Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Etwas über Beuys

Schwie­ri­ge Sache, das mit dem Beu­ys. Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum reich­lich, Ein­deu­ti­ges, zum Glück, ziem­lich wenig. Schließ­lich han­delt es sich um Kunst. Schwie­ri­ge Sache, das merk­te schon Bru­der Johan­nes, Wis­sen­schafts­mi­ni­ster anno dazu­mal, als Poli­ti­ker, fast aus­nahms­los Män­ner, stets stock­steif im grau­mäu­si­gen, kon­ser­va­tiv-bür­ger­li­chen, oder hoch­herr­schaft­lich gedie­ge­nen Habi­tus am Red­ner­pult stan­den, noch stei­fer durch die Gegend stol­zier­ten als heut­zu­ta­ge, noch gestelz­ter daher­re­de­ten und ihre Phra­sen und Wort­hül­sen abson­der­ten als heu­te, 50 Jah­re später.

Bru­der Johan­nes kam aus dem Ber­gi­schen, hat­te es nicht leicht mit dem auf­müp­fi­gen Kunst­pro­fes­sor vom Nie­der­rhein, gebo­ren in Kre­feld, wobei der Joseph viel lie­ber in Kle­ve zur Welt gekom­men wäre, war­um auch immer. Am 12. Mai vor hun­dert Jah­ren, 1921, war das, mein Vater wur­de ein Jahr spä­ter in West­fa­len gebo­ren, was erst­mal nicht bes­ser, aber auch nicht schlech­ter war.

Kind­heit und Jugend für bei­de, für Joseph und Heinz, bestimmt kei­ne Idyl­le. Hin­ein­ge­bo­ren in eine Zeit, gebor­gen im Schoß ihrer Fami­li­en, das viel­leicht. Zugleich bestoh­len, ihrer Kind­heit, ihrer Jugend beraubt, ein­ge­fan­gen und ver­ein­nahmt vom Natio­nal­so­zia­lis­mus, für des­sen Hit­ler­ju­gend sie dann, zehn, zwölf Jah­re spä­ter, genau das rich­ti­ge Alter hat­ten. Zehn oder fünf­zehn Jah­re alte Jun­gen, die bis dahin kaum etwas ande­res kann­ten. Stren­ge in Eltern­haus und Schu­le, viel­leicht etwas Reli­gi­on, vor allem aber Paro­len und Ein­ver­nah­me, ver­bun­den mit Drill und Stumpf­sinn an Orten, an denen es eigent­lich um Ent­wick­lung, Rei­fe, Bil­dung gehen soll­te, um Mensch­lich­keit, Gebor­gen­heit, Sicher­heit, auch Per­spek­ti­ve. Doch viel­leicht fan­den sie all das dann genau dort, in den dump­fen Paro­len, bei den ritua­li­sier­ten Zusam­men­künf­ten der Pimp­fe, auf dem kal­ten Appell­platz, in den sticki­gen Stu­ben der Hit­ler­ju­gend, in jener trü­ben, groß­spre­che­risch-groß­kot­zi­gen Zeit, und die jun­gen Ker­le waren geblen­det, begei­stert, gefan­gen, ver­ein­nahmt, locker ein­kas­siert. Und dann, kaum erwach­sen, immer noch so ver­dammt jung: alles verloren.

»Erwach­sen« war man damals viel frü­her als heut­zu­ta­ge. Den Eltern nicht mehr auf der Tasche lie­gen, end­lich auf eige­nen Füßen ste­hen, was so die Argu­men­te waren. Das mit dem Erwach­sen­wer­den war meist nur die hal­be Wahr­heit, schön daher­ge­re­det, nur eine Flos­kel, irgend­wie falsch, ver­lo­gen, von außen bestimmt.

Schwie­ri­ge Sache, das mit dem Beuys.

Die Ver­hält­nis­se eben. Damals so, heu­te eben anders, lie­ße sich resi­gnie­rend sagen. Die Ver­hält­nis­se eben, die Jun­gen wie Joseph Beu­ys oder mei­nen Vater dann »auf eige­nen Füßen« nach Polen und Russ­land brach­ten, nach Nor­we­gen, Grie­chen­land oder Nord­afri­ka. Wehr­machts­sol­da­ten, jun­ge Ker­le meist, ob sie nun »fel­sen­fest« ans faschi­sti­sche Groß­deutsch­land glaub­ten und dafür kämpf­ten oder nur »mit­lie­fen« und dabei manch­mal, sel­ten, viel­leicht gar zwei­fel­ten. Auch das soll es ja gege­ben haben, und mein Vater, wenn über­haupt, war viel­leicht auch ein »Mit­läu­fer«, viel­leicht, weil er nichts ande­res kann­te. Schwie­ri­ge Sache.

