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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Den Krieg endgültig ächten

Man müs­se »den Krieg neu den­ken«, schreibt Eric Gujer in der Neu­en Zür­cher Zei­tung (NZZ), denn die Natur des Krie­ges habe sich gewan­delt, »seit das auto­ri­tä­re Quar­tett aus Russ­land, Chi­na, Iran und Nord­ko­rea die­sen als Mit­tel zur Durch­set­zung sei­ner Inter­es­sen betrach­tet«. Da ist sie wie­der, die Gujer’sche Sicht auf die drän­gend­sten Pro­ble­me unse­rer Gegen­wart, die er in gewohn­ter Manier rhe­to­risch wort­ge­wal­tig auf der NZZ-Titel­sei­te an sei­ne Leser­schaft rich­tet und am Ende kon­sta­tiert, dass infol­ge des Ukrai­ne­krie­ges nun auch das ato­ma­re Tabu gefal­len sei: »Ein Atom­krieg ist wie­der mehr als eine gänz­lich rea­li­täts­fer­ne Hypo­the­se.« Ich fra­ge mich, ob Gujer ins­ge­heim nicht gern sei­nen Text mit dem Stoß­seuf­zer »end­lich« been­det hät­te, räu­me aber zugleich eine gewis­se Despek­tier­lich­keit die­ser Fra­ge ein.

Gujer bedient aber ein­mal mehr die gän­gi­gen bel­li­zi­sti­schen Nar­ra­ti­ve zum Ukrai­ne­krieg, obwohl auch er wis­sen müss­te, dass die Ursa­chen für die­sen Krieg (ins­be­son­de­re für den Kriegs­ver­lauf) außer­or­dent­lich kom­plex sind und damit zwangs­läu­fig auch dies­be­züg­li­che Lösungs­an­sät­ze. Zumin­dest dann, wenn sie nicht aus­schließ­lich mili­tär­lo­gisch betrach­tet wer­den. Doch nur all­zu gern wird beim Fest­hal­ten an sol­chen bel­li­zi­sti­schen Denk­mu­stern das eige­ne poli­ti­sche Fehl­ver­hal­ten tabui­siert, um die dar­auf abzie­len­de Kri­tik ste­reo­typ abzu­weh­ren. Und nur so ist auch zu erah­nen, wie es Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Pisto­ri­us tat­säch­lich gelin­gen konn­te, den klo­bi­gen Bun­des­wehr­ap­pa­rat mit­samt der Öffent­lich­keit ad hoc auf eine »Kriegs­taug­lich­keit« ein­zu­schwö­ren, ohne zuvor das jahr­zehn­te­lan­ge mili­tä­ri­sche Total­ver­sa­gen in Afgha­ni­stan lücken­los auf­zu­klä­ren, an dem die Bun­des­wehr ja maß­geb­lich betei­ligt gewe­sen ist.

