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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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George Grosz im Käthe-Kollwitz-Museum

Es war Eva Grosz, die 1950 ein Wie­der­gut­ma­chungs­ver­fah­ren im Nach­kriegs­deutsch­land ein­lei­te­te – das Ver­mö­gen des Ehe­paa­res Grosz war in Hit­ler-Deutsch­land beschlag­nahmt wor­den, es war auch der Besitz­an­teil am Wohn­haus am Savi­gny­platz in Ber­lin ver­lu­stig gegan­gen. Fast 300 Wer­ke von Grosz hat­ten die Nazis aus deut­schen Muse­en ent­fernt und zum gro­ßen Teil ver­nich­tet. Erst der Arzt Rudolf Oman­sen ver­half durch sein Gut­ach­ten, das er nach einer Unter­su­chung des see­lisch wie kör­per­lich geschwäch­ten Künst­lers anfer­tig­te, dem Antrag vier Jah­re spä­ter zum Erfolg. Für die nun ein­set­zen­de Freund­schaft blieb den bei­den Män­nern nur noch wenig Zeit, denn Grosz starb bereits Anfang Juli 1959. Aber aus ihr gin­gen bis­her so gut wie unbe­kann­te Illu­stra­tio­nen zu einer Geschich­te von Oman­sen her­vor, die jetzt erst – 60 Jah­re spä­ter – von der Bücher­gil­de Guten­berg in einer biblio­phi­len Aus­ga­be her­aus­ge­bracht wur­de. Wir haben es hier nicht nur mit der Wie­der­ent­deckung eines gro­tes­ken Erzäh­lers, son­dern eben auch bei den köst­li­chen Tusch­zeich­nun­gen von Grosz mit des­sen letz­ter Bild­fol­ge zu tun, die er gezeich­net hat und die unser Grosz-Bild wesent­lich erwei­tern wird.

Oman­sens Kurz­er­zäh­lun­gen, bei denen es es um Psy­cho­sen, Trau­ma­ta, Erin­ne­run­gen geht, zei­gen ein addi­ti­ves Bau­sche­ma. Mit küh­ler, distan­zier­ter Prä­zi­si­on wird Gesche­hen an Gesche­hen anein­an­der­ge­reiht. In der Haupt­er­zäh­lung »Das unheim­li­che Huhn« beob­ach­tet der Leser den gro­tes­ken Kampf eines Archäo­lo­gie-Pro­fes­sors mit einem ima­gi­nier­ten Huhn, das ihm nachts erscheint und Besitz von sei­ner Exi­stenz ergreift. In kur­zem, knap­pem Stak­ka­to einer Erzähl­tech­nik, die durch­weg bei den Sym­pto­men bleibt, wird dem Leser ein gro­tesk anmu­ten­der Vor­gang mit­ge­teilt, unter­bro­chen von kur­zen Ein­schü­ben des inne­ren Mono­logs, die Auf­schluss geben über die jewei­li­gen Inten­tio­nen des Prot­ago­ni­sten. Die Para­bel wird weder auf­ge­löst, noch ste­hen Indi­zi­en für ihre Ent­schlüs­se­lung bereit. Und doch muss sich Grosz, selbst von Trau­ma­ta heim­ge­sucht, ange­regt gefühlt haben, die Geschich­te zu illu­strie­ren. Mit wel­cher Genug­tu­ung erwürgt der Pro­fes­sor, der die Züge des sich immer wie­der in neu­en Rol­len pro­du­zie­ren­den Grosz ange­nom­men hat, sein ihn pei­ni­gen­des Phan­tom. Und den­noch habe er, so endet die Geschich­te lapi­dar, »wegen eines schi­zo­phre­nen Schu­bes« in die Irren­an­stalt ein­ge­lie­fert, immer nur von einem Huhn gespro­chen, »das er schein­bar sehr geliebt habe«.

Um die­se Illu­stra­ti­ons­fol­ge und die ihr zugrun­de lie­gen­de Geschich­te von Oman­sen grup­piert sich im Käthe-Koll­witz-Muse­um eine exqui­si­te Schau von Grosz-Wer­ken aus den letz­ten ame­ri­ka­ni­schen Jah­ren und der knap­pen Lebens­frist, die ihm nach der Heim­kehr nach Ber­lin noch gege­ben war. Immer wie­der ist behaup­tet wor­den, dass dem exi­lier­ten Künst­ler der kri­ti­sche Blick, der ihn in den Jah­ren der Wei­ma­rer Repu­blik aus­zeich­ne­te, ver­lo­ren­ge­gan­gen sei. Die klug aus­ge­wähl­ten Wer­ke spre­chen eine ande­re Spra­che: Das sind nicht die Beob­ach­tun­gen eines Sati­ri­kers, dem das in Hass­lie­be ver­bun­de­ne Objekt – das Deutsch­land zwi­schen den bei­den Welt­krie­gen – lang­sam abhan­den­ge­kom­men ist. Ja, Grosz’ ame­ri­ka­ni­schen Arbei­ten fehl­te die kon­trast­rei­che Hier­ar­chi­sie­rung, das Gegen­ein­an­der von Oben und Unten. Es war zu einer Motiv­ver­än­de­rung gekom­men, die Dar­stel­lung der Natur war in den Vor­der­grund getre­ten, dane­ben ent­stan­den Still­le­ben, eine schein­ba­re Idyl­le, ande­rer­seits aber eben auch apo­ka­lyp­ti­sche Dar­stel­lun­gen und Bür­ger­kriegs­the­men. Die Bit­ter­keit, das Gro­tes­ke rich­te­ten sich gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus und den Faschis­mus in Euro­pa. End­zeit­vi­sio­nen in der Nach­fol­ge Brue­gels, Boschs und der Welt der Grau­sam­kei­ten Goyas entstanden.

