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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wieder einer weniger

Vor etli­chen Jah­ren mach­ten wir ein klei­nes Buch mit dem Titel »Was von der DDR blieb«. Da es im Eulen­spie­gel Ver­lag her­aus­kam, war es nicht ganz bier­ernst gemeint. Das Cover zeig­te eine Was­ser­flä­che, also Land unter, aus dem die Spit­zen des Ber­li­ner Fern­seh­turms und eines Kra­nes rag­ten. Natür­lich eines aus Ebers­wal­de. Denn Hafen­krä­ne aus Ebers­wal­de lösch­ten Schif­fe in vie­len Häfen die­ser Welt: Sie waren eine Welt­mar­ke. Allein im Ham­bur­ger Hafen waren es 78. Der acht­zig Zen­ti­me­ter gro­ße Schrift­zug war Hei­mat, auch wenn es die­se nicht mehr gab. Das volks­ei­ge­ne Schwer­ma­schi­nen­bau-Kom­bi­nat Tage­bau-Aus­rü­stun­gen, Kra­ne und För­der­an­la­gen (TAKRAF) war nach der »Wen­de« zer­schla­gen wor­den, die Krä­ne dreh­ten sich aber weiter.

Die ein­zel­nen Betriebs­tei­le mach­ten mit neu­em Eigen­tü­mer und unter ande­rem Namen wei­ter. Irgend­wie. Anfang Juni beka­men wir eine Mail aus Ebers­wal­de mit dem Cover eben jenes Eulen­spie­gel-Buches, ergänzt um die hand­schrift­li­che Zei­le: »Kran­bau Ebers­wal­de 30.06.2023«. Die Absen­de­rin bat »im Namen der letz­ten über­le­ben­den Mit­ar­bei­ter des einst gro­ßen Kran­baus Ebers­wal­de« um Aktua­li­sie­rung bei einer Nach­auf­la­ge: »Wir haben am 21. April Insol­venz anmel­den müs­sen.« Und mit Sar­kas­mus schloss sie: »Es bleibt noch der Fernsehturm.«

»Wir« hieß Kocks Ardelt Kran­bau GmbH.

Nun, der Fern­seh­turm stand in den neun­zi­ger Jah­ren auch zur Dis­po­si­ti­on und blieb ein­zig auf­grund der Inter­ven­ti­on der Anten­nen­be­trei­ber ste­hen. Andern­falls hät­te St. Wal­ter das glei­che Schick­sal erfah­ren wie der Palast der Repu­blik, das Ahorn­blatt auf der Fischer­insel und vie­le Plat­ten­bau­ten. Wer sich aber noch erin­nert: Auf Ber­li­ner Ansichts­kar­ten und in Bild­bän­den, die in den ersten Jah­ren jenes Dez­en­ni­ums publi­ziert wur­den, gab es den Fern­seh­turm schon nicht mehr. Zumin­dest dort hat­te man ihn bereits abgetragen.

Nun also auch der Tra­di­ti­ons­be­trieb in Eberswalde.

Den Urtyp des Krans stamm­te von einem Stu­dent. Anders als heu­te bestan­den damals pro­duk­ti­ve Bezie­hun­gen zwi­schen Kunst­hoch­schu­len und der Wirt­schaft. Mar­tin Kelm hat­te 1957 für sei­ne Abschluss­ar­beit als Form­ge­stal­ter – heu­te heißt das hoch­sta­pelnd Desi­gner – den Auf­trag erhal­ten, eine Kran­se­rie für den VEB Kran­bau Ebers­wal­de zu ent­wickeln. Die Ver­tei­di­gung der Diplom­ar­beit erfolg­te im Bei­sein des Chef­kon­struk­teurs aus Ebers­wal­de, Her­mann Werth. Und der beschei­nig­te ihm: »Was Herr Kelm hier gemacht hat, ermög­licht uns erst­mals eine auto­ma­ti­sier­te Fer­ti­gung der Kran­stüt­zen mit­tels Ver­schwei­ßung und erzielt einen Pro­duk­tiv­ge­winn von min­de­stens drei­ßig Pro­zent. Durch die grund­sätz­li­che neue Gesamt­ge­stal­tung die­ser Kran-Serie bringt das dem Betrieb rein öko­no­misch betrach­tet rund vier­zig bis fünf­zig Pro­zent Gewinn gegen­über dem der­zeit noch gebau­ten ver­gleich­ba­ren Modell.« Neben dem öko­no­mi­schen Gebrab­bel bekann­te der Ebers­wal­der Chef­sta­ti­ker selbst­kri­tisch: »Ich wun­de­re mich, dass uns Tech­ni­kern die­se Lösun­gen nicht selbst ein­ge­fal­len sind. Da muss erst ein Außen­sei­ter, ein ange­hen­der Form­ge­stal­ter, kom­men und uns zei­gen, was wir ver­bes­sern können.«

Der Stu­dent Kelm bekam sein Diplom »Mit Aus­zeich­nung«, Ebers­wal­de ein jahr­zehn­te­lan­ges Erfolgs­mo­dell und die DDR einen Export­schla­ger. Der Kran­bau Ebers­wal­de wur­de auf dem Feld der Hafen­kra­ne Weltmarktführer.

