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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wer hat, dem wird gegeben

Ich weiß über­haupt nicht, war­um in die­sem Land, der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, dem freie­sten Land der Welt, so viel gemeckert wird. Es mag an uns Deut­schen lie­gen, denn ein wirk­li­cher Grund liegt nicht vor. Zumin­dest nicht, was die Steu­ern betrifft. Und es geht auch nicht um Steu­er­hin­ter­zie­hung, die natür­lich auch reich­lich statt­fin­det, aber ver­bo­ten ist. Wir müs­sen nicht auf die Cayman-Inseln, nach Mona­co, Luxem­burg, Irland oder den US-Staat Dela­ware aus­wei­chen, wie es alle Kon­zer­ne oder die Rei­che­ren tun. Nein, das Geld liegt auch bei uns auf der Stra­ße, sozu­sa­gen vor unse­ren Türen. Wir müs­sen auch nicht unbe­dingt wohl­ha­bend sein; für die dicken Sachen schon, aber nor­ma­ler­wei­se müs­sen wir uns nur ein wenig sach­kun­dig machen und not­falls einen Steu­er­be­ra­ter oder eine Steu­er­be­ra­te­rin ein­schal­ten – die holen mehr her­aus als sie kosten. Man­che Leu­te müss­ten über­haupt, z. B. als Rent­ner oder Rent­ne­rin, ein­fach nur eine Steu­er­erklä­rung abge­ben – das bräch­te wegen der Frei­be­trä­ge schon Geld ein.

Natür­lich reicht das für die »dicken Sachen«, für höhe­re Sum­men, nicht. Und so kom­men wir auf das eigent­li­che The­ma: auf die Berei­che­rung durch die rei­che Ober­schicht zu spre­chen. Mensch muss näm­lich etwas haben, etwas besit­zen, Eigen­tü­mer sein, dann lässt sich – legal – eine Men­ge machen. Es reicht schon eine klei­ne Eigen­tums­woh­nung, sie muss aller­dings ver­mie­tet sein und Ein­kom­men brin­gen, gene­rie­ren, wie es heu­te so schön heißt. Die Ein­künf­te müs­sen ver­steu­ert wer­den, klar, aber als Eigen­tü­mer hat man auch Kosten, beim Kauf, durch Repa­ra­tu­ren usw. Das alles kann man »abset­zen«. »Lohn­steu­er­jah­res­aus­gleich« – dass ich nicht lache. Einer der vie­len Euphe­mis­men, die das Steu­er­recht für die Dum­men parat hält. Beschö­ni­gung, Ver­brä­mung sagt wiki­pe­dia dazu. Ohne Eigen­tum und Ein­kom­men­steu­er gibt es da nicht viel zu holen. Die ärme­ren Schich­ten der Bevöl­ke­rung zah­len das alles zum größ­ten Teil über die Ver­brauch­steu­ern, die für alle gleich hoch sind, aber längst nicht alle gleich tref­fen: u. a. die Mine­ral­öl­steu­er (Die­sel und Ben­zin), die Tabak­steu­er, die Umsatz­steu­er. Was für den einen Pea­nuts sind, wird für manch ande­ren ein­fach zu teu­er. Wobei ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung für sein Ein­kom­men einer mög­lichst gere­gel­ten Arbeit nach­ge­hen muss, wäh­rend Leu­te mit hohem Ein­kom­men oder Erb­schaf­ten ihr nicht direkt benö­tig­tes Geld lukra­tiv anle­gen kön­nen. Wo es sich ohne eige­ne Anstren­gung ver­mehrt. Auch Vor­stands­vor­sit­zen­de oder Poli­ti­ker ver­die­nen einen gro­ßen Teil oder den Haupt­teil ihres Ein­kom­mens nicht mit Arbeit, son­dern mit Geld­an­la­gen. Sie strei­chen die Divi­den­den und Zin­sen ein, für die ande­re arbei­ten müs­sen. Und wäh­rend die Pres­se Jubel­ari­en über DAX-Kon­zer­ne und über die Gewin­ne von Kon­zer­nen los­lässt, hören wir im Radio For­de­run­gen von CDU-Poli­ti­kern nach Kür­zun­gen des Bürgergeldes.

