Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Jahresendliche Rundbriefe

Zu den Errun­gen­schaf­ten, die mit der Wie­der­ver­ei­ni­gung über uns gekom­men sind, gehör­ten vor den Jah­ren auch eini­ge Prak­ti­ken, die nach zwei Jahr­zehn­ten schon wie­der mal einer Erwäh­nung wert sind. Dazu zäh­len die zumin­dest mir vor­her nicht geläu­fi­gen jah­res­end­li­chen Rund­brie­fe – eine wun­der­ba­re Erfin­dung. Als Ossi, der sich frü­her mit indi­vi­du­el­len Grü­ßen und Wün­schen zum Jah­res­wech­sel fast die Fin­ger wund­ge­schrie­ben oder platt­ge­tippt hat, ein wah­rer Segen!

Das­sel­be Schrei­ben für 147 Ver­wand­te, Freun­de und Bekann­te. Wahn­sinn! Nie­mand kann sich unter­be­wer­tet oder über­vor­teilt füh­len, jeder erhält haar­ge­nau die­sel­ben Infor­ma­tio­nen, und der RBV, also der Rund­brief-Ver­fas­ser, spart mas­sen­haft Zeit. Es kann auch nicht mehr vor­kom­men, dass man in fami­liä­ren oder bekannt­schaft­li­chen Hader gerät, weil man nicht mehr weiß, was man an wen über wen geschrie­ben hat – ein nicht zu unter­schät­zen­der Garant des Fami­li­en- und Weltfriedens.

Mit­bür­gern, die an die­se Seg­nung der moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on noch zöger­lich her­an­ge­hen und der Über­zeu­gungs­kraft Erfah­re­ner bedür­fen, sei das fol­gen­de Muster empfohlen:

Lie­be Aria­ne, lie­ber Heribert,

end­lich ist es wie­der so weit. Das Jahr neigt sich dem Ende ent­ge­gen, die lang ersehn­ten Tage der Besin­nung und inne­ren Ein­kehr rücken näher, und ihr, lie­be Ver­wand­te und Freun­de, war­tet gewiss schon vol­ler Unge­duld auf unse­re jah­res­end­li­chen Nachrichten.

Es geht uns, von Onkel Art­urs links wie­der auf­ge­tre­te­nem Fuß­pilz abge­se­hen, gott­lob gut.

Mau­rice-Bert­hold durf­te beim Weih­nachts­sin­gen im Apo­stel-Kori­an­der-Refu­gi­um eigen­hän­dig einen Refräng zele­brie­ren, und Groß­tan­te Adel­heid lie­fen die Trä­nen der Bewun­de­rung noch Tage spä­ter aus dem offe­nen Mund.

Die Reli­gi­ons­leh­re­rin von Agnes-Adel­gun­de hat erst neu­lich wie­der auf die unge­wöhn­li­che Bega­bung unse­res Nest­häk­chens für die Nukle­ar­me­di­zin hin­ge­wie­sen. Und dabei ist Gun­di äußerst sen­si­bel und spielt Ein­steins 6. Sin­fo­nie auf dem Tri­an­gel schon fast auswendig!

In der Vor­sai­son waren wir wie­der mal mit den Kin­dern auf Rober­to Blan­ko. Das Hotel hat­te zwar kei­ne Gar­di­nen, aber das Per­so­nal sprach gut deutsch. Nur das Zim­mer­mäd­chen hat­te immer so ulki­ge Ver­spre­cher. Wir haben viel gelacht. Vere­na hat sie dann kor­ri­giert und ihr unse­ren Sprach­füh­rer geschenkt. Sie war sehr dank­bar dafür, und wir brau­chen ihn ja sowie­so nicht.

Im Okto­ber waren wir dann noch mal auf dem Rei­ter­hof in Stu­ten­hau­sen, aber nur von Mon­tag bis Don­ners­tag, da ist es preis­wer­ter. Vere­na hat­te lei­der einen bösen Unfall. Sie ist beim Hin­der­nis­rei­ten arg unter den Fal­ben gestürzt, weil der Reit­leh­rer, ein Zivi, das Pferd zu früh los­ge­las­sen hat­te. Sie hat einen Hüf­t­auf­schwung erlit­ten und sich die Hypo­phy­se geprellt, aber jetzt geht sie schon wie­der zum Fas­zi­nie­ren zum King Peng Dong.

