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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kafkas Oktavhefte auf der Bühne

Kaf­kas »Schloss« ist in den letz­ten Jah­ren mehr­fach zum Thea­ter­stück ver­ar­bei­tet wor­den. Die­ser unvoll­ende­te Roman ver­lei­tet zum Rau­nen und Ver­mu­ten. »Die acht Oktav­hef­te«, mit Blei­stift beschrie­be­ne Notiz­bü­cher im Post­kar­ten­for­mat, sind so dis­pa­rat, dass die Ver­su­chung gering ist, ihren Inhalt auf Fla­schen zie­hen zu wollen.

Der Abend ist von Anbe­ginn von Bewe­gung geprägt. Büh­nen­ar­beits­kräf­te, die immer wie­der ihre Funk­ti­on ver­än­dern, sind zunächst, wie es scheint, mit dem Auf­bau des Büh­nen­bilds auf fast völ­lig lee­rer Büh­ne beschäf­tigt. Es zeigt sich aber bald, dass dies nicht ihre ein­zi­ge Funk­ti­on ist; sie sin­gen zeit­wei­se als Chor und sind über­haupt in die »Hand­lung« ein­ge­bun­den. Was sie auf­bau­en, hat nicht immer Bestand. Eine Trep­pe, die nir­gend­wo­hin führt, wächst aus dem Büh­nen­bo­den. Türen wer­den auf­ge­baut. Sie wer­den geöff­net, geschlos­sen. Dahin­ter ste­hen immer wie­der ande­re Per­so­nen. Tei­le einer Stadt entstehen.

Trotz­dem bil­det sich in aller Bewe­gung eine Struk­tur; sie stellt den Dich­ter und sein Werk in Andeu­tun­gen dar. Kaf­ka (Lars Rudolph) erscheint als der Ein­zel­gän­ger, der zudem unter der Laut­stär­ke in sei­ner Woh­nung und im gesam­ten Hau­se leidet.

Was sich im wei­te­sten Sin­ne als Hand­lung bezeich­nen lässt, wird von Musik nicht nur unter­malt (Danie­le Pin­t­au­di am Kla­vier), son­dern zugleich geglie­dert. Wie das Pro­gramm­heft erken­nen lässt, haben sich der Regis­seur Thom Luz und der Musi­ka­li­sche Lei­ter Mathi­as Wei­bel vie­le Gedan­ken dar­über gemacht, wel­che Musik zu Kaf­ka passt: Kaf­ka schätz­te z. B. fran­zö­si­sche Chan­sons. Wenn der klei­ne Chor – eine von vie­len For­ma­tio­nen – die Büh­ne ver­lässt, die ver­schie­de­nen Zugän­ge zum Par­kett öff­net und das Chan­son »A bat­tignol­les« wie ein Ständ­chen vor­trägt, ent­steht im Gro­ßen Haus eine inti­me anrüh­ren­de Atmosphäre.

Kaf­ka-Ken­ner wer­den bemer­ken, dass Prot­ago­ni­sten aus Erzäh­lun­gen des Autors, die er spä­ter mehr oder weni­ger stark bear­bei­tet, in kur­zen Sequen­zen auf­tau­chen – genannt sei­en nur »Dr. Buke­pha­lus«, das Pferd Alex­an­ders des Gro­ßen, das als Anwalt in eine Sozie­tät ein­tritt (»Der neue Advo­kat«); »Das Schwei­gen der Sire­nen«, die den listen­rei­chen Odys­seus täu­schen; Posei­don, der mit sei­ner Auf­ga­be als Herr­scher der Mee­re hadert; Pro­me­theus, über des­sen Schick­sal ver­schie­de­ne Ver­sio­nen vor­ge­legt wer­den; ein unter der Erde leben­des Tier (»Der Bau«); die Faust (als »Stadt­wap­pen«).

Doch genügt es, sich durch das stän­di­ge Gesche­hen auf der Büh­ne fes­seln zu las­sen. Die Ver­lo­ren­heit des Autors und sei­ne Ver­letz­lich­keit wer­den aus immer neu­en Per­spek­ti­ven dar­ge­stellt (nicht nur behauptet).

Kaf­ka, der viel Humor hat­te, hät­te sich durch die­se Auf­füh­rung sicher nicht nur ver­stan­den, son­dern auch gut unter­hal­ten gefühlt. Dass es zugleich ernst wur­de, in der Zeit, als er die »8 Oktav­hef­te« mit Noti­zen und Zeich­nun­gen füll­te, war ihm sicher bewusst. Er hat­te in die­ser Zeit den ersten Blut­sturz; eini­ge Jah­re spä­ter ist er sei­nem Lun­gen­lei­den erle­gen. Das an Sei­len in der Luft hoch über sei­nem Bett hän­gen­de Kla­vier mar­kiert in dra­ma­ti­scher Wei­se die Bedrohung.

Deut­sches Schau­spiel­haus Ham­burg. Die Insze­nie­rung wird in der Spiel­zeit 2023/​4 wie­der aufgenommen.