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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Geschlecht nach Wahl

Stel­len Sie sich vor, Sie gehen in die Sau­na, und zwar in die Frau­en­sauna. Sie möch­ten, wenn Sie nackt sind und sich ent­span­nen wol­len, unter Frau­en sein. Plötz­lich betritt ein Mann den Raum und setzt sich zwi­schen den weib­li­chen Sau­na­gä­sten auf eine der Holz­bän­ke. Zumin­dest den­ken Sie, es hand­le sich um einen Mann, denn die­ser Mensch hat einen dunk­len Bart, beträcht­li­che Kör­per­be­haa­rung – und einen Penis. Die Frau­en in der Sau­na sind irri­tiert, eini­ge erschrocken Was macht ein Mann in der Frau­en­sauna? Doch die Per­son erklärt Ihnen: Sie sei gar kein Mann, son­dern eine Frau. Der her­bei­ge­ru­fe­ne Bade­mei­ster bestä­tigt nach einem Blick in ein Aus­weis­do­ku­ment des Bade­ga­stes: Es han­delt sich um eine Frau. Die Per­son mit Penis darf in der Frau­en­sauna bleiben.

Stel­len Sie sich vor, an einer Hoch­schu­le wird die Stel­le der Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten aus­ge­schrie­ben, und zwar für eine Frau. So sieht es das Hoch­schul­ge­setz vor, denn die Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­te wird auch für die Betreu­ung und Beglei­tung von Opfern sexu­el­ler Belä­sti­gung zustän­dig sein. Die wür­den sich ungern an einen Mann wen­den. Auf die Stel­le bewirbst sich – ein Mann. Zumin­dest den­ken Sie, es hand­le sich um einen Mann, denn die­ser Mensch hat eine Glat­ze, eine tie­fe Stim­me – und einen männ­li­chen Namen. Doch die Per­son erklärt Ihnen: Sie sei gar kein Mann, son­dern eine Frau. Und tat­säch­lich: Ihr Pass weist die Per­son als Frau aus. Sie darf sich auf die Stel­le bewerben.

Stel­len Sie sich vor, die 15-jäh­ri­ge Toch­ter Ihrer Freun­din erklärt von einem Tag auf den ande­ren, sie sei ein Jun­ge. Die Freun­din ist ver­blüfft, denn bis dato hat­te die Toch­ter nie ein Unbe­ha­gen mit ihrem Mäd­chen­kör­per oder ihrem Geschlecht gehabt. Doch das Mäd­chen beharrt auf sei­ner Behaup­tung, »im fal­schen Kör­per zu stecken« und ver­kün­det, nun so schnell wie mög­lich Hor­mo­ne neh­men zu wol­len, um ihren Kör­per ihrem »wah­ren« Geschlecht anzu­pas­sen. Außer­dem wol­le sie so rasch wie mög­lich eine Mastek­to­mie, also eine Brust­am­pu­ta­ti­on. Ihre Freun­din ist ver­zwei­felt und möch­te zunächst mit einem The­ra­peu­ten abklä­ren, was den so dring­li­chen Wunsch der Toch­ter eigent­lich aus­ge­löst hat. Doch die Toch­ter wei­gert sich. Sie erklärt, sie sei ganz sicher, ein Jun­ge zu sein und will ihr »rich­ti­ges« Geschlecht beim ört­li­chen Stan­des­amt ein­tra­gen las­sen. Falls die Mut­ter nicht zustim­me, erklärt sie, wer­de sie ihren »Geschlechts­wech­sel« vor dem Fami­li­en­ge­richt ein­kla­gen. Ihre Freun­din will mit ihrer Toch­ter nicht vor Gericht zie­hen und gibt ihre Erlaub­nis. Die 15-Jäh­ri­ge gibt vor dem Stan­des­be­am­ten eine Erklä­rung ab und nach einer Frist von drei Mona­ten wird der Geschlechts­wech­sel rechts­kräf­tig. Die Toch­ter Ihrer Freun­din ist ab jetzt offi­zi­ell ihr »Sohn« und trägt, so steht es auch im geän­der­ten Per­so­nal­aus­weis, einen Jun­gen­na­men. Jetzt, wo sie so leicht und offi­zi­ell beglau­bigt zum »Jun­gen« wur­de, will die Jugend­li­che, die kör­per­lich immer noch ein Mäd­chen ist, das Testo­ste­ron und die Mastek­to­mie so schnell wie mög­lich. Dazu braucht sie ärzt­li­che Beglei­tung, aber weder The­ra­peut noch Endo­kri­no­lo­ge haben ernst­haf­te Beden­ken. Der »Jun­ge« hat sei­nen Per­so­nen­stand ja schon geän­dert und damit gezeigt, wie ernst ihm die Sache ist. Ihre Freun­din goo­gelt im Netz nach »Mastek­to­mien für Min­der­jäh­ri­ge« und stellt fest: Es gibt Kli­ni­ken, die eine Brust­am­pu­ta­ti­on – nach einem »psy­cho­lo­gi­schen Indi­ka­ti­ons­schrei­ben« – auch für unter 18-Jäh­ri­ge anbieten.

