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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wie weit noch bis zum Krieg?

Con­rad Schuh­ler hat ein wich­ti­ges Buch über die Neu­ver­tei­lung der Hege­mo­nie­po­sten in der Welt vor­ge­legt. Er geht dar­in der Fra­ge nach, ob und wann ein gro­ßer welt­wei­ter Krieg bevor­steht. Eine sol­che Gefahr sieht er tat­säch­lich her­auf­zie­hen und kann sich ihre Abwen­dung nur durch eine end­lich aktiv wer­den­de Frie­dens­be­we­gung vor­stel­len. Sein Buch ist daher allen Frie­dens­ak­ti­vi­sten und -initia­ti­ven ans Herz zu legen. Es ist dra­ma­tisch – und notwendig.

Aus­führ­lich schil­dert der Autor, war­um west­li­che Exper­ten einen »Drit­ten Welt­krieg«, gewis­ser­ma­ßen eine Neu­auf­la­ge der »Fal­le des Thuky­di­des« (454 v. Chr. bis 396 v. Chr.), wonach ein Her­aus­for­de­rer den alten Hege­mon der Welt­ord­nung nur mili­tä­risch ablö­sen kön­ne, für denk­bar hal­ten. Chi­na weist ein sol­ches Ansin­nen zwar von sich. Der rasan­te Auf­stieg des Lan­des an die Spit­ze der Welt­wirt­schaft hat wis­sen­schaft­li­che und publi­zi­sti­sche Mei­nungs­ma­cher im Westen jedoch anhal­tend irri­tiert. Und die Füh­rer des Westens alarmiert.

Die Haupt­ge­fahr – ob mit oder ohne Trump – sieht Schuh­ler dar­in, dass die USA ihre glo­ba­len Füh­rungs­an­sprü­che auf die Dau­er nicht mehr mit »zivi­len« Mit­teln durch­set­zen kön­nen und somit in Ver­su­chung gera­ten könn­ten, ihre weit über­le­ge­nen mili­tä­ri­schen Mit­tel zu nutzen.

Das Buch ist auch nach der US-Wahl von Bedeu­tung, denn die Haupt­strö­me der US-Außen­po­li­tik dürf­ten sich auch unter Biden nicht verändern.

Besorg­nis­er­re­gend ist dabei aus Sicht von Frie­dens­ak­ti­vi­sten die alte und neue Unter­wür­fig­keit der deut­schen Poli­tik gegen­über den USA, die unter Trump bis­wei­len in Fra­ge gestellt wur­de. Anne­gret Kamp-Kar­ren­bau­er laut »Ruhr­nach­rich­ten« vom 18. 11. 20: Euro­pa kön­ne sich auf abseh­ba­re Zeit nicht ohne die USA ver­tei­di­gen. AKK will ein kla­res Bekennt­nis Deutsch­lands zur ato­ma­ren Abschreckung der Nato; eine gemein­sa­me Stra­te­gie mit den USA gegen­über Chi­na; eine wei­te­re Erhö­hung der Rüstungs­aus­ga­ben (2 % des BIP).

