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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ludwig Pfau und das Literaturhaus in Heilbronn

Die Stadt Heil­bronn darf sich seit 2020 »Uni­ver­si­täts­stadt« nen­nen und hat daher sämt­li­che Orts­schil­der mit die­sem Zusatz ver­se­hen. Ein Lite­ra­tur­stand­ort war die Stadt frei­lich nie und wird es auch nicht wer­den. Weil Hein­rich von Kleist einst das Thea­ter­stück »Käth­chen von Heil­bronn« geschrie­ben hat, begnügt sie sich mit der Iden­ti­fi­zie­rung als »Käth­chen­stadt« und ist damit zufrie­den, alle paar Jah­re ein Mäd­chen zur tou­ri­sti­schen Ver­mark­tung zum Käth­chen zu küren.

Dass die Ein­rich­tung eines Lite­ra­tur­hau­ses in Heil­bronn auf den Weg gebracht wur­de, ist den Work­shops zu ver­dan­ken, die im Jahr 2018 durch­ge­führt wor­den sind. Denn es war die For­de­rung der Teil­neh­mer, die dar­auf hin­wie­sen, dass die Stadt in der Ver­gan­gen­heit »ihr lite­ra­ri­sches Poten­ti­al« nicht aus­ge­schöpft hat. Dies gilt auch für die Pfle­ge des eige­nen lite­ra­ri­schen Erbes und ganz beson­ders in Hin­sicht auf Lud­wig Pfau. Mit dem Lite­ra­tur­haus im Trap­pen­see­schlöss­chen besteht nun die Chan­ce, die­ses Defi­zit abzu­bau­en und Heil­bronn als Lite­ra­tur­stadt zu posi­tio­nie­ren und – benennt man das Haus nach Lud­wig Pfau – auch den bedeu­ten­den Schrift­stel­ler bekannt zu machen.

Schaut man sich in der Regi­on um, sieht man, wie sehr die Stadt Heil­bronn die Pfle­ge ihrer Lite­ra­ten ver­nach­läs­sigt hat: Weins­berg küm­mert sich nach­hal­tig um Justi­nus Ker­ner, Lauf­fen um Fried­rich Höl­der­lin (man den­ke an das Höl­der­lin-Muse­um und an das groß­ar­ti­ge Denk­mal »Höl­der­lin im Kreis­ver­kehr«), selbst klei­ne Orte wie Löwen­stein haben ein Muse­um ein­ge­rich­tet – in die­sem Fall für Man­fred Kyber –, Cle­ver­sulz­bach für Edu­ard Möri­ke, Lan­gen­bret­tach hat eine Albrecht-Goes-Stu­be, und besucht man eine klei­ne Gemein­de in der Nähe von Eppin­gen, näm­lich Fle­hin­gen-Ober­der­din­gen, dann staunt man, wie lie­be­voll und nach­drück­lich man dort das lite­ra­ri­sche Erbe von Samu­el Fried­rich Sau­ter pflegt. Und wenn die Gemein­den es nicht geschafft haben, ihren Lite­ra­ten ein eige­nes Muse­um zu errich­ten, dann haben sie ihnen wenig­stens eine Gedenk­stät­te ein­ge­rich­tet wie Neu­en­stadt im Schaf­stall-Muse­um und Bön­nig­heim in sei­nem Muse­um für Sophie La Roche.

