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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Weil jetzt ein solcher Tag ist …

»Ent­schul­di­gung, jun­ge Frau. Weil jetzt ein sol­cher Tag ist, ändert man nicht die Poli­tik«, sag­te Armin Laschet, NRW-Mini­ster­prä­si­dent, auf die Fra­ge einer WDR-Repor­te­rin, ob er sei­ne Kli­ma-Poli­tik ändern wer­de ange­sichts der Kata­stro­phen in Rhein­land-Pfalz und NRW (jW 17./18.07.21). Und er hat dabei nicht mal gelacht!

Nein, egal wel­che Tage sind, die CDU ändert ihre Poli­tik nicht. Auch gegen die eige­nen Ein­sich­ten. Schon 2013 bemän­gel­te die Bun­des­re­gie­rung in einer Ana­ly­se die Kri­sen-Kom­mu­ni­ka­ti­on bei Kata­stro­phen. Das wur­de mit zwei Löchern ver­se­hen und abge­hef­tet. Aber nach See­ho­fers Mei­nung ist der Kata­stro­phen­schutz in Deutsch­land »gut auf­ge­stellt«. So gut, dass ein Kli­ma­for­scher aus Ban­gla­desch es nicht glau­ben will: »Bei einer Flut wie die­ser muss eigent­lich kein ein­zi­ger Mensch ster­ben«, meint Salee­mul Huq. Jeden­falls in Ban­gla­desch nicht mehr, wo man aus den regel­mä­ßi­gen Hoch­was­ser­ka­ta­stro­phen gelernt hat (maz 20.07.21). Jetzt erst wird auch hier­zu­lan­de erwo­gen, die War­nun­gen per sms an alle Bewoh­ner zu geben – wenn schon die Sire­nen nicht funktionieren.

Juli­an Assan­ge muss­te sei­nen 50. Geburts­tag im Hoch­si­cher­heits­trakt »fei­ern«. Aber er erhielt ein Geburts­tags­ge­schenk: Der Haupt­zeu­ge gegen ihn, Sigur­dur Ingi Thor­dar­son, hat sei­ne Aus­sa­gen zurück­ge­zo­gen. Der islän­di­sche Staats­bür­ger, der seit 2010 Frei­wil­li­ger bei Wiki­leaks ist, hat sich dem­nach der US-Bun­des­po­li­zei FBI für 5.000 US-Dol­lar als Infor­mant ange­dient. Wie er nun gegen­über Repor­tern zuge­ge­ben hat, habe er wich­ti­ge Tei­le der Vor­wür­fe, auf die sich die US-Ankla­ge­schrift stützt, erfun­den. Im Gegen­zug sei ihm Immu­ni­tät in Bezug auf sei­ne kri­mi­nel­len Akti­vi­tä­ten – Miss­brauch Min­der­jäh­ri­ger und weit­rei­chen­der Finanz­be­trug – ver­spro­chen wor­den (jW 28.06.21). Ändert die US-Regie­rung jetzt ihre Poli­tik gegen­über Assange?

Gehei­me Unter­la­gen aus dem bri­ti­schen Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­um hat ein Mit­ar­bei­ter an einer Bus­hal­te­stel­le ver­ges­sen. Ein Pas­sant ent­deck­te die durch­weich­ten Doku­men­te in der Graf­schaft Kent und über­gab sie der BBC. Es hand­le sich um knapp 50 Sei­ten, dis­ku­tiert wer­de dar­in etwa die mög­li­che Reak­ti­on Mos­kaus auf den Kurs des Zer­stö­rers »HMS Defen­der« durch Gewäs­ser vor der Krim. Die Spre­che­rin des rus­si­schen Außen­mi­ni­ste­ri­ums, Maria Sacha­rowa, erklär­te dazu über Tele­gram: »Wozu braucht es ›rus­si­sche Hacker‹, wenn es bri­ti­sche Bus­hal­te­stel­len gibt?« (dpa/​jW 26.06.21)

In Frank­reich scher­ten sich fast 90 Pro­zent der jun­gen Wahl­be­rech­tig­ten im Alter zwi­schen 18 und 24 Jah­ren nicht um die Mah­nun­gen der eta­blier­ten poli­ti­schen Kräf­te und blie­ben den Wahl­lo­ka­len beim zwei­ten Wahl­gang der Regio­nal­wah­len fern. Nach einer bemer­kens­wer­ten Umfra­ge unter jun­gen Men­schen fass­te die lin­ke Pari­ser Tages­zei­tung L’Humanité das Urteil die­ser Gene­ra­ti­on in der Ant­wort eines jun­gen Pär­chens zusam­men: »Die­ses poli­ti­sche System ekelt uns an – man wählt, und rein gar nichts ändert sich für uns. Sie (die Poli­ti­ker) leben in ihrer Bla­se, und wir sit­zen in der Schei­ße« (jW 29.06.21).