Ein bio­lo­gi­scher Mann in der Frau­en­sauna oder als Frau­en­be­auf­trag­te? Ein 15-jäh­ri­ges Mäd­chen, das mit einem ein­fa­chen Gang zum Stan­des­amt zum »Jun­gen« wird? Kann nicht sein? Doch, kann es. Wenn die Ampel dar­an fest­hält, das soge­nann­te »Selbst­be­stim­mungs­ge­setz« in sei­ner jet­zi­gen Form zu beschlie­ßen. Laut Gesetz­ent­wurf, der seit Ende Mai vor­liegt, könn­te jeder und jede mit einem Gang zum Stan­des­amt sei­nen oder ihren Geschlechts­ein­trag ändern. Und zwar völ­lig vor­aus­set­zungs­los, mit einer schrift­li­chen Erklä­rung: »Die Per­son hat mit ihrer Erklä­rung zu ver­si­chern, dass der gewähl­te Geschlechts­ein­trag ihrer Geschlechts­iden­ti­tät am besten ent­spricht«, heißt es in § 2 des »Geset­zes über die Selbst­be­stim­mung in Bezug auf den Geschlechts­ein­trag« (SBGG). Für den Geschlechts­ein­trag gibt es vier Mög­lich­kei­ten: weib­lich, männ­lich, divers oder kein Eintrag.

Erwach­se­ne geben die Erklä­rung selbst ab, bei Jugend­li­chen zwi­schen 14 und 18 Jah­ren müs­sen die Erzie­hungs­be­rech­tig­ten zustim­men. Tun sie das nicht, »ersetzt das Fami­li­en­ge­richt die Zustim­mung, sofern dies nicht dem Kin­des­wohl ent­ge­gen­steht«. Auch bei Kin­dern kann der Geschlechts­ein­trag schon geän­dert wer­den. Eltern kön­nen ihren Sohn beim Stan­des­amt zur Toch­ter erklä­ren (und umge­kehrt), und das ohne eine ein­zi­ge Kon­sul­ta­ti­on eines Psy­cho­lo­gen oder einer Ärz­tin. Und: Der Geschlechts­ein­trag kann ein­mal jähr­lich kor­ri­giert werden.

Das heißt: Das SBGG wür­de die Kate­go­rie Geschlecht, die eine juri­sti­sche, bio­lo­gi­sche und sozia­le Rea­li­tät ist, de fac­to abschaf­fen. Die Ant­wort auf die Fra­ge »Was ist eine Frau?« wür­de also künf­tig lau­ten: »Eine Frau ist jeder, der sich zur Frau erklärt.«

Obwohl dies enor­me gesell­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen hät­te, hat die Gesell­schaft von die­sem geplan­ten Gesetz bis­her nur sehr wenig gehört. Die zustän­di­gen Mini­ste­ri­en, das feder­füh­ren­de Frau­en­mi­ni­ste­ri­um und das Justiz­mi­ni­ste­ri­um kom­mu­ni­zie­ren nur spär­lich, was sie da eigent­lich vor­ha­ben. Angeb­lich, so heißt es, beträ­fe das Gesetz nur die in der Tat sehr klei­ne Grup­pe trans­se­xu­el­ler Men­schen, denen man den Geschlechts­wech­sel erleich­tern wol­le. Das jedoch ist, wie die ein­gangs geschil­der­ten Bei­spie­le zei­gen, schlicht falsch.

Rich­tig ist, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in meh­re­ren Ent­schei­dun­gen die Reform des Trans­se­xu­el­len­ge­set­zes ein­ge­for­dert hat. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1981 und sah vor, dass Men­schen vor dem Geschlechts­wech­sel zwei unab­hän­gi­ge psy­cho­lo­gi­sche Gut­ach­ten bei­brin­gen müs­sen, die bestä­ti­gen, dass der Wunsch nach einem Geschlechts­wech­sel ernst­haft und dau­er­haft ist. Außer­dem wur­den die Men­schen zu einer geschlechts­an­glei­chen­den Ope­ra­ti­on ver­pflich­tet. Sie muss­ten dau­er­haft unfrucht­bar sein und sich, sofern ver­hei­ra­tet, schei­den las­sen, weil sie anson­sten in einer – damals noch ver­bo­te­nen – gleich­ge­schlecht­li­chen Ehe gelebt hätten.