In vie­len Städ­ten gehö­ren Lite­ra­tur­häu­ser inzwi­schen zum All­tag des Lite­ra­tur­be­triebs. Sie sind auf die lite­ra­ri­schen Ver­hält­nis­se der jewei­li­gen Stadt zuge­schnit­ten. Wenn man das Heil­bron­ner Lite­ra­tur­haus nach Lud­wig Pfau benennt, ist damit doch kei­ner­lei Ein­schrän­kung ver­bun­den. Selbst­ver­ständ­lich könn­te auch das Lite­ra­tur­haus Lud­wig Pfau in Heil­bronn mit »einer Viel­zahl von Ver­an­stal­tungs­for­ma­ten auf ein mög­lichst breit inter­es­sier­tes Publi­kum« zie­len. Wohl aber wür­de die Stadt sich in Ver­bin­dung mit ihrem gro­ßen Poe­ten Pfau bekannt machen. Denn wenn man sich über »Lite­ra­ri­sche Orte« erkun­digt, die mit Pfau in Ver­bin­dung ste­hen, wird man der­zeit allein ver­wie­sen auf Pfaus Woh­nung in Stutt­gart (Wil­helms­platz 7), auf die Erin­ne­rungs­stät­te für die Frei­heits­be­we­gun­gen in der deut­schen Geschich­te in Rastatt und auf das Ker­ner-Haus in Weins­berg. Pfaus Geburts­stadt Heil­bronn wird nicht erwähnt.

Wenn man einen Dich­ter ken­nen­ler­nen und ver­ste­hen möch­te, dann ist es hilf­reich, sich auf sei­ne Spu­ren zu bege­ben. Des­halb gab und gibt es immer noch lite­ra­ri­sche Rei­se­füh­rer. Sie laden Tou­ri­sten und auch Leh­rer mit ihren Schul­klas­sen dazu ein, die Orte zu besu­chen, in denen der Lite­rat gelebt und geschrie­ben hat. Heil­bronn und Pfau sind in sol­chen lite­ra­ri­schen Rei­se­füh­rern nicht prä­sent, was jetzt mit dem Lite­ra­tur­haus end­lich geän­dert wer­den muss.

Als im Jahr 1994 anläss­lich von Pfaus ein­hun­dert­stem Todes­tag das Deut­sche Lite­ra­tur­ar­chiv Mar­bach ein Maga­zin über Lud­wig Pfau her­aus­brach­te, konn­te man in der Wochen­zei­tung Die Zeit lesen: »Man hät­te sich, ganz all­ge­mein gespro­chen, ein paar blu­ti­ge Umwe­ge erspa­ren kön­nen, den grau­si­gen Tod von Mil­lio­nen viel­leicht und Trüm­mer­ge­bir­ge, wenn die Geschich­te, die deut­sche, Men­schen wie ihm gefolgt wäre anstatt den Bis­marcks und Molt­kes. Aber auch heu­te noch, immer noch, gel­ten sie mehr, die Bis­marcks und Molt­kes, als sol­che Bür­ger wie er. Men­schen wie er: Lud­wig Pfau, gebo­ren 1821 in Heil­bronn, Dich­ter, Jour­na­list, Republikaner.«

Oft wird Pfau auch als Revo­lu­tio­när bezeich­net. Falls es Men­schen gibt, die bei dem Wort erschrecken, dann kann man sie mit der Infor­ma­ti­on beru­hi­gen, dass Pfau ledig­lich inso­fern ein Revo­lu­tio­när war, dass er eine Demo­kra­tie for­der­te. Mit einer sol­chen For­de­rung stand man zu Pfaus Leb­zei­ten, als in allen deut­schen Bun­des­staa­ten noch die Duo­dez­für­sten regier­ten, mit mehr als einem Bein im Zucht­haus. Pfau war ein Libe­ra­ler, er war Mit­be­grün­der der Deut­schen Volks­par­tei DVP, die Vor­gän­ge­rin der FDP. Mit Pfau ehrt man nicht nur einen bedeu­ten­den Schrift­stel­ler, son­dern auch einen enga­gier­ten Vor­kämp­fer für die Demokratie.

Bis­her hat das Lite­ra­tur­haus anläss­lich von Pfaus 200. Geburts­tag im August 2021 ledig­lich die Orga­ni­sa­ti­on einer Tagung unter dem Titel »Revo­lu­ti­ons­li­te­ra­tur im deut­schen Süd­we­sten« ange­kün­digt: Das ist zu wenig und wird dem bedeu­ten­den Sohn der Stadt in kei­ner Wei­se gerecht.