Ich will hier nicht ins Ein­zel­ne gehen, das tut ein Buch, mit dem sich der Autor eine Men­ge Arbeit gemacht hat, indem er akri­bisch die Mög­lich­kei­ten der Steu­er­erspar­nis oder (lega­len) Steu­er­ver­mei­dung auf­zählt. Wer das Buch durch­liest, wird sich mit Recht die Fra­ge stel­len, wer hat eigent­lich die Steu­er­ge­set­ze gemacht und für wen. Die Ant­wort wird klar: Die Nutz­nie­ßer selbst haben – direkt oder über Lob­by­grup­pen und -ver­ei­ne – star­ken Ein­fluss auf die Gesetz­ge­bung genom­men. Selbst bei Erstat­tun­gen sind die »Rei­chen« dank ihrer höhe­ren Steu­er­sät­ze bes­ser dran: Sie bekom­men dann ja auch höhe­re Sum­men wie­der zurück. Der Spit­zen­steu­er­satz beträgt zur­zeit 42 Pro­zent, die Ver­mö­gen­steu­er wur­de vor Jah­ren abge­schafft. Wer macht hier die Steu­er­ge­set­ze? Außer­dem: Jemand, der so viel ver­dient bzw. bekommt, dass er 42 Pro­zent Ein­kom­men­steu­er zah­len müss­te, hat so viel Geld für Geld­an­la­gen übrig, dass er blöd wäre, wenn er nichts unter­neh­men wür­de, um in der Steu­er her­un­ter­zu­kom­men. Einem Gerücht nach sol­len die ein­zi­gen, die den höch­sten Steu­er­satz zah­len, rei­che Wit­wen sein, die kei­ne Ahnung haben oder denen es, weil sie genug Geld haben, egal ist.

Ich will kurz eini­ge Mög­lich­kei­ten des Steu­er­spa­rens auf­füh­ren, die genau­en Anlei­tun­gen dazu – das ist ja nicht ver­bo­ten – erläu­tert das Buch, des­sen Kosten natür­lich von der Steu­er abge­setzt wer­den können.

Es gibt Grund­frei­be­trä­ge, die längst nicht allen bekannt oder bewusst sind. Vor­sor­ge­auf­wen­dun­gen kön­nen abge­setzt wer­den (das erkennt man sogar am Steu­er­vor­druck). Ach ja, wir sol­len ja kei­ne Papier­vor­drucke mehr gebrau­chen, son­dern das Elster­por­tal der Finanz­äm­ter nut­zen. Das ist kom­pli­ziert und Sie haben Angst davor? Rich­tig, das müs­sen Sie natür­lich den Steu­er­be­ra­ter machen las­sen, mei­nen Sie, einer oder eine der Rei­chen, Höher- oder Hoch­ver­die­nen­den (mit dem Begriff »ver­die­nen« habe ich mei­ne Schwie­rig­kei­ten) wür­de das selbst machen?

Es fol­gen außer­ge­wöhn­li­che Bela­stun­gen. Die haben Sie nicht? Fra­gen Sie Ihren Steu­er­be­ra­ter, der wird Ihnen etwas ande­res erzäh­len. Und haben Sie kei­ne Angst vor feh­ler­haf­ten Anga­ben – die Finanz­äm­ter kön­nen gar nicht alles über­prü­fen, dazu haben sie viel zu wenig Per­so­nal. War­um nur?

