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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Den Letzten beißen die Hunde

Ein Gericht in Kiew hat einen 21 Jah­re alten rus­si­schen Sol­da­ten nach Medi­en­be­rich­ten wegen Kriegs­ver­bre­chen zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt. Es han­delt sich um den ersten Pro­zess die­ser Art seit dem Angriff auf die Ukrai­ne. Der fast noch kind­lich wir­ken­de Ange­klag­te hat­te gestan­den, einen Zivi­li­sten erschos­sen zu haben. Er bereue die Tat und bedaue­re sein Ver­hal­ten. Ereig­net hat sich der Vor­fall bereits am vier­ten Tag des Über­falls auf die Ukrai­ne in dem Dorf Tschu­pachiw­ka im Nor­den des Landes.

Nach der Schil­de­rung des Sol­da­ten, des­sen Name mit Wadim Sch. ange­ge­ben wird, war sei­ne Pan­zer­ko­lon­ne unter Beschuss gera­ten. Dabei ver­lo­ren er und ande­re Ange­hö­ri­ge der Trup­pe die Ver­bin­dung zu ihrer Ein­heit. Um wie­der Anschluss zu fin­den, hät­ten sie ein Auto gestoh­len. Dabei sei­en sie von einem Mann in der Nähe beob­ach­tet wor­den, der dar­auf­hin zu sei­nem Tele­fon gegrif­fen habe. Die ver­spreng­ten Sol­da­ten befürch­te­ten, dass er ihren Auf­ent­halts­ort ver­ra­ten wol­le. Nach­dem er aus den eige­nen Rei­hen mehr­mals von einem Fähn­rich auf­ge­for­dert wor­den sei, auf den Mann zu schie­ßen, so der Ange­klag­te, habe er einen kur­zen Feu­er­stoß abge­ge­ben, sich dann aber von sei­nen Leu­ten abge­son­dert, um sich in ukrai­ni­sche Gefan­gen­schaft zu begeben.

Ein ande­rer rus­si­scher Sol­dat, der sich eben­falls frei­wil­lig in ukrai­ni­sche Gefan­gen­schaft bege­ben hat, bestä­tig­te als Zeu­ge die Dar­stel­lung sei­nes Kame­ra­den. Die Wit­we des Getö­te­ten sag­te aus, sie habe ihren Mann auf der Stra­ße lie­gend mit einer Kugel im Kopf aufgefunden.

Nimmt die Gerech­tig­keit mit der hohen Stra­fe für den 21jährigen Wadim Sch. nun also ihren Lauf? Im nor­ma­len Leben ist der unbe­ding­te Vor­satz zur Tötung eines Men­schen Vor­aus­set­zung für die Ver­hän­gung einer lebens­lan­gen Frei­heits­stra­fe. Die Süd­deut­sche Zei­tung wer­te­te den Schuld­spruch des Kie­wer Gerichts als Signal, dass der Krieg kein rechts­frei­er Raum sei. Gemes­sen an den Kie­wer Maß­stä­ben müss­ten in den USA vie­le neue Gefäng­nis­se gebaut wer­den. Dort wur­den seit Beginn die­ses Jah­res bis zum 9. Mai nach Anga­ben der Gesell­schaft »Kri­mi­na­li­tät, Recht und Justiz« 6.696 zivi­le Todes­op­fer durch Schuss­waf­fen regi­striert; Selbst­mor­de nicht mitgerechnet.

Nach Anga­ben der ukrai­ni­schen Behör­den kamen seit Beginn des Krie­ges bis zum 10. Mai 23.974 Zivi­li­sten ums Leben. Hin­ge­gen spre­chen die Ver­ein­ten Natio­nen von 3.381 Opfern. Als Kriegs­ver­bre­chen wer­den schwe­re Ver­stö­ße von Ange­hö­ri­gen eines Krieg-füh­ren­den Staa­tes gegen die Regeln des Völ­ker­rechts gewer­tet. Eine ver­bind­li­che völ­ker­recht­li­che Defi­ni­ti­on des Begrif­fes Kriegs­ver­bre­chen exi­stiert nicht. Nach dem gegen­wär­ti­gen Stand kön­nen Kriegs­ver­bre­chen nur von natür­li­chen, nicht von juri­sti­schen Per­so­nen began­gen wer­den. Vor inter­na­tio­na­len Tri­bu­na­len kön­nen weder Orga­ni­sa­tio­nen noch Staa­ten für Kriegs­ver­bre­chen straf­recht­lich zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen werden.

Die USA töten nach Dar­stel­lung der Salz­bur­ger Nach­rich­ten vom 20. Novem­ber 2017 welt­weit mit Hil­fe von unbe­mann­ten Droh­nen Ter­ror­ver­däch­ti­ge ohne Ankla­ge und Gerichts­ver­fah­ren. Die Zei­tung beruft sich dabei auf ein Buch des öster­rei­chi­schen Autors Emran Feroz. Regel­mä­ßig kämen bei die­sen Angrif­fen auch Zivi­li­sten zu Tode.

Das ame­ri­ka­ni­sche Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­um hat am 17. Sep­tem­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res ein­ge­räumt, dass bei einem Droh­nen­an­griff in Kabul bis zu zehn Zivi­li­sten, dar­un­ter bis zu sie­ben Kin­der durch einen »tra­gi­schen Feh­ler« ums Leben gekom­men sei­en. Das Mili­tär »bedaue­re jeden Ver­lust eines unschul­di­gen Lebens«.

Dem 21jährigen rus­si­schen Sol­da­ten Wadim Sch. hat es nichts genutzt, dass er sei­ne Tat bedau­ert. Er kann sich hin­ter nie­man­dem ver­stecken. Auch in die­sem Fall bei­ßen den Letz­ten die Hunde.