In den mei­sten Städ­ten, die heu­te ein Lite­ra­tur­haus haben, gibt es auch lite­ra­ri­sche Gedenk­stät­ten oder Muse­en für die Autoren aus der Regi­on. Des­halb hat man dann zumeist auf die Namens­ge­bung bei dem Lite­ra­tur­haus ver­zich­tet. Aber es gibt selbst­ver­ständ­lich auch Häu­ser mit Namen, zum Bei­spiel das Lite­ra­tur­haus Uwe John­son in Klütz und das Bri­git­te-Rei­mann-Lite­ra­tur­haus in Neu­bran­den­burg oder das Raa­be-Haus in Braun­schweig. Jeden­falls kom­men die­se Städ­te alle ihrer Pflicht nach, ihre Schrift­stel­le­rIn­nen bekannt zu hal­ten. Und dazu gehört auch, sie wenig­stens mit einer klei­nen stän­di­gen Aus­stel­lung und der Ein­rich­tung einer For­schungs­stel­le zu ehren. Eine sol­che ist gera­de in Heil­bronn not­wen­dig, weil der Uni­ver­si­tät die gei­stes­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tä­ten fehlen.

Dass der Lei­ter des Lite­ra­tur­hau­ses weni­ge Mona­te vor des­sen Eröff­nung einen Wett­be­werb für Heil­bron­ner Künst­le­rin­nen, Kul­tur­schaf­fen­de und Krea­ti­ve aus­ge­schrie­ben hat, wonach die­se »sich mit einem Bei­trag zu den Bezugs­punk­ten Heil­bronns zur Lite­ra­tur­ge­schich­te« aus­ein­an­der­set­zen sol­len, erscheint als hilf­lo­ser Ver­such, noch ganz schnell irgend­wie einen Bezug zu den Heil­bron­ner Lite­ra­ten herzustellen.

Dass Tei­le des Heil­bron­ner Kleist-Archivs Sembd­ner (KLAS) im Lite­ra­tur­haus unter­ge­bracht wer­den sol­len, ist eben­falls eine Fehl­kon­struk­ti­on, auf die ich jetzt nicht näher ein­ge­hen möch­te, weil das zu weit gehen wür­de. Nur am Ran­de sei dar­auf ver­wie­sen, dass Hein­rich von Kleist zu Frank­furt an der Oder gehört, nicht zu Heil­bronn. Ein Blick in das Kleist-Muse­um in Heil­bronns Part­ner­stadt zeigt übri­gens auch, wie man lite­ra­ri­sches Erbe vor­bild­lich pfle­gen kann. Inso­fern ist auch die Mög­lich­keit gege­ben, im Rah­men der Städ­te­part­ner­schaft kul­tu­rel­len Aus­tausch zu betreiben.

Bei Pfaus Bei­set­zung im Jahr 1894 sag­te ein Ver­tre­ter der Stadt Heil­bronn: Das Andenken an Lud­wig Pfau wer­de von Heil­bronn wie ein hei­li­ges Feu­er bewahrt und bewacht wer­den. Der Mann hat sich gewal­tig geirrt. Da zu befürch­ten ist, dass Heil­bronn Lud­wig Pfau kein Denk­mal, kein Muse­um und auch kei­ne Gedenk­stät­te errich­tet, soll­te die Stadt wenig­stens die ein­ma­li­ge Chan­ce nut­zen, die mit der Eröff­nung des Lite­ra­tur­hau­ses in die­sem Jahr ver­bun­den ist, und es nach Lud­wig Pfau benennen.

 

Soeben erschien eine Neu­aus­ga­be von Pfaus Gedich­ten: Lud­wig Pfau: »Frei­heit ist das schön­ste Fest«, Gedich­te, her­aus­ge­ge­ben und mit einem Nach­wort ver­se­hen von Erhard Jöst, Gün­ther Emigs Lite­ra­tur-Betrieb, 198 Sei­ten, 10 €.