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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Tauziehen um Mumia Abu-Jamal

Obwohl Schlam­pe­rei­en und Mani­pu­la­tio­nen in den Ver­fah­ren gegen Mumia Abu-Jamal juri­stisch bestä­tigt sind, Revi­si­ons­kon­troll­rich­ter Leon Tucker Ende Dezem­ber 2018 dem Antrag auf ein Revi­si­ons­ver­fah­ren statt­ge­ge­ben hat­te und am 3. Janu­ar in der Bezirks­staats­an­walt­schaft von Phil­adel­phia sechs Kisten auf­tauch­ten, die ver­schol­le­nes Mate­ri­al über die­se Ver­fah­ren ent­hal­ten, ant­wor­te­te Bezirks­staats­an­walt Lar­ry Kras­ner am 25. Janu­ar mit einem State­ment, das von den empör­ten Unter­stüt­zern des Gefan­ge­nen als Vor­stu­fe eines Wider­spruchs auf­ge­fasst wur­de. Kras­ner bezwei­fel­te vor allem eine der Haupt­be­grün­dun­gen von Rich­ter Tuckers Urteil: die sehr wahr­schein­li­che Befan­gen­heit von Ronald Castil­lo, der im ersten Pro­zess, in dem Abu-Jamal 1981 wegen angeb­li­chem Poli­zi­sten­mord zum Tode ver­ur­teilt wur­de, Chef­an­klä­ger gewe­sen war und in einem spä­te­ren Ver­fah­ren als Rich­ter Beru­fungs­an­trä­ge abge­schmet­tert hat­te. In sei­ner Ent­geg­nung konn­te Tucker ein neu auf­ge­tauch­tes Doku­ment vor­wei­sen, in dem bestä­tigt ist, dass Castil­lo sich dezi­diert für die Hin­rich­tung von »Cop-Kil­lern« stark gemacht hat­te, also letzt­lich im Sin­ne der Poli­zei­ge­werk­schaft agierte.

Weil der Hin­ter­grund von Kras­ners zöger­li­cher Hal­tung auch die Befürch­tung gewe­sen sein könn­te, dass Mumi­as Beru­fungs­ver­fah­ren zum Prä­ze­denz­fall für hun­der­te, wenn nicht tau­sen­de ähn­lich gela­ger­ter Fäl­le wer­den könn­te, stell­te Tucker klar, dass die Her­stel­lung von Gerech­tig­keit sowohl in jedem Ein­zel­fall als auch in der Gesamt­heit der Fäl­le alter­na­tiv­los sei.

Am 17. April ver­öf­fent­lich­te Lar­ry Kras­ner eine Pres­se­mit­tei­lung, in der er erklär­te, dass er kei­ne Ein­wän­de mehr gegen ein Revi­si­ons­ver­fah­ren im Fall Mumia Abu-Jamals habe. Es könn­te – so des­sen Anwäl­tin Judith Rit­ter – schon in weni­gen Mona­ten eröff­net werden.

Das stellt zwar einen ent­schei­den­den Erfolg für Abu-Jamal und sei­ne welt­wei­te Unter­stüt­zer­be­we­gung dar, in den sich aller­dings Wer­muts­trop­fen mischen. Der seit 37 Jah­ren ein­sit­zen­de Gefan­ge­ne, der eben fünf­und­sech­zig Jah­re alt wur­de, lei­det unter einer offen­bar rasch vor­an­schrei­ten­den Augen­krank­heit: Er hat zwei ver­schie­de­ne Glau­ko­me, eine Glas­kör­per­ab­lö­sung und eine Lin­sen­trü­bung. Die­se Sym­pto­me, die von der für sei­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zustän­di­gen pri­va­ten Gefäng­nis­be­hör­de nicht behan­delt wur­den, hin­der­ten Abu-Jamal wochen­lang am Lesen, und es ist zu befürch­ten, dass er – soll­te er noch lan­ge in Haft blei­ben – in weni­gen Jah­ren völ­lig erblin­det. Die Unter­stüt­zer­be­we­gung for­dert daher sei­ne sofor­ti­ge Frei­las­sung – wenn nicht anders mög­lich auch unter Auflagen.

Eine sol­che Lösung könn­te sich letzt­lich für die Justiz von Penn­syl­va­nia als zweck­mä­ßi­ger erwei­sen als ein neu­er Pro­zess, in dem zwangs­läu­fig ihr lang­jäh­ri­ges Ver­sa­gen im Fal­le Mumia Abu-Jamals offen­kun­dig wür­de, was tat­säch­lich vie­le ande­re Revi­si­ons­ver­fah­ren nach sich zie­hen könn­te. Von Abu-Jamal aller­dings ist nicht zu erwar­ten, dass er auf so ein Revi­si­ons­ver­fah­ren ver­zich­tet. Schließ­lich konn­te er 2017 mit der Erkämp­fung der lan­ge eben­falls ver­wei­ger­ten medi­zi­ni­schen Behand­lung sei­ner Hepa­ti­tis-C-Erkran­kung erwir­ken, dass auch rund 7000 ande­ren Gefan­ge­nen im Bun­des­staat das Recht auf die sehr teu­ren Medi­ka­men­te zuge­spro­chen wurde.