Ändert Mon­sieur Macron jetzt sei­ne Politik?

Immer­hin, etwas ist geän­dert wor­den: Nach zwan­zig Jah­ren zie­hen die deut­schen Trup­pen aus Afgha­ni­stan ab, gemein­sam mit Ame­ri­ka­nern, Bri­ten, Fran­zo­sen und vie­len, vie­len ande­ren. Der Krieg in Afgha­ni­stan hat in die­sen Jah­ren nach Schät­zun­gen etwa 185.000 zivi­le Todes­op­fer gefor­dert. Allein im Ver­lauf des letz­ten Jah­res fie­len den Kriegs­hand­lun­gen über 9.000 Zivi­li­sten und 10.000 afgha­ni­sche Sol­da­ten zum Opfer. Zig­tau­sen­de Afgha­nen flie­hen nun vor den vor­rücken­den Tali­ban, die offen­bar als ein­zi­ge noch die Kraft haben, sich durch­zu­set­zen. Waren unse­re Trup­pen nicht des­halb ein­mar­schiert, um die Tali­ban zu ent­mach­ten? Wird jetzt unse­re Poli­tik geändert?

Der nord­rhein-west­fä­li­sche Mini­ster­prä­si­dent Armin Laschet (CDU) hat Feh­ler bei den Maß­nah­men zur Ein­däm­mung der Coro­na-Pan­de­mie ein­ge­räumt. »Die Ent­schei­dun­gen, die dazu geführt haben, dass Men­schen ein­sam ster­ben muss­ten, waren ein gra­vie­ren­der Feh­ler«, sag­te Laschet am Mitt­woch bei einer Gedenk­stun­de für die Opfer der Pan­de­mie im Düs­sel­dor­fer Land­tag. Er glau­be, dass auch die Ein­sam­keit und die sozia­le Iso­la­ti­on den Tod von gelieb­ten Ange­hö­ri­gen zur Fol­ge gehabt hät­ten. »Auch dem müs­sen wir, die wir Ver­ant­wor­tung tra­gen, uns stel­len«, sag­te der CDU-Vor­sit­zen­de und Uni­ons­kanz­ler­kan­di­dat (AFP/​jW 01.07.21). Nun, dann stellt Euch mal. Aber wird jetzt die Poli­tik geän­dert? Wer­den die Schu­len mit Lüf­tern ver­sorgt, die Pfle­ge­kräf­te bes­ser bezahlt, die Alten geschützt? Ach nein, wegen eines sol­chen Gedenk­ta­ges wird doch nicht die Poli­tik geändert!

So ein Tag, so wun­der­schön wie heu­te…, das hät­ten die deut­schen Fuß­ball­fans zu ger­ne mal wie­der gesun­gen. Aber: »Aggres­si­ve Eng­län­der haben den Traum vom vier­ten deut­schen Euro­pa­mei­ster­ti­tel abrupt zer­stört«, erklär­te die Deut­sche Pres­se­agen­tur am 30.06.21 über das Aus der deut­schen Her­ren­fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft bei der Euro­pa­mei­ster­schaft. Unse­re Her­ren ball­spie­len­den Mil­lio­nä­re ändern ihre Spiel­wei­se des­we­gen auch nicht.

Der Hun­ger in der Welt hat sich im Jahr 2020 dra­ma­tisch aus­ge­brei­tet. Das geht aus dem aktu­el­len Bericht »Der Stand der Ernäh­rungs­si­cher­heit und Ernäh­rung in der Welt 2021« her­vor, den fünf Orga­ni­sa­tio­nen der UN am 12.07. gemein­sam ver­öf­fent­lich­ten. Alar­mie­ren­de Bilanz: Min­de­stens ein Zehn­tel der Welt­be­völ­ke­rung war unter­ernährt, das sind 811 Mil­lio­nen Men­schen – dar­un­ter vie­le Kin­der (jW 14.07.21).

Der Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on Oxfam zufol­ge ster­ben mehr Men­schen an Hun­ger als an Covid-19. Oxfam beton­te, Hun­ger wer­de absicht­lich als Kriegs­waf­fe ein­ge­setzt. So wür­den Zivi­li­sten Trink­was­ser und Lebens­mit­tel vor­ent­hal­ten, Märk­te bom­bar­diert, Getrei­de in Brand gesetzt und Nutz­tie­re getö­tet (jW 10./11.07.21). Und – ändert man des­we­gen etwa die Politik?

Da gibt mir doch Frau Mer­kel einen gewis­sen Trost. Sie sag­te auf ihrer letz­ten Pres­se­kon­fe­renz den wie in Stein gehaue­nen Satz: »Ten­den­zi­ell gibt es bei Frau­en eine gewis­se Sehn­sucht nach Effi­zi­enz« (maz 23.07.21). Wenn die mal nicht die Poli­tik des Nichts­tuns ändern, wie Frau Mer­kel es – nicht – getan hat!