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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Digitale Diktatur

In der noch immer, jetzt mehr denn je, aktu­el­len Dys­to­pie »1984« von Geor­ge Orwell, wird bedrückend rea­li­stisch erzählt, wie Huma­ni­tät, Soli­da­ri­tät und sozia­ler Zusam­men­halt zer­stört wer­den. Orwell beschreibt, was reak­tio­när dik­ta­to­ri­sche Gesell­schafts­sy­ste­me mög­lichst ver­schlei­ern, aber dafür prak­ti­zie­ren: »Es wird kei­ne Treue mehr geben, außer der Treue zur Par­tei, es wird kei­ne Lie­be geben, außer der Lie­be zum Gro­ßen Bru­der, es wird kein Lachen geben, außer dem Tri­umph­ge­läch­ter über einen besieg­ten Feind. Es wird kei­ne Kunst geben, kei­ne Lite­ra­tur. kei­ne Wis­sen­schaft. Wenn wir all­mäch­tig sind, wer­den wir die Wis­sen­schaft nicht mehr brau­chen. Es wird kei­nen Unter­schied geben zwi­schen Schön­heit und Häss­lich­keit. Es wird kei­ne Lebens­lust geben. Alle Freu­den des Wett­streits wer­den aus­ge­tilgt sein. Aber immer wird es den Rausch der Macht geben, die immer mehr wächst und immer raf­fi­nier­ter wird. Dau­ernd in jedem Augen­blick, wird es den auf­re­gen­den Kit­zel des Sie­ges geben, das Gefühl auf einem wehr­lo­sen Feind her­um zu tram­peln. Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft aus­ma­len wol­len, stel­len Sie sich einen Stie­fel vor, der in ein Men­schen­ant­litz tritt, immer und immer wieder.«

Wird das in der Zwi­schen­zeit nicht auch in die­ser, »unse­rer« Gesell­schafts­ord­nung praktiziert?

Das Grund­ge­setz garan­tiert allen Bür­ge­rin­nen und Bür­gern Recht auf Gleich­heit vor dem Gesetz. Recht auf Leben. Das Recht, kei­ner unmensch­li­chen oder ernied­ri­gen­den Stra­fe oder Behand­lung (Fol­ter) unter­wor­fen zu wer­den. Das Recht auf per­sön­li­che Frei­heit. Und ent­spre­chend das Ver­bot der Skla­ve­rei und Leib­ei­gen­schaft, der Zwangs- und Pflichtarbeit.

Ist es nicht erstaun­lich, dass alle Exper­tin­nen und Exper­ten kein Wort dar­über ver­lie­ren, dass es immer mehr Frau­en und Män­ner gibt, die nicht mehr Teil die­ser »nichtmeinen/​unseren« Gesell­schaft sind? Die Heu­che­lei, sich um Arme zu küm­mern, älte­re Men­schen beson­ders zu schüt­zen, nimmt immer grö­ße­re Aus­ma­ße an, und all jene, die gelo­ben, Scha­den vom deut­schen Volk abzu­wen­den, sind schon lan­ge zu Mein­eid­bäue­rin­nen und Mein­eid­bau­ern ver­kom­men, wie sie Lud­wig Anzen­gru­ber schon 1871 in sei­nem berühm­ten Volks­stück beschrie­ben hat – modern for­mu­liert: »links blin­ken, nach rechts abbiegen«.

Schon bevor das Covid-Virus zuschlug, gab es mehr als deut­li­che »Maß­nah­men« von staat­li­cher Sei­te, dass Bürgerin/​Bürger im Besitz von Smart­phone, Tablet und/​oder Heim­com­pu­ter samt Inter­net­an­schluss sein müs­sen. Inter­net­ban­king ist ohne Smart­phone kaum mehr mög­lich, die neue »Frei­heit« des Bier­trin­kens im Bier­gar­ten ist seit der Pan­de­mie ohne eine digi­ta­le Aus­stat­tung nicht erlaubt. Coro­na »Frei­tests«, digi­ta­ler grü­ner Impf­pass, Zugangs­App-Scan­mög­lich­kei­ten beim Kauf von Tex­ti­li­en, Möbeln und ande­ren Gerä­ten zur Stei­ge­rung der Gewinn­ma­xi­mie­rung und der Bör­sen­kur­se sind ohne Smart­phone nicht mög­lich, und eine Aus­lands­rei­se ohne die­se Gerä­te kann man ver­ges­sen. Der Slo­gan »Frei­heit statt Sozia­lis­mus« hat schon lan­ge sei­ne Wir­kung ver­lo­ren und wird durch die Zwangs­pa­ro­le, die kei­nen ernst­haft zu stö­ren scheint, »Frei­heit mit Smart­phone-Digi­tal­dik­ta­tur« ersetzt.

