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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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SAT.1: Kriminell

Im Rah­men des Maga­zins »Akte 20.19 Spe­zi­al« zeig­te der pri­va­te deut­sche TV-Sen­der SAT.1 am 7. August dean Film »Roma: Volk zwi­schen Armut und Ange­be­rei«, ein übles anti­zi­ga­ni­sti­sches Machwerk.

Auf der Web­site des Sen­ders und in der Media­thek wur­de der Bei­trag so ange­kün­digt: »Enkel­trick, Schock-Anru­fe und Tep­pich­be­trug – kri­mi­nel­le Fami­li­en­clans erbeu­ten Mil­lio­nen in Deutsch­land, indem sie ahnungs­lo­se Rent­ner mit per­fi­den Tricks um ihr Ver­mö­gen brin­gen. Die­se Groß­fa­mi­li­en rui­nie­ren den Ruf eines gan­zen Vol­kes, denn häu­fig han­delt es sich um Roma. Doch nur ein Bruch­teil der Roma ist kri­mi­nell. Die Mehr­heit der rund 12 Mil­lio­nen euro­päi­schen Mit­glie­der des Vol­kes lebt in bit­te­rer Armut.«

Wol­len die Fil­me­ma­cher die »Mehr­heit« gegen unbe­rech­tig­te Ver­däch­ti­gun­gen in Schutz neh­men? Haben sie Mit­leid mit den in bit­te­rer Armut Leben­den? Kei­nes­wegs. Sie stel­len die »kri­mi­nel­len Clans« und die in bit­te­rer Armut Leben­den (unter Aus­las­sung der vie­len, die leben und arbei­ten wie die mei­sten nicht der Min­der­heit ange­hö­ren­den Bür­ger) nur gegen­ein­an­der, um sie alle als Gefahr dar­zu­stel­len. Eine Gefahr für deut­sche Rent­ner, die durch den »Enkel­trick« um ihre Erspar­nis­se gebracht wer­den könn­ten. Eine Gefahr für jeden Besit­zen­den, der skru­pel­los betro­gen und bestoh­len wer­den könn­te. Eine Gefahr für Immo­bi­li­en­be­sit­zer, deren Häu­ser oder Eigen­tums­woh­nun­gen an Wert ver­lie­ren, sobald Roma in der Nach­bar­schaft woh­nen. Eine Gefahr für Laden­be­sit­zer, die glau­ben, sich gegen Roma-Kin­der mit ver­mu­te­ter Klau-Absicht mit­tels Gas­pi­sto­le, Kampf­mes­ser und Schlag­stock zur Wehr set­zen zu müs­sen, »um zu über­le­ben«. Eine Gefahr für alle, die ihre geord­ne­ten Ver­hält­nis­se bedroht sehen, nicht durch zuneh­men­de ras­si­sti­sche Gewalt, son­dern durch zuge­wan­der­te Roma. Denn die kom­men, so sug­ge­riert es der Film, von den rumä­ni­schen Müll­hal­den. Nur des­halb wird die Armut the­ma­ti­siert, die unmensch­li­chen Lebens­be­din­gun­gen, der Dreck, das Unge­zie­fer, die Krank­hei­ten der Kin­der. »Zusam­men mit Kin­dern, Enkeln, Schwei­nen und Rat­ten« lebe er hier, wird ein Bewoh­ner der Müll­hal­de über­setzt. Die Rat­ten wer­den in Groß­auf­nah­men gezeigt, eine Mut­ter beklagt, die Tie­re wür­den groß wie Kat­zen und wim­mel­ten des Nachts um die schla­fen­den Kin­der. »Jeden Tag muss Sido meh­re­re Nager töten«, erfährt man. »Ihnen wie ihm geht es ums nack­te Über­le­ben.« Ihnen wie ihm … Dann Schnitt: Duis­burg-Marx­loh. Rat­ten im Hof eines her­un­ter­ge­kom­me­nen Hau­ses, das an Roma ver­mie­tet wur­de. Es wird nicht gefragt, wel­che kri­mi­nel­len Deut­schen sol­che Häu­ser an Roma-Fami­li­en ver­mie­ten und war­um die Behör­den nicht ein­schrei­ten, son­dern: »Die sind das so gewohnt« – von der hei­mat­li­chen Müll­hal­de. Roma­ni Rose, Prä­si­dent des Zen­tral­rats Deut­scher Sin­ti und Roma, hat die Mach­art des Films mit der des berüch­tig­ten anti­se­mi­ti­schen Hetz­films »Jud Süß« ver­gli­chen, den der NS-Pro­pa­gan­da­mi­ni­ster Goeb­bels dre­hen ließ, um in den Gehir­nen der Zuschau­er die Asso­zia­ti­on Juden = Rat­ten zu ver­an­kern. Wie Rose in einer Pres­se­mit­tei­lung fest­stellt, »durch­zie­hen den SAT.1-Film immer wie­der Sequen­zen, in denen Roma in unter­schied­li­cher Wei­se mit Rat­ten in Zusam­men­hang gebracht wer­den, ins­be­son­de­re die Wohn­si­tua­ti­on in den Ghet­tos in Rumä­ni­en wird so cha­rak­te­ri­siert. Damit wird gleich­zei­tig die­se men­schen­un­wür­di­ge Situa­ti­on als vor­geb­lich der Men­ta­li­tät von Roma ent­spre­chen­de Lebens­wei­se dar­ge­stellt – ohne den der deso­la­ten Lage gro­ßer Tei­le der Roma-Bevöl­ke­rung zugrun­de­lie­gen­den mas­si­ven Ras­sis­mus in ihren Hei­mat­län­dern als Ursa­che zu benennen.«

Auch die jahr­hun­der­te­lan­ge Aus­gren­zung der Sin­ti und Roma durch die deut­sche Gesell­schaft und deren Fol­gen kom­men in dem Film nicht zur Spra­che. Mit den ras­si­sti­schen Ursa­chen will man sich nicht beschäf­ti­gen, man schiebt die Ver­ant­wor­tung für die tief ver­an­ker­ten Vor­ur­tei­le lie­ber der Min­der­heit selbst zu: »Die­se Groß­fa­mi­li­en rui­nie­ren den Ruf eines gan­zen Volkes.«

»SAT 1 wie seit gerau­mer Zeit spie­gel-tv wol­len offen­bar zuneh­mend ras­si­sti­sche Bei­trä­ge als Allein­stel­lungs­merk­mal für sich rekla­mie­ren, und sie bedie­nen mit der­ar­ti­gen Bei­trä­gen dezi­diert rechts­extre­me Posi­tio­nen.« So die Pres­se­mit­tei­lung des Zen­tral­ra­tes Deut­scher Sin­ti und Roma vom 8. August. »Sie tra­gen damit direk­te Ver­ant­wor­tung für die zuneh­men­de Gewalt­be­reit­schaft in unse­rer Gesell­schaft.« Roma­ni Rose for­der­te die Lan­des­an­stalt für Medi­en und Kom­mu­ni­ka­ti­on Rhein­land-Pfalz (LMK) auf, die Inhal­te des Bei­trags zu prü­fen. Dar­über hin­aus kün­dig­te er an, der Zen­tral­rat wer­de über die­se SAT.1-Pro­duk­ti­on auch das Sekre­ta­ri­at des Euro­pa­ra­tes zum Rah­men­schutz­ab­kom­men für natio­na­le Min­der­hei­ten informieren.