Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Anständige Demokratie

Som­mer­zeit ist Rei­se­zeit, und Arbeits­mi­ni­ster Huber­tus Heil war im Juli in Indi­en auf der Suche nach Fach­kräf­ten. Es war auch eine Bil­dungs­rei­se, denn er muss­te über­rascht fest­stel­len, dass auch Inder Men­schen sind: »Da kom­men nicht nur Arbeits­kräf­te und Fach­kräf­te«, warn­te Heil im ARD-Inter­view vom 19.07.23: »Es kom­men Men­schen, die müs­sen wir anstän­dig behan­deln.« Was »wir« ja mit Arbeits­kräf­ten sonst nicht tun. Es sei denn, sie arbei­ten in der Bun­des­re­gie­rung und kön­nen selbst beschlie­ßen, was »anstän­dig« ist. »Anstän­dig« ist es dem­nach, sich eine Infla­ti­ons­prä­mie in Höhe von 3.000 Euro pro Kopf aus­zah­len zu las­sen. Regie­rungs­spre­cher Stef­fen Hebe­streit begrün­de­te den Kabi­netts­be­schluss vom 13.07.23 mit der »wir­kungs­glei­chen und system­ge­rech­ten« Über­tra­gung der jüng­sten Tarif­ei­ni­gung für den Öffent­li­chen Dienst. (jW, 14.07.23)

Pati­en­ten dage­gen müs­sen nicht »anstän­dig« behan­delt wer­den, son­dern kosten­gün­stig und pro­fi­ta­bel. Und nach den neu­en Bedin­gun­gen, die im »Eck­punk­te­pa­pier« der Bund-Län­der-Kom­mis­si­on für die Kran­ken­haus­re­form ste­hen. Die Fall­pau­scha­le bleibt, die Gewinn­ori­en­tie­rung bleibt, und damit bleibt auch die Not­wen­dig­keit, Kli­ni­ken zu schlie­ßen, die nicht ren­ta­bel arbei­ten. Die Ver­sor­gung der Pati­en­ten steht eben nicht im Fokus von Krank­heits­mi­ni­ster Lau­ter­bach und sei­nen Kol­le­gen. Schon gar nicht die »anstän­di­ge« Behand­lung von Kran­ken­haus­per­so­nal – es sei denn, es han­delt sich um Inder. Zumin­dest muss es »anstän­dig« aus­se­hen, damit indi­sche Fach­kräf­te über­haupt ins Land kom­men wol­len. Dafür kön­nen »wir« aller­dings kei­ne AfD in Regie­run­gen brau­chen. Und wie ver­hin­dern »wir« eine AfD Regie­rung? Indem »wir« über Herrn Merz dis­ku­tie­ren, der zumin­dest auf kom­mu­na­ler Ebe­ne eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen CDU und AfD nicht völ­lig aus­schlie­ßen will – war­um soll­te er auch. Auf der Ebe­ne der Frem­den­feind­lich­keit arbei­ten CDU und AfD schließ­lich Hand in Hand: Die AfD stellt eine For­de­rung auf, und die CDU setzt das dann – etwas zivi­li­sier­ter for­mu­liert – um. Das geht doch schon die gan­ze Zeit so, dafür muss­te nicht erst Herr Merz kom­men. Aus Angst vor rech­ten Wut­bür­gern wur­de das Asyl­recht bereits abge­schafft, und aus Angst vor popu­li­sti­schen Par­tei­en wer­den nun Lager an den Euro­päi­schen Gren­zen errich­tet. Ein »Schin­ken der Hoff­nung«, den Frau Baer­bock anstel­le eines Leucht­feu­ers in Süd­afri­ka in Aus­sicht stell­te. Bei mehr­heit­lich mus­li­mi­schen Men­schen ist das viel­leicht schon abschreckend genug.

Man kann die­se Lager ja als Test­ge­län­de sehen, wie abschreckend man sein muss, um Men­schen fern­zu­hal­ten, die in ihrer Hei­mat nicht mehr leben kön­nen. Viel­leicht bie­tet sich ja für die­se Men­schen auch die Ukrai­ne an? Wie für die Waf­fen der west­li­chen Welt? Der ukrai­ni­sche Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Ole­xij Res­ni­kow jeden­falls hat die Ukrai­ne als Test­ge­län­de für die glo­ba­le Mili­tär­in­du­strie bezeich­net. Das berich­te­te die Finan­cial Times am 05.07.23. Res­ni­kow habe sich mit hoch­ran­gi­gen US-ame­ri­ka­ni­schen Beam­ten getrof­fen und in einem Inter­view laut Finan­cial Times gesagt, Kiews Ver­bün­de­te der Nato »kön­nen nun sehen, ob ihre Waf­fen tat­säch­lich funk­tio­nie­ren, wie effi­zi­ent sie arbei­ten und ob sie auf­ge­rü­stet wer­den müs­sen«. Und er füg­te hin­zu: »Für die Mili­tär­in­du­strie der Welt kann man kein bes­se­res Test­ge­län­de erfin­den« (jW, 06.07.23).

Wenn die Ukrai­ne jetzt im umkämpf­ten Gebiet Streu­bom­ben ein­setzt, die ja schon im Irak und in Kam­bo­dscha genü­gend gete­stet wur­den, will sie uns dann damit zu ver­ste­hen geben, dass sie auf die­se Gebie­te gar kei­nen Anspruch mehr erhebt?

In die­sem Sin­ne plä­die­re ich für eine Umbe­nen­nung der Ukrai­ne nach dem Mot­to: »Was drauf­steht, soll­te drin sein.« Das mein­te Vor­stands­chef Tobi­as Mey­er zur Umbe­nen­nung der Deut­schen Post in DHL-Group (jW, 04.07.23) Die Brief­zu­stel­lung macht nur noch 7 Pro­zent des Umsat­zes aus und soll noch wei­ter zurück­ge­fah­ren wer­den. Nicht nur mon­tags gibt es also kei­ne Post mehr, son­dern über­haupt soll der Name »Post« aus dem Ver­kehr gezo­gen wer­den. Bald heißt die Bahn dann wohl auch nicht mehr »Bahn«, weil ja eh kein Zug mehr pünkt­lich ankommt und die »Deut­sche Bahn« ihre Gewin­ne auch nicht mehr in vol­len Zügen macht, son­dern mit inter­na­tio­na­ler Logi­stik. Und ihre Pas­sa­gie­re auch nicht mehr »anstän­dig« behan­deln muss, es sei denn, sie kom­men aus Indi­en, was wohl sel­ten pas­siert – wohl aus geo­gra­fi­schen Gründen.