In letz­ter Zeit wur­de viel über das »Dienst­wa­gen­pri­vi­leg« dis­ku­tiert, vor allem seit die SPD und die Grü­nen an der Regie­rung betei­ligt sind. Mit die­sem Pri­vi­leg, das steu­er­fi­nan­ziert sowohl die Arbeit­ge­ber als auch die Arbeit­neh­mer begün­stigt, wird man­ches Gehalt auf­ge­bes­sert auf Kosten der All­ge­mein­heit. Es wur­de aber bis­her nicht abge­schafft, wer hat da wohl sei­ne Hän­de (sprich: Inter­es­sen) im Spiel? Bei der Gele­gen­heit möch­te ich auf einen wei­te­ren Euphe­mis­mus hin­wei­sen, mit dem sich schon Karl Marx beschäf­tigt hat: Wer nimmt die Arbeit und wer gibt sie? Ist es nicht genau anders­her­um als wir die Begrif­fe nut­zen? Anschei­nend ist unse­re geball­te Regie­rungs­macht – ähn­lich wie bei der Höchst­ge­schwin­dig­keit auf Auto­bah­nen – nicht in der Lage, Ände­run­gen zu beschlie­ßen. Wor­an liegt das wohl? Man­che schar­fen Kri­ti­ker fra­gen: Wer regiert in unse­rem Land eigent­lich wirklich?

Selb­stän­di­ge und Gewer­be­trei­ben­de haben auf­grund ihrer Tätig­kei­ten wei­te­re Mög­lich­kei­ten, auf die Höhe ihrer Steu­er­zah­lun­gen Ein­fluss zu neh­men, die Nor­mal­ver­die­ner nicht haben. Das beginnt mit der Anrech­nung von Tei­len der pri­va­ten Woh­nung als »Arbeits­raum«, von Nut­zung des oder der pri­va­ten PKWs als Fir­men­fahr­zeu­ge oder der Auf­tei­lung all­ge­mei­ner Mate­ri­al­ko­sten. Natür­lich las­sen die das nor­ma­ler­wei­se durch ihren Steu­er­be­ra­ter erle­di­gen. Des­sen Kosten selbst­re­dend auch von der Steu­er abge­setzt wer­den können.

Ein wich­ti­ger und umfang­rei­cher Bereich sind Immo­bi­li­en. Hier fängt es bereits mit der erwähn­ten klei­nen, ver­mie­te­ten Eigen­tums­woh­nung an und geht mit Häu­sern, auch Vil­len, Häu­ser­blöcken und Gewer­be­im­mo­bi­li­en wei­ter. Natür­lich betrifft das nicht Otto und Otti­lie Normalverbraucher/​in, son­dern sie trifft es: Die­se zah­len zusam­men mit der Unter­schicht für die ent­ste­hen­den Steu­er­lö­cher. Es gibt rie­si­ge Immo­bi­li­en­kon­zer­ne, die auch inter­na­tio­nal arbei­ten. Auch das »Geschäfts­kon­zept«“ des Herrn Ben­ko aus Öster­reich sah nie vor, dass der Herr Ober­hem­den ver­kauft. Ihm ging es nur um die Immo­bi­li­en. Nicht die Steu­er­ge­setz­ge­bung oder gar die Steu­er­ver­wal­tung haben ihm einen Strich durch die Rech­nung gemacht, son­dern eine unvor­her­seh­ba­re wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung. Oder soll­te man sagen »vor­her­seh­bar« – und der Herr und sei­ne Leu­te und vie­le Poli­ti­ker waren nur zu dumm oder zu grö­ßen­wahn­sin­nig? Im Kapi­ta­lis­mus muss man eigent­lich immer mit sol­chen Ent­wick­lun­gen rechnen.

Bei Ein­künf­ten aus Kapi­tal­ver­mö­gen sind die Mög­lich­kei­ten schon im eige­nen Land fast gren­zen­los, ganz abge­se­hen von den Mög­lich­kei­ten im Aus­land. Mit Kapi­tal­ver­mö­gen sind aller­dings nicht die Spar­kon­ten und ande­re ein­fa­che Rege­lun­gen für Klein­spa­rer gemeint. Nach Schät­zun­gen der Deut­schen Bun­des­bank hat­ten die Deut­schen im Jahr 2000 ca. 2.000 Mil­li­ar­den Euro im Aus­land ange­legt. Ob es sich um ver­steu­er­tes Geld, hin­ter­zo­ge­ne Steu­ern oder Erb­schaf­ten han­delt, ist nicht bekannt, denn da wirkt das Steu­er­ge­heim­nis. Man­che Finanz­mi­ni­ster, die die­se Pro­ble­me ken­nen, sagen: lie­ber 25 Pro­zent von X als null Pro­zent von Nix. Und so erfan­den sie die Abgel­tungs­steu­er, bei der es oft bleibt. Droht man als Steu­er­hin­ter­zie­her erwischt zu wer­den, kann man sich noch schnell vor­her per Selbst­an­zei­ge mel­den. Dann muss man zwar Steu­ern nach­zah­len, wird aber nicht bestraft.