TAKRAF war ein Welt­kon­zern, kämpf­te glo­bal mit Krupp, Thys­sen, MAN erfolg­reich um Märk­te und behaup­te­te sich dort. Des­halb muss­te er nach dem Unter­gang der DDR zer­schla­gen und als Kon­kur­rent aus­ge­schal­tet wer­den. Nach zwei­ein­halb Jah­ren waren zwei Drit­tel der einst 34 TAKRAF-Betrie­be dicht, von 58.000 Beschäf­tig­ten hat­ten ledig­lich 2000 ihren Arbeits­platz behal­ten. Für eine D-Mark war der Kran­bau Ebers­wal­de von der Treu­hand ver­scher­belt wor­den inklu­si­ve des meh­re­re Dut­zend Mil­lio­nen teu­ren Betriebs­ge­län­des und der Paten­te. Den Zuschlag bekam »der 24 Jah­re alte Sohn eines Klein­un­ter­neh­mers, der 1990 sei­nen 25-Mann-Maschi­nen­bau­be­trieb in Düs­sel­dorf zuge­macht und als soge­nann­ter Wirt­schafts­spe­zia­list bei der Treu­hand ange­heu­ert hat­te«, so die Ber­li­ner Zei­tung am 15. Mai 2023. Der Hoch­stap­ler bekam für eine D-Mark auch das Kirow-Werk in Leip­zig, dem Welt­markt­füh­rer für Eisen­bahn­dreh­kra­ne, plus acht Mil­lio­nen DM Zuschuss. »Allein Grund und Boden des Wer­kes waren über 40 Mil­lio­nen DM wert gewesen.«

So etwas ver­ges­sen die Ost­deut­schen nicht. Und nun wun­dern sie sich im Westen, wenn Men­schen eine Par­tei wäh­len, deren Thü­rin­ger Häupt­ling Höcke 2019 erklär­te: »Die Ver­elen­dung und Hei­mat­zer­stö­rung hier bei uns hat einen Namen. Die­ser Name heißt Treu­hand.« Denn alle ande­ren eta­blier­ten Par­tei­en sind der Auf­fas­sung, dass das mit der Ein­heit im Gro­ßen und Gan­zen gut gelau­fen sei. Und eine Par­tei, die dem eigent­lich wider­spre­chen und die Mas­sen gegen Ver­blö­dung und Sozi­al­ab­bau mobi­li­sie­ren müss­te, schweigt und über­lässt den brau­nen Rat­ten­fän­gern das Feld.

Bis­wei­len liegt auch der Spie­gel mit sei­nen Kas­san­dra­ru­fen rich­tig. 1993 pro­phe­zei­te die Nach­rich­ten­po­stil­le im gewohn­ten Ton der Dra­ma­ti­sie­rung: »Im Osten Deutsch­lands braut sich was zusam­men. Die Stim­mung war schon lan­ge schlecht, aber nie war sie so mies wie heu­te.« Das Blatt zitier­te einen Büch­sen­ma­cher aus Suhl mit den Wor­ten: »Frü­her hat­ten wir die Rus­sen. Das war schlimm. Jetzt haben wir die Wes­sis. Das ist schlimmer.«

Viel­leicht wählt die­ser Büch­sen­ma­cher, so er denn noch lebt und wäh­len geht, Herrn Höcke, der ja auch Wes­si ist wie Frau Wei­del oder Bea­trix von Storch, gebo­re­ne Her­zo­gin von Olden­burg. Viel­leicht aber frag­te er sich ver­nünf­ti­ger­wei­se: Moment mal, was wür­de sich real für mich ändern, wenn die­se Leu­te nun doch in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung kämen? Wür­de sich »das System«, das nicht nur ihn bis­wei­len an den Rand der Ver­zweif­lung treibt, durch die­se Leu­te grund­sätz­lich ändern? Mit­nich­ten. Der Kapi­ta­lis­mus blie­be. Über­all im Land. Und die Benach­tei­li­gung, Demü­ti­gung und Aus­gren­zung Anders­den­ken­der, Aus­ge­beu­te­ter und Aus­ge­schloss­ner auch. Er wäre nur eine Spur natio­na­li­sti­scher, ras­si­sti­scher, gewiss auch etwas antisemischer.

Doch noch ein­mal zu Eberswalde.

Anfang Juni ver­brei­te­te der regio­na­le Fern­seh­sen­der Hoff­nung: »Das insol­ven­te Kran­bau­werk Kocks Ardelt in Ebers­wal­de ist so gut wie geret­tet: Zwei Inve­sto­ren haben am Mon­tag Kauf­ver­trä­ge für das Werk unter­schrie­ben. Das teil­te der Insol­venz­ver­wal­ter dem rbb mit. Damit der Kauf voll­zo­gen wer­den kann, fehlt aller­dings noch eine Bürg­schaft von Bund und Land. Sie sol­len Bank­kre­di­te für das Werk absichern.«

Es sol­le »erst mal mit einer etwas klei­ne­ren Mann­schaft wei­ter­ge­hen«, hieß es aus dem Ebers­wal­der Wirtschaftsdezernat.

Na dann ist ja alles in Butter.