Den OP-Zwang hat Karls­ru­he im Jahr 2011 wegen der hohen gesund­heit­li­chen Risi­ken für unzu­läs­sig erklärt, statt des Schei­dungs­zwangs gibt es heu­te die Ehe für alle. Nicht ange­ta­stet hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt jedoch die Gut­ach­ten­pflicht. Zwei­mal hat das Gericht erklärt, dass der Gesetz­ge­ber für einen Geschlechts­wech­sel »einen auf objek­ti­vier­te Kri­te­ri­en gestütz­ten Nach­weis zu ver­lan­gen« kön­ne, »um belie­bi­ge Per­so­nen­stands­wech­sel aus­zu­schlie­ßen«. Es sei wich­tig, »dem Per­so­nen­stand Dau­er­haf­tig­keit und Ein­deu­tig­keit zu ver­lei­hen«. Genau dies aber wür­de mit dem »Selbst­be­stim­mungs­ge­setz« abgeschafft.

Die Karls­ru­her Rich­te­rIn­nen hat­ten die Gefahr erkannt, die Frau­en- und Justiz­mi­ni­ste­ri­um geflis­sent­lich igno­rie­ren: Der Wunsch nach einer Geschlechts­um­wand­lung, erklär­te Karls­ru­he, kön­ne auch eine »Lösungs­scha­blo­ne für psy­cho­ti­sche Stö­run­gen, Unbe­ha­gen mit eta­blier­ten Geschlechts­rol­len­bil­dern oder für die Ableh­nung einer homo­se­xu­el­len Ori­en­tie­rung sein«.

Gera­de bei Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen müss­te dem Gesetz­ge­ber also eigent­lich dar­an lie­gen, soll­te man jeden­falls mei­nen, dass sehr genau hin­ge­schaut wird, was hin­ter dem Tran­si­ti­ons­wunsch steckt. Gera­de Mäd­chen stecken in engen Rol­len­kor­setts, auch und gera­de heut­zu­ta­ge: Mit Pho­to­shop bear­bei­te­te Influen­ce­rin­nen pushen die Bar­bie­fi­zie­rung der rosa Mäd­chen­welt in nie gekann­te Aus­ma­ße, unmensch­li­che Schön­heits- und Schlank­heits­idea­le sor­gen für ein Kör­per­ge­fühl im Dau­er­kri­sen­mo­dus und was die Kar­da­shi­ans nicht schaf­fen, erle­digt die omni­prä­sen­te Por­no­gra­fie, bei der schon elf­jäh­ri­ge Mäd­chen sehen, wofür ihre Kör­per zur Ver­fü­gung ste­hen sol­len. Dass Mäd­chen vor die­sen uner­füll­ba­ren Ansprü­chen kapi­tu­lie­ren und sich statt­des­sen ins ande­re, »star­ke« Geschlecht defi­nie­ren, ist nahe­lie­gend. Und sie tun es, das zei­gen die Zah­len in der gesam­ten west­li­chen Welt, erschreckend häu­fig. Sta­ti­sti­ken aus Eng­land und Schwe­den bele­gen, dass die Gen­der­am­bu­lan­zen bei den Mäd­chen Zuwäch­se von bis zu 4.000 Pro­zent ver­zeich­nen. In Deutsch­land, so ergab eine Recher­che des Spie­gel, sind inzwi­schen acht von zehn Jugend­li­chen, die die Gen­der­am­bu­lan­zen stür­men, Mäd­chen. War­um das so ist?

Das wäre eine der Fra­gen, die sich Frau­en­mi­ni­ste­rin Lisa Paus (Grü­ne) stel­len müss­te, aber sie tut es nicht, denn: Sie kennt die Sta­ti­sti­ken nicht, wie sie auf einer Pres­se­kon­fe­renz mit ver­blüf­fen­der Offen­heit erklärte.