Die Tusch­zeich­nung »Apo­ka­lyp­ti­scher Rei­ter« hat­te er im drit­ten Jahr des Zwei­ten Welt­krie­ges noch­mals als Ölge­mäl­de aus­ge­führt und 1943 das unheim­li­che Bild »Der Wan­de­rer« voll­endet. Es zeigt den Künst­ler ein­sam in einer Sturm­nacht durch tie­fen Morast waten. Grosz schuf Visio­nen des gro­ßen Völ­ker­mor­dens in Euro­pa. Und nach Kriegs­en­de mal­te er 1946 das sur­rea­li­sti­sche Bild »Der Höl­len­schlund«, das eben­so ergrei­fend ist wie das Gemäl­de »Frie­de II«. »Es stellt eine durch­lö­cher­te Welt dar, jeden­falls einen teil­wei­se durch­lö­cher­ten Teil einer Traum­welt«, äußer­te sich der Künst­ler. Grosz wur­de jetzt zu den zehn bedeu­tend­sten Malern in den USA gezählt. Aber sei­ne Bil­der konn­te er nicht ver­kau­fen. 1948 zeig­te er eine Aus­stel­lung unter dem Titel »The Stick Men« – Insek­ten­men­schen, apo­ka­lyp­ti­sche Prot­ago­ni­sten, die die Gestalt von Spin­nen oder Käfern ange­nom­men haben. Es sind Prot­ago­ni­sten des Nichts in Nicht-Land­schaf­ten – Aus­druck sei­nes kul­tur­kon­ser­va­ti­ven Pes­si­mis­mus. Anfang der 1950er Jah­re befand sich Grosz in hel­ler Ver­zweif­lung – Lee­re, Ver­druss, Mut­lo­sig­keit hat­ten ihn über­fal­len. So kam es zu zwei Rei­sen nach Deutsch­land, auf der zwei­ten fiel die Ent­schei­dung, end­gül­tig nach Ber­lin zurück­zu­keh­ren. Sei­ne Frau Eva dräng­te dar­auf, doch auch Grosz resi­gnier­te ange­sichts des flä­chen­decken­den Erfol­ges des Abstrak­ten Expres­sio­nis­mus in Ame­ri­ka. Aber war die Kunst­sze­ne in Nach­kriegs­deutsch­land tat­säch­lich der Figu­ra­ti­on zuge­neigt, wie Grosz zunächst glaubte?

Vor­her ent­stan­den in den Staa­ten noch Col­la­gen in einem post­da­da­isti­schen Sin­ne – sind sie ein Vor­griff auf die Pop Art oder Selbst­pla­gi­at? Die Col­la­gen sind gro­tesk, bruch­stück­haft, ent­lar­vend, in »Mys­elf and New York« (1957) führt Grosz sich selbst als Clown und Varie­té­girl auf, Abge­sang auf eine Kunst, die im kapi­ta­li­stisch-satu­rier­ten Groß­stadt­mo­loch über­flüs­sig gewor­den zu sein scheint. Der Künst­ler spiel­te als kalei­do­sko­pi­sches Vexier­spiel schein­ba­rer Selbst­er­kennt­nis auch »Model­le eige­nen Ver­hal­tens vor, durch die er zeig­te, was für ein Mann der G. G. eigent­lich sei«. In »The Pain­ter of the Hole II« (1950) weist der Maler das Ergeb­nis sei­nes Schaf­fens vor, eine Lein­wand mit einem gro­ßen Loch, durch das eine Rat­te kriecht.

Grosz bleibt ein Mensch in sei­nen Wider­sprü­chen. Aber sei­ne Zeich­nun­gen durch­drin­gen Zer­fall und Düster­nis wie Rönt­gen­fo­to­gra­fie und Psy­cho­ana­ly­se. Sei­ne Bild­sa­ti­re ist bei­ßen­der poli­ti­scher Kom­men­tar, kari­kier­te Ent­blö­ßung und ste­reo­ty­pe Ver­höh­nung – eben auch der eige­nen Per­son. »Mei­ne Bil­der sind Zeu­gen mei­nes inne­ren Lebens«, bekann­te Grosz – und gera­de die­ser Blick in das eige­ne Spie­gel­bild zeich­net die Aus­stel­lung aus.

»Geor­ge Grosz – Das Huhn im Kopf. Ver­fe­mung, Trau­ma und Ent­schä­di­gung« im Käthe-Koll­witz-Muse­um Ber­lin-Char­lot­ten­burg, Fasa­nen­stra­ße 24, täg­lich 11 – 18 Uhr, bis 27. Okto­ber. Begleit­pu­bli­ka­ti­on »Geor­ge Grosz, Rudolf Oman­sen und ein Huhn« (Bücher­gil­de Guten­berg, 72 Sei­ten, 28 €).