Bei Joseph Beu­ys muss es doch ganz ähn­lich gewe­sen sein, sein Alter, sei­ne Her­kunft. Der jun­ge Mann, der Fun­ker und Bord­schüt­ze in Hit­lers Bom­ber, der Sewas­to­pol bom­bar­dier­te und auf dem Rück­flug in schlech­tes Wet­ter geriet. Kein schö­nes, aber ein sehr tref­fen­des Bild, fin­de ich, das mit dem schlech­ten Wet­ter auf dem Rück­flug. Das hat­te sich doch vor Sta­lin­grad längst abge­zeich­net, und es ereil­te die Deut­schen Land­ser dann bald an jeder Front, bei jedem Wetter.

Mein Vater war da hoch im Nor­den. Nor­we­gen, Finn­land, rus­si­sche Gren­ze, Trom­sö, Lofo­ten, Erz­ha­fen Nar­vik. Stra­te­gi­sche Punk­te, Steck­na­deln auf der Kar­te. Ein toter Sol­dat im Schnee, Polar­lich­ter über eisi­gen Bir­ken, krie­chen­den Kie­fern, Kame­rad­schaft, Holz­hüt­te mit selbst­ge­bau­ter Sau­na. Legen­den las­sen sich aus allem stricken. Ver­brann­te Erde auf dem Rückzug.

Nach dem Krieg dann eine Zeit lang Depres­sio­nen. Wo führt das hin mit dem trau­ri­gen jun­gen Mann und sei­ner Kunst? Ganz guter Zeich­ner. Leben von der Hand im Mund.

Jeder Mensch ein Künst­ler. Ich stim­me zu. Die Kunst mei­nes Vaters bestand auch dar­in, dass er an Wochen­en­den und Fei­er­ta­gen Zusatz­schich­ten auf der Zeche fuhr, damit die klei­ne Fami­lie ihr Aus­kom­men hat­te, die jun­ge Frau end­lich ihr schickes neu­es Kleid bekam. Auch mein Vater hat­te Beklem­mun­gen, hat­te Äng­ste. Wenn er an den toten Rus­sen dach­te, an die ver­brann­te Erde auf dem Rück­zug. Als alles doch längst vor­über war und vor­bei, und man es am besten rasch wie­der ver­ges­sen soll­te. Manch­mal raste dann sein Herz, fehl­te ihm die Luft zum Atmen.

Das Erleb­te ver­ar­bei­ten, bewäl­ti­gen die schlim­me Zeit, die Gräu­el ver­drän­gen. Mit Starr­sinn, Stur­heit, Alko­hol, mit Gewalt gegen Frau und Kin­der womög­lich. Da gab es vie­le. Beu­ys und mein Vater zähl­ten nicht dazu. Heinz hat gear­bei­tet, die Fami­lie geliebt, hat nicht mal geraucht wie der aske­ti­sche Mann vom Nie­der­rhein, trotz­dem früh gestor­ben, noch kei­ne Fünfzig.

Mit der Kunst gegen den Herz­schmerz, gegen Bedrückung und Bedräng­nis. Pro­ba­tes Mit­tel. Was lässt sich schon groß ein­wen­den gegen die Kunst? Wenn das Mate­ri­el­le bloß stim­men wür­de. Mal zwei Holz­schnit­te ver­kauft für 20 Mark, davon wirst du nicht satt. Finan­zi­ell auf wack­li­gen Füßen, die Ver­lob­te sagt Lebe­wohl, Kriegs­er­leb­nis­se, die nach­wir­ken, wei­ter­wir­ken, da wächst sich die Kri­se rasch zur Depres­si­on aus.

Als Beu­ys end­lich die Pro­fes­so­ren­stel­le hat, geht es ihm bes­ser, geht es berg­auf. Vie­les lässt sich errei­chen, bewäl­ti­gen, gera­de­rücken mit Kunst. Sich von einer Lebens­kri­se nicht klein­krie­gen las­sen, zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort, dann wird das schon. Den Leu­ten lässt sich vie­les ver­kau­fen, und manch­mal sitzt das Geld auch locker. Unter hun­dert­tau­send Mark soll­test du das nicht ver­kau­fen, das ist eine Mar­ke, Joseph, ver­kau­fe dich bloß nicht unter Wert. Dann die gan­ze Aus­stel­lung ver­kauft auf einen Schlag. Leu­te, die den rich­ti­gen Rie­cher haben, an einen glau­ben, das Extre­me schätzen.