Der Zwang zu hohen Inve­sti­tio­nen in Hard- und Soft­ware für jedes Fami­li­en­mit­glied, vom Kind bis zum Greis, von Hartz-IV-Emp­fän­gern, Arbeits­lo­sen über Allein­er­zie­hen­de bis zu Min­dest­rent­ne­rin­nen und Min­dest­rent­ner stört weder Poli­tik noch die zahl­rei­chen Talk­run­den, bei denen Mode­ra­to­rin­nen und Mode­ra­to­ren nur mit Mühe die rich­ti­ge Aus­spra­che des Wor­tes »Inzi­denz« drauf­ha­ben. Das gro­ße Schwei­gen fin­det statt, wenn es um die viel­fach drin­gend not­wen­di­ge Schu­lung wei­ter Bevöl­ke­rungs­krei­se für die Bedie­nung der Gerä­te und Syste­me geht, das The­ma War­tungs­ko­sten wird nicht ein­mal ansatz­wei­se dis­ku­tiert. Vom Staat wird die not­wen­di­ge Wei­ter­bil­dung für von der Pflicht­schu­le bereits abge­gan­ge­ne Per­so­nen gar nicht angeboten.

Immer mehr Bür­ge­rin­nen und Bür­ger lei­den unter einer Art digi­ta­lem Analpha­be­tis­mus. Nicht jeder hat Hilfs­mög­lich­kei­ten von Enkeln und Nach­bars­kin­dern oder, bei nöti­gem finan­zi­el­lem Hin­ter­grund, Hil­fe von IT-Shops. Das Wis­sen über die Hand­ha­bung der digi­ta­len Tech­no­lo­gie, nicht nur beim soge­nann­ten Grü­nen Pass, fehlt in vie­len Fäl­len, obwohl eine ana­lo­ge Alter­na­ti­ve zumeist bil­li­ger und umwelt­freund­li­cher wäre.

Mit lee­ren Ver­spre­chun­gen und Ver­spre­chern wer­den gro­ße Geschäf­te gemacht, egal ob es um Schutz­mas­ken, Impf­ter­mi­ne oder Schnell­tests geht, ohne dass der Staat sofort die damit ein­her­ge­hen­den IT-Kosten für Hard- und Soft­ware, für War­tung und Schu­lung sowie die Netz­zu­gangs­ko­sten rück­wir­kend steu­er­lich abzugs­fä­hig macht und schon kurz­fri­stig für die staat­lich ver­ord­ne­te digi­ta­le Zukunft die Min­dest­aus­stat­tung samt Netz­an­schluss, Schu­lung und War­tung allen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger kosten­los zur Ver­fü­gung stellt. Deutsch­land hat genug »Digi­ta­li­sie­rungs­po­li­ti­ker«, wie den Herrn »Digi­tal­Le­der­ho­senS­öder«, der uner­müd­lich den digi­ta­len Ver­spre­chungs­schmäh von einem Mist­hau­fen auf den ande­ren schau­felt. Der­wei­len war­ten die schon seit lan­gem bekann­ten Pro­ble­me in einer End­los­war­te­schlei­fe auf Lösungs­an­sät­ze. Skan­da­lös ist da die For­de­rung von der Euro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB), das Bar­geld abzu­schaf­fen. Tele­ban­king ist wohl ein Teil der EZB-Stra­te­gie, und Vor­aus­set­zung sind auch in die­sem Pro­jekt die digi­ta­le Grund­aus­stat­tung und digi­ta­les Knowhow.

Wenn ein Staat oder gleich die gesam­te Euro­päi­schen Uni­on die­se Tech­no­lo­gie zur Vor­aus­set­zung der Aus­übung der Bür­ger­frei­heit, ja, sogar der Bewe­gungs­frei­heit macht, bleibt ihnen der Vor­wurf nicht erspart, den Weg in eine digi­ta­le Dik­ta­tur zu beschreiten.

Der Mil­li­ar­där und Grün­der des gleich­na­mi­gen Auto­kon­zerns, Hen­ry Ford, stell­te fest: »Eigent­lich ist es gut, dass die Men­schen unser Ban­ken- und Wäh­rungs­sy­stem nicht ver­ste­hen. Wür­den sie es näm­lich, so hät­ten wir eine Revo­lu­ti­on vor mor­gen früh.«

Die digi­ta­le Dik­ta­tur ist ein über­aus wirk­sa­mes Mit­tel zur Ver­schleie­rung des Grund­wi­der­spruchs zwi­schen Kapi­tal und Arbeit, sie sorgt dafür, dass es kei­ne Ver­än­de­run­gen gibt. Weh­ret den Anfän­gen? Ich fürch­te, dazu ist es zu spät! In vie­len Lebens­be­rei­chen sind wir – wie die Roman­fi­gu­ren bei Geor­ge Orwell – längst abhän­gig von Tech­ni­ken und Ent­schei­dungs­me­cha­nis­men (Algo­rith­men), die die Mei­sten nicht mehr durch­schau­en können.