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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Fallstrick der Digitalisierung

»Digi­ta­li­sie­rung first – Beden­ken second« war ein Wahl­kampf­slo­gan der FDP. Ein Bera­tungs­un­ter­neh­men wirbt beim Welt­wirt­schafts­fo­rum in Davos mit dem Spruch: »KI – die Zukunft ist mensch­lich«. Vor die­sen Hin­ter­grund ver­wun­dern Mel­dun­gen, wie schwer sich Mana­ger mit der Daten­flut durch neue Tech­nik tun. Mehr Daten, leich­te­re Aus­wer­tun­gen die­ser Daten durch Soft­ware und KI – was nach einer Erleich­te­rung der Arbeit für das Manage­ment klingt, sor­ge in der Pra­xis für »Zwei­fel und Äng­ste wegen Daten­flut«, berich­tet der Unter­neh­mens­be­ra­ter Ber­nard Marr von einer reprä­sen­ta­ti­ven Befragung.

85 Pro­zent der Befrag­ten hat­ten mit »Ent­schei­dungs­läh­mung« zu kämp­fen, weil sie Ent­schei­dun­gen bereu­en, die sie im ver­gan­ge­nen Jahr getrof­fen haben, so das Ergeb­nis einer Befragung.

Ver­wun­der­lich ist dies vor allem, da das Manage­ment die Daten­er­fas­sung in den Arbeits­pro­zes­sen vor­an­treibt. In vie­len Betrie­ben sind tech­nisch-orga­ni­sa­to­ri­sche Ver­än­de­run­gen im Gan­ge, die seit Lan­gem aus Call­cen­tern bekannt sind. Die Tech­nik ermög­licht es, die Beschäf­tig­ten stän­dig zu über­wa­chen, zu bewer­ten und zu steu­ern. Die glei­chen Erfah­run­gen machen Beleg­schaf­ten in ande­ren Unter­neh­men: in Ver­kaufs- und Ser­vice­ab­tei­lun­gen, im sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­del, in Ver­si­che­run­gen oder etwa Banken.

Die neue Tech­nik wird zur Steue­rung fol­gen­der­ma­ßen genutzt. Zum Bei­spiel zur auto­ma­ti­sier­ten Arbeits­ver­tei­lung: In Berei­chen mit Kun­den­kon­takt haben die Arbei­ten­de kei­nen Ein­fluss mehr auf die Ent­schei­dung, wel­che Arbeits­vor­gän­ge sie über­neh­men. Statt­des­sen wird die ein­ge­hen­de Arbeit auto­ma­ti­siert durch Work­flow­sy­ste­me in per­sön­li­che Arbeits­kör­be ver­teilt und gesteuert.

Über soge­nann­tes »Moni­to­ring« wer­den Beschäf­tig­te sowie Kun­den aus­ge­späht, jeder Kun­den­kon­takt doku­men­tiert, durch das Kun­den­be­zie­hungs­ma­nage­ment nach­ver­folgt und aus­ge­wer­tet. Die Daten sol­len dann auch zur Ratio­na­li­sie­rung genutzt wer­den, zur »Geschäfts­pro­zess­op­ti­mie­rung«: Ein Geschäfts­pro­zess beginnt mit der Kun­den­an­fra­ge und reicht bis zur Fest­stel­lung der Kun­den­zu­frie­den­heit. Gemes­sen wer­den etwa die Bear­bei­tungs­dau­er, Gesprächs­dau­er, War­te­zei­ten, Ant­wort­zei­ten. Auf die­ser Basis wer­den Abläu­fe stan­dar­di­siert und durch Zeit­vor­ga­ben kontrolliert.

Das nun von »Ent­schei­dungs­läh­mung« des Manage­ments gespro­chen wird, bestä­tigt die Beden­ken vie­ler Beschäf­tig­ter und Gewerk­schaf­ter, die immer wie­der argu­men­tiert haben: Die Dau­er von Kun­den-Gesprä­chen sagt nichts über die Qua­li­tät, den Ser­vice für den Kun­den aus. Die Kon­se­quenz der Stu­die ist aber nicht, die Pra­xis des »glä­ser­nen Arbei­ters« auf­zu­ge­ben. Statt­des­sen soll KI die Lösung sein, wenn es um die Sor­gen des Manage­ments geht:

»Was sie wirk­lich sagen, ist: Hilf mir«, sagt James Richard­son, füh­ren­der Kopf bei Ora­cle: »Offen­sicht­lich haben wir Men­schen nur begrenz­te Mög­lich­kei­ten, mit Daten umzu­ge­hen, war­um also nicht Maschi­nen einsetzen?«

Eine ähn­li­che Tech­nik-Eupho­rie herrsch­te auch beim Welt­wirt­schafts­fo­rum in Davos. NGOs kri­ti­sie­ren zwar das Tref­fen. »Die reich­sten Mil­li­ar­dä­re und die größ­ten Unter­neh­men der Welt nut­zen ihre Macht aus, um Verbraucher:innen, Arbeitnehmer:innen und Bürger:innen abzu­zocken und klei­ne­re Unter­neh­men unter Preis­druck zu set­zen«, erklärt Lob­by­con­trol. 14 der 20 größ­ten Unter­neh­men sind »Part­ner des Welt­wirt­schafts­fo­rums«, das sich nach eige­nen Anga­ben dafür ein­setzt, »den Zustand der Welt zu ver­bes­sern«. Sie spon­sern die Ver­an­stal­tung und bestim­men, wor­über in Davos debat­tiert wird. »Die­se Raub­rit­ter haben unse­re Demo­kra­tie unter­wan­dert und ent­schei­den über die Lebens­mit­tel, die wir essen, die Medi­ka­men­te, die wir ver­wen­den, und die Infor­ma­tio­nen, die wir erhal­ten«, kri­ti­siert Nick Dear­den, Direk­tor der bri­ti­schen NGO »Glo­bal Justi­ce Now«.

Laut Umfra­gen haben erst 10 Pro­zent der Unter­neh­men eine aus­ge­reif­te KI-Stra­te­gie. Das möch­ten Unter­neh­mens­be­ra­tun­gen für die eige­nen Pro­fi­te nut­zen. »Das ist die per­fek­te Aus­gangs­la­ge für all jene, die Bera­tung und Dienst­lei­stun­gen ver­kau­fen«, mel­det die Neue Zür­cher Zei­tung aus Davos: »Die auf Tech­no­lo­gie­the­men spe­zia­li­sier­te Bera­tungs­fir­ma Accen­ture schleust am WEF 130 Top­ma­na­ger durch 13 ver­schie­de­ne Workshops.«

Kei­nen Grund zur KI-Eupho­rie sieht dage­gen Ken­neth Rog­off, Har­vard-Öko­nom »Wir sind nicht bereit für die Tech­no­lo­gie«, sagt er in Davos. »Wir haben weder den recht­li­chen Rah­men noch die gesell­schaft­li­chen und öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen, um damit umzugehen.«