Der Krieg in der Ukrai­ne geht nun in das drit­te Jahr und trotz aller dys­to­pisch anmu­ten­den mili­tä­ri­schen Mel­dun­gen von den dor­ti­gen Kriegs­schau­plät­zen ertönt der Ruf nach immer wei­te­ren Waf­fen noch immer der­art laut und sie­ges­si­cher, als kön­ne es kei­nen bel­li­zi­sti­schen Mor­gen mehr geben. In der glei­chen NZZ-Aus­ga­be hat der Schrift­stel­ler Ser­gei Gera­si­mow, den die rechts­po­pu­li­sti­sche Schwei­zer WELTWOCHE gern als »Hass­pre­di­ger von Char­kiw« beschimpft, einen Essay ver­öf­fent­licht, in dem er Sze­na­ri­en für den wei­te­ren Kriegs­ver­lauf in der Ukrai­ne ent­wickelt und dabei über­ra­schend mili­tär­kri­ti­sche Töne anschlägt. Putin kom­me einer Black­box gleich, die »schwarz, intrans­pa­rent und unkal­ku­lier­bar« sei: »Aus eben­die­sem Grund gibt der kol­lek­ti­ve Westen der Ukrai­ne auch nicht jene Waf­fen, die es ihr ermög­li­chen wür­de, ernst­haf­te Sie­ge auf dem Schlacht­feld zu errin­gen.« Am Ende warnt er davor, dass es in Russ­land »zu blu­ti­gen Unru­hen, zum Zusam­men­bruch des rus­si­schen Zen­tral­staa­tes und in der Fol­ge zu einer unkon­trol­lier­ten Ver­brei­tung von Atom­waf­fen in der gan­zen Welt kom­men« kön­ne. Die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Welt sei des­halb gefor­dert, »nach intel­li­gen­ten, unkon­ven­tio­nel­len und pro­ak­ti­ven Lösun­gen zu suchen«, aller­dings man­ge­le es ihr »der­zeit an ent­schei­den­den Res­sour­cen wie Wil­len, Auf­rich­tig­keit oder Weis­heit«. Und am Ende schreibt Gera­si­mow in nie­der­schmet­tern­dem Duk­tus: »Je län­ger aber die­ser Krieg andau­ert, desto wahr­schein­li­cher ist es, dass eini­ge der schlimm­sten Sze­na­ri­en ein­tre­ten werden.«

Wie könn­ten aber der von ihm gefor­der­te Wil­le, die Auf­rich­tig­keit und die Weis­heit aus­se­hen, um kon­struk­tiv Ein­fluss auf jenen erbar­mungs­lo­sen Abnut­zungs­krieg zu neh­men? Tat­säch­lich nur mit einem Ver­har­ren in bel­li­zi­sti­schen Denk­ka­te­go­rien? Oder end­lich doch in ernst­haf­ten diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen, um zumin­dest zunächst ein­mal auf einen Waf­fen­still­stand in der Ukrai­ne hin­zu­wir­ken und um damit die Vor­aus­set­zun­gen für wei­te­re Ver­hand­lungs­schrit­te zu schaf­fen? Trotz aller wohl auch berech­tig­ten Zwei­fel an sol­chen Über­le­gun­gen soll­te das nun end­lich ein­mal auf­rich­tig ver­sucht wer­den. Die Publi­zi­stin Caro­lin Emcke for­dert am Erschei­nungs­tag des Gujer-Tex­tes in der Süd­deut­schen Zei­tung im Hin­blick auf die gesell­schafts­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen für die fol­gen­den Gene­ra­tio­nen, mehr »über poli­ti­sche Hoff­nun­gen zu reden«, denn »ohne poli­ti­sche Sehn­sucht, ohne Erzäh­lun­gen vom Glück kön­nen wir die Demo­kra­tie nicht ret­ten«, so Emcke. Wer woll­te ihr da wider­spre­chen? Und wer könn­te wei­ter ernst­haft dar­an glau­ben, dass sich eine sol­che Art von Glück ange­sichts der aktu­el­len (und erwart­ba­ren) glo­ba­len Mul­ti­kri­sen, von der der Krieg in der Ukrai­ne ja nur ein Teil ist, her­bei­bom­ben lie­ße? »Den Krieg neu den­ken«, for­dert Gujer in der NZZ. Aber die Kli­ma­kri­se, die Kämp­fe um Roh­stof­fe, um Was­ser und die dar­aus resul­tie­ren­den Kon­flik­te und Flucht­be­we­gun­gen wer­den mit mili­tä­ri­schen Mit­teln nicht lös­bar sein. Des­halb gilt auch wei­ter­hin: Der Frie­den ist neu zu den­ken und der Krieg ist unwi­der­ruf­lich und damit end­gül­tig zu ächten!

Buch­emp­feh­lung zu die­sem The­ma: Her­mann Theisen/​Helmut Donat (Hrsg.): Bedroh­ter Dis­kurs – Deut­sche Stim­men zum Ukrai­ne­krieg, Donat Ver­lag, Bre­men 2024, 368 S., 24,80 €.