Die »Geg­ner« des soge­nann­ten nord­at­lan­ti­schen Bünd­nis­ses sind aus­ge­macht: In Nato-Krei­sen wird die rus­si­sche und chi­ne­si­sche Gefahr an die Wand gemalt. Mich erin­nert die Rhe­to­rik an Ade­nau­ers Zei­ten, in denen der Kanz­ler von Mal zu Mal »Ich sage nur Chi­na, Chi­na, Chi­na!« aus­rief und vor der UdSSR warn­te. Im Jahr 1952 beschwor er die west­deut­sche Auf­rü­stung als not­wen­dig: Es gel­te, »mit­zu­tun und mit zu han­deln« im Kampf dar­um, »ob Euro­pa christ­lich bleibt oder heid­nisch wird«. Daher müs­se »ein Damm« errich­tet wer­den gegen den »sowjet­rus­si­schen Natio­na­lis­mus« – der »beson­ders gefähr­lich« sei, weil er »getra­gen« wer­de »vom Kom­mu­nis­mus, der die Herr­schaft der Welt erstrebt«. Der Kom­mu­nis­mus ist fort, aber der Natio­na­lis­mus der Rus­sen so stark wie ehe­dem. Daher die Ein­krei­sungs­po­li­tik auch heu­te noch. West­deutsch­land, so Ade­nau­er 1952 im Bun­des­tag, müs­se rüsten, und wer dage­gen sei, lie­fe­re »die Völ­ker West­eu­ro­pas, ins­be­son­de­re unser deut­sches Volk, der Knecht­schaft durch den Bol­sche­wis­mus aus« (lt. Gös­ta v. Uex­küll »Kon­rad Ade­nau­er«, Rein­bek 1987, S. 78/​79).

Zu Chi­na schreibt Schuh­ler bereits in der Ein­lei­tung, die Fort­exi­stenz des ideo­lo­gi­schen Klas­sen­kamp­fes beto­nend: »Die Chi­ne­sen kon­kur­rie­ren nicht nur mit ihrem Brut­to­in­lands­pro­dukt, sie kon­kur­rie­ren mit ihrer Ideo­lo­gie. Und sie schei­nen mit ihrer Pra­xis zu bele­gen, dass der Markt, wenn er nach den Vor­schrif­ten der pri­va­ten Pro­fit­ma­xi­mie­rung ein­ge­setzt wird, gegen einen sozi­al ori­en­tier­ten ›Sozia­lis­mus chi­ne­si­scher Prä­gung‹ ver­liert.« Die kon­fron­ta­ti­ve Situa­ti­on wür­de dar­über hin­aus durch die »stil­len chro­ni­schen Bedro­hun­gen, durch Luft­ver­schmut­zung, Was­ser­man­gel und Kli­ma­wan­del« eska­lie­ren, die »sich deut­lich bemerk­bar machen und viel öfter als in der Ver­gan­gen­heit zu Zusam­men­stö­ßen füh­ren« würden.

Auf die­se kaum über­schau­ba­re Gemenge­la­ge auf­merk­sam zu machen, ist ein Ver­dienst des Buches. Und aus die­ser Gemenge­la­ge, aus die­ser Gefahr – das ist der drin­gen­de Apell Con­rad Schuh­lers – kann auch das Ret­ten­de wach­sen. Die Frie­dens­be­we­gung habe in den 1980er Jah­ren, als sie die USA und die Sowjet­uni­on zum INF-Ver­trag dräng­te, Erfolg gehabt. Es kam zum Ver­bot land­ge­stütz­ter Mit­tel­strecken­ra­ke­ten. Die­sen Ver­trag haben die USA, wie eini­ge ande­re Ver­ein­ba­run­gen auch, mitt­ler­wei­le auf­ge­kün­digt; sie wol­len in Ost­eu­ro­pa und Asi­en Atom­ra­ke­ten sta­tio­nie­ren. Jedoch: »Die Woge des glo­ba­len Pro­te­stes gegen Kli­ma­ka­ta­stro­phe und Umwelt­ver­schmut­zung gibt Hoff­nung. Ob Frie­den, Kli­ma oder der Hor­ror, der Flücht­lin­ge aus ihrem Land treibt – die Ursa­che liegt in den Impe­ra­ti­ven der glo­ba­len Kapi­tal­ver­wer­tung. Wenn die sozia­len Bewe­gun­gen dar­aus die Kon­se­quenz zie­hen, gemein­sam zu kämp­fen, haben wir eine Chan­ce auf Zukunft« (S. 9).

Con­rad Schuh­ler: Wie weit noch bis zum Krieg? Die USA, Chi­na, die EU und der Welt­frie­den, Papy­Ros­sa Ver­lag, Köln 2020, 143 Sei­ten, € 12,90.