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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Tod auf Raten

Ver­dreckt, hung­rig, ver­laust, Tag für Tag
im Gra­ben­krieg den Tod vor Augen, Gasangriff
Gra­nat­wer­fer­ha­gel, Maschinengewehrfeuer
dem Kai­ser als Kano­nen­fut­ter dien­te Großvater
in Welt­krieg I und ret­te­te die mage­re Haut

als hätt er nicht schon genug gehabt
als wäre das für ein Menschenleben
nicht mehr als genug

mehr als ein Infer­no hat er überstanden
in den Stel­lungs­krie­gen Nordfrankreichs
zurück aus der Höl­le woll­te er nicht mehr zurück
auf die klei­ne Hof­stel­le irgend­wo an der Weser
ein Leben als Tage­löh­ner? Was soll­te er dort

zusam­men mit vier Brü­dern? Bes­ser dahin gehn
wo es Arbeit gibt und Brot, kommt er mit zweien
von ihnen hier­her an die Ruhr, schmäch­ti­ger Mann
der durch­ge­kom­men war und nun als Maurer
auf dem Pütt sein biss­chen Geld ver­die­nen wollte

immer­hin, für ein eige­nes Häuschen
leg­te er sich krumm, und bald schaff­te er es
beschei­den wie er war, das Mei­ste gemauert
mit eig­nen Hän­den, Dach­stuhl, Holzarbeiten
mach­ten paar Freun­de, man muss­te sich helfen

und Ecken und Wän­de stan­den im Lot
jede Tür- und Fen­ster­lai­bung saß bei ihm
dass er dann, bei man­chem Grubenunglück
bei all den nicht enden­den Brän­den, die Stollen
rasch zumau­ern muss­te, auch wenn dahinter

noch Kum­pels waren, ver­kohlt, verstümmelt
viel­leicht noch am Leben, brauch­te er das?
die­ser schmäch­ti­ge, freund­li­che, ruhi­ge Mann
mit dem gro­ßen Her­zen für die
denen es noch drecki­ger ging

als hätt er nicht längst genug gehabt
als wäre das für ein Menschenleben
nicht mehr als genug

manch­mal frag­te ich, löcher­te ihn, Opa erzähl
vom Krieg, dann erzähl­te er eher harmloses
Zeug, Schüt­zen­grä­ben, was stell­te ich Knirps mir
dar­un­ter vor, ein Kin­der­wa­gen mit MG, eine Ziege
kamen vor, und das Grau­en bohr­te sich fest in mir

die vie­len Ziga­ret­ten, die er rauchte
der schmäch­ti­ge Mann, gegen all das Feuer
den Rauch und die Erin­ne­rung, mit zweiundsechzig
war er tot, sein kran­ker Magen, Lun­ge und Herz
ich hät­te ihn so gern so vie­les noch gefragt

als hätt er nicht längst schon genug gehabt
als wäre das für ein Menschenleben
nicht mehr als genug