Man­che Steu­er­be­trü­ge­rei­en fal­len auf, z. B. die Cum-cum und Cum-Ex-Akti­en­ge­schäf­te oder der Wire­card-Skan­dal. Die Ver­wick­lun­gen unse­res der­zei­ti­gen Bun­des­kanz­lers in die Akti­en­be­trü­ge­rei­en im Zusam­men­hang mit der betei­lig­ten Bank sind noch nicht auf­ge­klärt. Das ver­wun­dert eigent­lich nicht, man soll­te ihn frei­spre­chen, denn er ist Kanz­ler in einem – wie ich es per­sön­lich gern for­mu­lie­re – Betrugs- und Ver­schwen­dungs­sy­stem. Obwohl sicher etli­che Betriebs­wirt­schafts­exper­ten und -exper­tin­nen ein­wen­den mögen, vie­les sei doch legal, zum Bei­spiel dass Groß­kon­zer­ne wie Star­bucks oder Ama­zon ihre Gewin­ne in irgend­ei­ner Süd­see-Oase ver­steu­ern, indem sie ihren offi­zi­el­len Fir­men- und Steu­er­sitz dort­hin ver­legt haben,

Wir hal­ten fest: Es gibt eine Men­ge Mög­lich­kei­ten, Steu­ern zu spa­ren oder zu ver­mei­den. Nur nicht für alle und schon gar nicht für alle gleich. Wer hat schon sein klei­nes Flug­zeug auf dem Flug­platz Essen-Mül­heim ste­hen, um damit steu­er­frei nach Ber­lin zu flie­gen? Eine Bür­ger­initia­ti­ve kämpft schon lan­ge gegen die­sen Flug­platz, aller­dings nicht wegen der Steu­ern, son­dern wegen der Lärm- und Abgas­be­la­stung. Auch die­se Bela­stun­gen tref­fen den größ­ten Teil der Bevöl­ke­rung eben­so wie die Steu­er­be­la­stung – zugun­sten der rei­che­ren obe­ren Bevölkerungsschicht.

Die Gering- und Nor­mal­ver­die­ner zah­len um die 42 Pro­zent des gesam­ten Steu­er­auf­kom­mens. Da die obe­re Klas­se wirt­schaft­lich und poli­tisch sehr stark und die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung zwar schimpft, aber sonst gleich­gül­tig und inak­tiv ist, wird sich dar­an wohl vor­erst nicht viel ändern. Noch nicht ein­mal das Tem­po­li­mit kommt durch, obwohl es der Natur und unse­ren Lun­gen gut­tun würde.

Begrif­fe wie Steu­er­ge­rech­tig­keit oder der Gleich­heits­grund­satz, wie sie in unse­ren Geset­zen vor­kom­men, schwe­ben in der Wirk­lich­keit am fer­nen Hori­zont. Sie, die Gerech­tig­keit, ist in die­sem Bereich nicht erwünscht bzw. passt nicht ins System. Dass man­che immer noch mei­nen, jeder, der will, der kann, ist rei­ner Kin­der­glau­be. Wer hat, dem wird gege­ben – oder wie der Volks­mund das mit dem Teu­fel und dem größ­ten Hau­fen ausdrückt.

Franz Kohout: Aus­tei­len­de Unge­rech­tig­keit. Wie die Wohl­ha­ben­den sich am Steu­er­staat berei­chern, edi­ti­on fatal, 2023, 24 €.