Auf die­ser Pres­se­kon­fe­renz, bei der Paus gemein­sam mit Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ster Mar­co Busch­mann (FDP) im Juni 2022 die »Eck­punk­te« des geplan­ten Geset­zes vor­stel­le, erstaun­te die Frau­en­mi­ni­ste­rin auch mit einer wei­te­ren Aus­sa­ge. Auf die Fra­ge eines Jour­na­li­sten, wie sie denn das Sicher­heits­ge­fühl von Frau­en gewähr­lei­sten wol­le, wenn jeder Mann sich vor­aus­set­zungs­los zur Frau erklä­ren und so in geschütz­te Frau­en­räu­me wie Frau­en­saunen, Frau­en­du­schen oder Frau­en­um­klei­den ein­drin­gen kön­ne, ant­wor­te­te Paus: »Trans­frau­en sind Frau­en. Des­halb sehe ich hier kei­nen wei­te­ren Erörterungsbedarf.«

Erör­te­rungs­be­darf hat­ten jedoch vie­le ande­re. »Eine rie­si­ge Wel­le von Men­schen« habe »Pro­ble­me und Beden­ken geäu­ßert«, gab Justiz­mi­ni­ster Busch­mann in der FAZ zu. Auch vie­le Femi­ni­stin­nen pro­te­stier­ten laut­stark, dar­un­ter auch die EMMA, die schon früh und seit­her immer wie­der auf die Gefah­ren des Geset­zes auf­merk­sam gemacht hatte.

Immer­hin – der Justiz­mi­ni­ster begriff schließ­lich, dass es kei­ne gute Idee wäre, das bio­lo­gi­sche Geschlecht qua Gesetz grund­sätz­lich für irrele­vant zu erklä­ren. Und so sorg­te Busch­mann dafür, dass immer­hin an eini­gen Stel­len im Gesetz­ent­wurf Aus­nah­men von der Selbst­be­stim­mungs-Regel gel­ten sol­len: Beim Schul­sport und bei Sport­tests kann die Bewer­tung »unab­hän­gig vom aktu­el­len Geschlechts­ein­trag gere­gelt wer­den«. Bei Gesund­heits­lei­stun­gen zählt das bio­lo­gi­sche Geschlecht. Trans­frau­en kön­nen also zum Bei­spiel an der Pro­sta­ta­krebs-Vor­sor­ge­un­ter­su­chung teilnehmen.

Bei einem Sexu­al­straf­tä­ter, der sich zur Frau erklärt, kön­nen »die Per­sön­lich­keits­rech­te und Sicher­heits­in­ter­es­sen ande­rer Straf­ge­fan­ge­ner sei­ner Ver­le­gung in ein Frau­en­ge­fäng­nis gege­be­nen­falls ent­ge­gen­ste­hen«, heißt es nun im Ent­wurf. Frau­en­um­klei­den, Frau­en­du­schen, Frau­en­saunen? Per­so­nen kön­nen »nach einer Ände­rung des Geschlechts­ein­trags nicht ledig­lich unter Beru­fung auf den Ein­trag im Per­so­nen­stands­re­gi­ster zum Bei­spiel den Zugang zu geschlechts­spe­zi­fi­schen Toi­let­ten oder Umklei­de­räu­men ver­lan­gen«, steht jetzt im Refe­ren­ten­ent­wurf. Das ist immer­hin eine Aner­ken­nung des Pro­blems, eine Lösung ist es nicht. Denn das Gesetz macht das grund­sätz­li­che Pro­blem zur Ein­zel­fall­ent­schei­dung und wälzt die­se ab: auf den Bade­mei­ster, das Fit­ness-Stu­dio, das Frau­en­haus. Und natür­lich auf die betrof­fe­nen Frau­en, die zum Bei­spiel in der Dusche zunächst mit dem bio­lo­gi­schen Mann kon­fron­tiert sind und sich beschwe­ren müs­sen. Ob und wie das zustän­di­ge Per­so­nal reagiert, ist frag­lich. Doch sowie­so hat Fer­da Ata­man, die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­be­auf­trag­te des Bun­des, ihr Veto gegen die in den Ent­wurf geschrie­be­ne Ein­schrän­kung ein­ge­legt. »Eine Per­son nur wegen ihres Aus­se­hens abzu­wei­sen, ist und bleibt unzu­läs­sig«, erklär­te sie. Schließ­lich begeh­re hier ja kein Mann den Zugang zum geschütz­ten Frau­en­raum, »son­dern eine Frau«.

Infor­ma­ti­on: Zum Zeit­punkt der Druck­le­gung die­ses Hef­tes war noch vor­ge­se­hen, dass das Kabi­nett am 19. Juli den Refe­ren­ten­ent­wurf ver­ab­schie­det und so zu einem Gesetz­ent­wurf macht. Nach der am 4. August enden­den Som­mer­pau­se gin­ge das Gan­ze dann in den Bun­des­tag bzw. den Bundesrat.

Lese-Tipp: Her­aus­ge­ge­ben von Ali­ce Schwar­zer und Chan­tal Lou­is ist im Ver­lag Kie­pen­heu­er & Witsch das Buch »Trans­se­xua­li­tät: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streit­schrift« (kiwi-Taschen­buch) erschienen.