Sei­nen Kin­dern baut er in den Räu­men der Aka­de­mie einen Holz­ver­schlag zum Spie­len, mein Vater baut mit mir eine elek­tri­sche Eisen­bahn auf einer gro­ßen Span­plat­te, gemein­sam schrau­ben wir die Schie­nen fest, beleuch­ten den Bahn­hof und die klei­nen Häus­chen. Das geht so durch die Jah­re, die Fünf­zi­ger, Sech­zi­ger: jedes Jahr zu Weih­nach­ten ein Teil für die Bahn.

Beu­ys beim Kaf­fee­trin­ken, Kirsch­ku­che­nes­sen im Gar­ten des Kura­tors, mit Frau und Kin­dern gesit­tet bei Tisch, die Ser­vi­et­ten gefal­tet. Bür­ger­li­che Idyl­le, Ter­ras­sen­plat­ten aus Wasch­be­ton, wacke­li­ge Gar­ten­stüh­le. So war das in der Zeit, hat­ten wir auch. Als ich sei­ne Instal­la­tio­nen zum ersten Mal sehe, bin ich sprach­los, rat­los, leicht befrem­det. Als wir uns auf der Doku­men­ta begeg­nen, feh­len mir die Wor­te, bleibt es bei freund­li­cher Begrü­ßung. Was wuss­te ich von ange­wand­ter Demo­kra­tie. So wenig wie von sei­nen Zeich­nun­gen, Instal­la­tio­nen, dem gan­zen Spek­ta­kel, dem auf­ge­setz­ten, über­höh­ten Firlefanz.

Jeder Mensch ein Künst­ler, klar: The pack, das Rudel. Hin­ter einem VW-Bul­li ein Dut­zend Kin­der­schlit­ten, Mar­ke Davos. Damit war ich doch erst kürz­lich über west­fä­li­sche Rodel­hän­ge geschrammt. Nein, die Schlit­ten­ku­fen bei Beu­ys sind brei­ter, etwas für Pro­fis, für grö­ße­re Distan­zen. Dar­auf aller­lei merk­wür­di­ges Gerät, Such­schein­wer­fer und Filz­decken, akku­rat zusam­men­ge­rollt. Trup­pen­be­we­gung, Mili­tär­ak­ti­on, denkst du auto­ma­tisch, gleich­för­mig aus­ge­rich­tet alles. Schon mar­schierst du mit Beu­ys an die Front. Ost­wärts, Polen, Russ­land, durch die Saha­ra bis Tri­po­lis in kur­zen Hosen, oder in dün­ner Uni­form über den Polar­kreis. Schnee­be­deck­te Öde hier, gleich taucht ein Rudel Wöl­fe auf. Die wit­tern Beute.

Jeder Mensch ein Künst­ler. Jeder Mensch ein Poli­ti­ker auch. Wenn es nach Beu­ys geht. Auch wenn du noch so unpo­li­tisch bist, wie mein Vater es war oder ich. Jeder Mensch ein Poli­ti­ker, danach han­del­te Beu­ys, so schuf er sei­ne Wer­ke, eng ange­lehnt an die eige­ne Bio­gra­fie, an eige­nes Erle­ben. Jeder Mensch ein Künst­ler. Jeder Mensch ein Poli­ti­ker, Beu­ys leb­te danach, leb­te es vor. Befrem­de­te, ver­wirr­te. Eck­te an, rüt­tel­te auf, rüt­tel­te man­chen aus dem Schlaf. Alles so ein­fach, alles mit ein­fa­chen Mit­teln, mit ursprüng­li­chen Din­gen, die die mei­sten den­noch nicht ver­stan­den, nicht ver­ste­hen wollten.

Und doch: Wäre so einer wie Beu­ys gera­de in die­sen wir­ren Tagen, in die­ser ver­rück­ten Zeit, nicht wie­der wich­tig, nicht genau rich­tig? Oder war die­ser Beu­ys bloß ein Scha­ma­ne, Schar­la­tan, Quer­den­ker, wie es sie land­auf, land­ab längst zu Tau­sen­den gibt?