einer dop­pel­ten »Unwis­sen­heit«, die das System pro­du­zie­re. Er mein­te damit ein Unwis­sen über das System als Aus­gangs­punkt und letzt­lich als Ursa­che vie­ler der Pro­ble­me, denen die Men­schen im All­tag aus­ge­setzt sind, und zugleich auch ein Unwis­sen über die­se Unwis­sen­heit. Die­se mehr­fa­che Blind­heit ent­steht, wenn die Ver­ar­bei­tung von Erfah­run­gen auf der Ober­flä­che der sinn­li­chen Wahr­neh­mung stecken­bleibt. Wer kei­nen Blick für die Zusam­men­hän­ge und Ent­wick­lungs­sta­di­en von Pro­zes­sen des Lebens hat, der hat auch kei­nen Blick für die­se Wahr­neh­mungs­be­schrän­kung an sich selbst.

Das kapi­ta­li­sti­sche Kon­kur­renz- und Pro­fit­sy­stem mit sei­nem Wachs­tums­dog­ma gefähr­det im begrenz­ten System Erde unser aller Zukunft. Des­halb müs­sen Refor­men wie die Ener­gie­wen­de, der Aus­bau des öffent­li­chen Per­so­nen- und Nah-Ver­kehrs, eine Bedürf­nis-ori­en­tier­te Kon­sum-Poli­tik, ohne pri­va­te Berei­che­rung von immer weni­ger Kon­zer­nen auf Kosten der Gesund­heit von Mensch, Tier und Natur, auf eine Über­win­dung des Kapi­ta­lis­mus aus­ge­rich­tet wer­den, um wirk­lich nach­hal­tig sein zu können.

Die Per­spek­ti­ve auf eine System­über­win­dung wird oft mit dem Ver­weis auf die Not­wen­dig­keit der Real­po­li­tik abge­lehnt. Soge­nann­te Real­po­li­tik nimmt den Kapi­ta­lis­mus hin. Das kann dazu füh­ren, dass die Kata­stro­phe unver­meid­lich wird. Es geht des­halb dar­um, das als unmög­lich Erschei­nen­de anzu­stre­ben und Refor­men mit die­ser Per­spek­ti­ve zu ver­bin­den. Andern­falls droht dem Lebens­raum Erde der Kollaps.

Beson­ders schnell und ein­fach zu begrün­den, ist eine kon­se­quen­te Frie­dens- und Abrü­stungs­po­li­tik als Bedin­gung für Nach­hal­tig­keit. Die über 2000 Mil­li­ar­den Welt­rü­stungs­aus­ga­ben bedeu­ten, dass die Mensch­heit pro Minu­te cir­ca vier Mil­lio­nen US-Dol­lar in dem Mili­tär­sek­tor ver­brennt. Das ist eine unver­ant­wort­li­che Res­sour­cen­ver­nich­tung und führt dar­über hin­aus zu einem Aus­stoß an Ver­bren­nungs­ab­ga­sen, der sei­nes­glei­chen sucht. In die­ser Hin­sicht wer­den übri­gens alle Pro­gram­me der Par­tei­en, die sich um die Kanz­ler­schaft bewer­ben, den Über­le­bens­in­ter­es­sen der Mensch­heit nicht gerecht. Die Zukunft der Mensch­heit setzt vor­aus, dass sie eine fried­li­che wird.

Ent­spre­chend wäre der Bun­des­etat umzu­schich­ten: Neben deut­lich mehr Steu­ern für jene, die mehr abzu­ge­ben haben, tritt das Erfor­der­nis, bis­her vor­ge­se­he­ne Mili­tär­mil­li­ar­den für Sofort­hil­fe und den sozi­al gerech­ten, nach­hal­ti­gen Umbau der Gesell­schaft zu nut­zen. Es ist fatal, dass schwe­res Gerät der Bun­des­wehr als Ret­ter beim Räu­men und Sichern ein­ge­setzt und pro­pa­gan­di­stisch ver­kauft wird. Dafür braucht es kei­ne Insti­tu­ti­on, deren Kern­zweck in der Zu-Ver­fü­gung-Stel­lung und Anwen­dung von Zer­stö­rungs­kräf­ten liegt. Gerät und Res­sour­cen für die Kata­stro­phen­hil­fe gehö­ren in die Hän­de von Kata­stro­phen­hel­fern wie dem Tech­ni­schen Hilfswerk.

Neben die vie­ler­orts ermu­ti­gend erleb­ba­re Soli­da­ri­tät und Ein­satz­be­reit­schaft muss eine weit­sich­ti­ge frie­dens­öko­lo­gi­sche Poli­tik die Zukunft gestal­ten, damit die Zivi­li­sa­ti­on im viel­leicht noch gege­be­nen Zeit­fen­ster das ret­ten­de Ufer errei­chen kann.