In unse­rem Win­ter­gar­ten blüht es wie eh und je in der trü­ben Jah­res­zeit. Die Mit­ter­nachts­neu­ro­se, nein, nicht die rote, son­dern die gestreif­te, hat dies­mal schon an Hei­lig­abend gestreut. Unse­re neue Hil­fe, nein, nicht die Rumä­nin, die­se Per­son haben wir ent­las­sen müs­sen, weil, die hat unse­ren Hus­ky unsitt­lich berührt, nein, die Slo­wa­kin, viel­leicht lernt ihr sie noch ken­nen, wenn ihr euren Besuch nicht zu lan­ge hin­aus­schiebt, die hat eine glück­li­che Hand für die Exo­ten. Onkel Artur sagt das auch.

Für die Kul­tur haben wir in die­sem Jahr viel getan. Ein­mal waren wir in der Oper, es war sehr schön, mit lan­gen Klei­dern und Bril­lan­ten und so. Die Sän­ge­rin kam aus der Ukrai­ne und soll auch schon im New Yor­ker Metro­nom gesun­gen haben, sehr hoch. Jetzt hat sie ein Apar­te­mang in Ber­lin, aber nur ein­mal in der Woche, an den ande­ren Tagen macht sie bei Stu­di­en­rat Fürch­te­gott sau­ber. Daher ken­nen wir sie ja auch. Ich war nur in der ersten Halb­zeit im Zuschau­er­raum, ich hat­te in der Pau­se mei­ne Bra­sil nicht geschafft. Zum Schluss bin ich aber wie­der hin­ein­ge­gan­gen, zum Applau­die­ren, die Künst­ler brau­chen das ja.

Das Orche­ster soll übri­gens näch­stes Jahr mit den »Böhsen Onkelz« fusio­nie­ren, weil, die Sub­sti­tu­tio­nen wer­den gekürzt. So wird die Kul­tur kaputt gemacht, es ist alles sehr traurig.

Vere­na hat im Som­mer auch wie­der ein Buch ange­fan­gen, das Brit­ta-Mar­lén Konop­ke im Fern­se­hen emp­foh­len hat. Ein sehr gutes Buch, über 300 Sei­ten. Es kam aber immer wie­der was dazwi­schen. Frü­her hat­ten die Leu­te eben mehr Zeit.

Apro­pos frü­her: Oma Bri­git­te hat ihr Falt­boot end­lich doch ver­kauft. Was soll sie auch damit, seit­dem Opa Erich nicht mehr ist, und im Wohn­zim­mer nimmt es nur Platz weg. Trotzdem:

Oft den­ken wir an ihre lusti­gen Schil­de­run­gen über die Pad­del­fahr­ten durch die Ber­li­ner Abwas­ser­ka­nä­le zurück. Was haben wir da gegluckert! Ja, alles Schö­ne geht ein­mal zu Ende.

Jetzt wün­schen wir euch erhol­sa­me und gesun­de Fei­er­ta­ge im Krei­se eurer Lie­ben und einen guten Rutsch und vor allem Frie­den! Schlimm, was man so in der Zei­tung über Krie­ge über­all in der Welt liest, hof­fent­lich bleibt wenig­stens bei uns alles ruhig.

Und die armen hung­ri­gen Kin­der in der Welt, scha­de, dass man nicht über­all hel­fen kann! Wir wer­den beim Gän­se­bra­ten gewiss an sie denken!

Man möch­te gar nicht mehr das Fern­se­hen anschal­ten, so ner­vig ist das alles!

Übri­gens hat unse­re Hil­fe den Grün­kohl zum Gän­se­bra­ten dies­mal zwei Tage lang köcheln las­sen, mit Schwei­ne­fett, etwas Knob­lauch und Thy­mi­an. Super, sag’ ich euch!

Aber es muss ja auch nicht immer Tafel­spitz sein! Manch­mal tut es auch ein Ein­topf wie an den Sonn­ta­gen in mei­ner Kind­heit! Und jeder hat halt einen ande­ren Geschmack, und Bir­ne Hele­ne mit Vanil­le-Eis nach dem Bra­ten ist auch nicht jeder­manns Sache. Vori­ges Jahr muss­te ich danach mehr­mals auf­sto­ßen. Man ist halt auch nicht mehr der Jüng­ste, und der Ärger mit dem Betriebs­rat geht mir auf den Magen. Jeder hat eben ein ande­res schwa­ches Glied!

Wir den­ken oft an euch, ihr Lie­ben, und umar­men euch! Passt nur um Chri­sti wil­len gut auf euch auf!

Euer Karl-Bern­fried sowie Vere­na nebst Mau­rice-Bert­hold und Agnes-Adel­gun­de sowie Kater Mozart und Onkel Artur