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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Peripherer Staatsadel

Für Gene­ra­tio­nen alt­phi­lo­lo­gisch gestähl­ter Leh­rer war der Satz des römi­schen Gelehr­ten Boe­thi­us »Si tacui­s­ses, phi­lo­so­phus man­sis­ses« ein erprob­tes didak­ti­sches Mit­tel, um vor- bis aber­wit­zi­ge Schü­ler zur Räson zu brin­gen. Ein kürz­lich auf der Web­site des öster­rei­chi­schen Stan­dard ver­öf­fent­lich­tes Inter­view gibt zu der Über­le­gung Anlass, das Instru­ment auch gegen­über staat­lich ver­gü­te­ten Phi­lo­so­phen anzu­wen­den. Im Lauf des Gesprächs, das dazu dien­te, Wer­bung für sein jüng­stes Buch zu trei­ben, bekam der Phi­lo­soph Gun­ter Gebau­er Gele­gen­heit, sei­ne in jahr­zehn­te­lan­ger Lehr- und For­schungs­tä­tig­keit an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin geschärf­te poli­ti­sche Urteils­kraft an einem aktu­el­len Gegen­stand zu demon­strie­ren. Der Stan­dard-Stich­wort­ge­ber brach­te die in emp­find­sa­men bür­ger­li­chen Krei­sen mit Arg­wohn betrach­te­ten »gilets jau­nes« zur Spra­che, die fran­zö­si­schen gel­ben Westen, die »gewalt­tä­tig« und »pro­gram­ma­tisch dif­fus« sei­en und eines ladungs­fä­hi­gen und koop­tier­ba­ren Füh­rers erman­gel­ten. Gebau­er nimmt die Vor­la­ge gekonnt auf und zeigt den unbot­mä­ßi­gen Gelb­we­sten, wo der Bart­hel den Most holt: »Bei den Gelb­we­sten ist genau das pas­siert, was wir beschrei­ben: Es gibt ein auf­ge­heiz­tes poli­ti­sches Kli­ma in einem Land, die poli­ti­sche Füh­rung nimmt bestimm­ten Grup­pen teu­re Pri­vi­le­gi­en, dann äußern Leu­te im Inter­net ihre Mei­nun­gen dar­über und jemand schlägt vor, Warn­we­sten anzu­zie­hen und den Ver­kehr zu blockieren.«

Wel­che teu­ren Pri­vi­le­gi­en es denn waren, die die fran­zö­si­sche Regie­rung bestimm­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen ent­zog, so dass die­se im Gefol­ge zu »Gelb­we­sten« mutier­ten, erfährt das wiss­be­gie­ri­ge Publi­kum nicht. Der unmit­tel­ba­re Anlass, zu den Warn­we­sten zu grei­fen und Stra­ßen zu blockie­ren, war das bereits ter­mi­nier­te Vor­ha­ben der Regie­rung, die Die­sel­steu­er anzu­he­ben – eine all­ge­mei­ne Ver­brauchs­steu­er, die nichts mit einem Pri­vi­leg zu tun hat. Doch viel­leicht woll­te Gebau­er auf die ins­ge­samt pri­vi­le­gier­te Situa­ti­on der­je­ni­gen abstel­len, aus denen sich die »gilets jau­nes« zusam­men­set­zen? Bei den Gelb­we­sten han­delt es sich über­wie­gend um Bür­ger des klein­städ­ti­schen und länd­li­chen Frank­reichs, die in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten und ver­stärkt seit der Wirt­schafts- und Finanz­kri­se 2008 sozio­öko­no­misch an Boden ver­lo­ren haben. Grund dafür sind sta­gnie­ren­de bezie­hungs­wei­se sin­ken­de Löh­ne, zuneh­men­de Arbeits­platz­un­si­cher­heit, Arbeits­lo­sig­keit und Unter­be­schäf­ti­gung – das klingt nicht unbe­dingt wie eine ver­wöhn­te Ansamm­lung von Pri­vi­le­gi­en­trä­gern, so dass Gebau­ers Behaup­tung rät­sel­haft bleibt. Dabei soll­te er sich mit Pri­vi­le­gi­en eigent­lich sehr gut aus­ken­nen, kann er doch auf eine mehr als drei Jahr­zehn­te wäh­ren­de Tätig­keit als Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie im Bio­top Uni­ver­si­tät zurück­blicken, in wel­chem der Typus des ver­be­am­te­ten, groß­zü­gig ali­men­tier­ten und unkünd­ba­ren Lehr­stuhl­in­ha­bers noch weit ver­brei­tet war; eine Posi­ti­on, die gemäß den her­ge­brach­ten Grund­sät­zen des Berufs­be­am­ten­tums aus­ge­stal­tet ist – ein lupen­rei­nes Pri­vi­leg, ein Son­der­recht, wie es im Ver­fas­sungs­ge­setz (Art. 33 GG) steht.

Wes­halb nun erweist sich Gebau­er in der zitier­ten Pas­sa­ge des Stan­dard-Inter­views als begriffs­stut­zig? Des Rät­sels Lösung könn­te in den Funk­tio­nen zu fin­den sein, die staat­li­chen Phi­lo­so­phie-Pro­fes­so­ren in bür­ger­li­chen Klas­sen­ge­sell­schaf­ten zukom­men: Reprä­sen­ta­ti­on und Pro­pa­gan­da. Einer­seits schmückt der bür­ger­li­che Staat sei­ne Fas­sa­de ger­ne mit klas­sisch-huma­ni­sti­scher Gelehr­sam­keit, ande­rer­seits ist der peri­phe­re »Staats­adel« (Pierre Bour­dieu) recht nütz­lich, wenn es gilt, den rumo­ren­den Pöbel, der sich mit sei­ner Lage nicht län­ger abfin­den möch­te, in die Schran­ken zu wei­sen. Der füh­ren­de Exper­te fürs Phi­lo­so­phie-Pro­fes­so­ren-Unwe­sen, Arthur Scho­pen­hau­er, hat vor nun­mehr 175 Jah­ren bereits alles Not­wen­di­ge zu die­sem Berufs­stand gesagt: »Machen nun die Regie­run­gen die Phi­lo­so­phie zum Mit­tel ihrer Staats­zwecke; so sehn ande­rer­seits die Gelehr­ten in phi­lo­so­phi­schen Pro­fes­su­ren ein Gewer­be, das sei­nen Mann nährt, wie jedes ande­re; sie drän­gen sich also danach, unter Ver­si­che­rung ihrer guten Gesin­nung, d. h. der Absicht, jenen Zwecken zu die­nen. Und sie hal­ten Wort: nicht Wahr­heit, nicht Klar­heit, nicht Pla­to, nicht Ari­sto­te­les, son­dern die Zwecke, denen zu die­nen sie bestellt wor­den, sind ihr Leit­stern und wer­den sofort auch das Kri­te­ri­um des Wah­ren, des Wert­h­vol­len, des zu Beach­ten­den und ihres Gegenteils.«