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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die liebende Freischärlerin

Das war und ist Loui­se Aston (1814-1871). In der Aus­stel­lung »Aus dem Rah­men gefal­len. Star­ke Frau­en im Jeri­chower Land« konn­te man ihr jüngst begeg­nen. Das Aus­stel­lungs­pro­jekt des För­der­ver­eins Gen­thi­ner Stadt­ge­schich­te war von Anfang Febru­ar bis Anfang April die­ses Jah­res im Mag­de­bur­ger Lite­ra­tur­haus zu erle­ben. Da sah man Bri­git­te Rei­mann, die »Lei­den­schaft­li­che«; Eli­sa­beth von Arden­ne, die »Untreue« (sie war das Vor­bild für Fon­ta­nes Effi Briest); dane­ben eine »Schein­to­te«, eine »Wohl­tä­ti­ge«, eine »Kom­mu­ni­stin«.

Loui­se Aston war hier die »Eman­ze«. Gegen die­sen Titel hät­te sie wohl nichts ein­zu­wen­den gehabt. Oder wäre ihr »Schrift­stel­le­rin« doch lie­ber gewe­sen? Oder gar »Frei­schär­le­rin«? Wür­de sie ver­ste­hen, dass die­sem Begriff heu­te etwas leicht Ver­däch­ti­ges anhaftet?

Glück­li­cher­wei­se erscheint sie in der Aus­stel­lung zwar als extra­va­gan­te, pro­vo­kan­te, weil eman­zi­pier­te Frau, als Hosen tra­gen­der und öffent­lich Zigar­ren rau­chen­der Bür­ger­schreck in Ber­lin und zuvor schon in Burg, wo ihr eng­li­scher, deut­lich älte­rer Mann – von dem sie sich spä­ter, auch das ein Skan­dal, schei­den ließ – eine Fabrik für Dampf­ma­schi­nen­bau betrieb, aber auch als Roman­au­to­rin und Lyrikerin.

Nun ist Loui­se Astons Vita in der Tat ein Roman, und sie reflek­tier­te ihr Leben in der Lite­ra­tur. Sehr deut­lich in der Gedicht­samm­lung »Frei­schär­ler-Remi­nis­cen­zen« 1849 (sie wur­de vor­da­tiert auf 1850), ihrer letz­ten Ver­öf­fent­li­chung zu Lebzeiten.

Den Geschmack der bür­ger­li­chen Frau­en­be­we­gung jener Jah­re – die man heu­te dem Bie­der­mei­er zurech­net – traf sie damit nicht. Die Frau­en­recht­le­rin Loui­se Otto (1819-1895) warf in einer »Bücher­schau« der Autorin vor, sie erwecke den Ein­druck des »Gemach­ten«, wo »Gefühls­in­nig­keit« am Plat­ze wäre, eini­ge von ihr gebrauch­te Wör­ter berühr­ten »unan­ge­nehm«. Am mei­sten erregt sich die Rezen­sen­tin über eine Zei­le im Gedicht »Den Frau­en«, wo Loui­se Aston schreibt: »Der Freie sün­digt, weil er sünd’gen muß!« Das sei nicht »unmo­ra­lisch«, wie die Schrei­be­r­ein viel­leicht gehofft habe, son­dern »unphi­lo­so­phisch und unsin­nig«, wobei sie Luther und Feu­er­bach als Kron­zeu­gen auf­ruft. Loui­se Aston sei mit­nich­ten eine »Freie«, son­dern gehö­re zu den »Unfrei­en«.

Die Argu­men­ta­ti­on Loui­se Ottos, dass der Freie nicht sün­di­gen muss, weil Sün­de eben Unfrei­heit ist, dass das Ver­las­sen die­ses Stand­punk­tes aber Frei­heit und Recht sei, ist ein­leuch­tend. Lei­der über­trägt Loui­se Otto ihren nega­ti­ven Befund auf alle Tex­te der Samm­lung und erhebt sich zur Putz­be­auf­trag­ten der Demo­kra­ten, von denen sie alle »unrei­nen Ele­men­te« fern­hal­ten möch­te. Das meint man zu ken­nen: Ein Gedan­ke, eine Äuße­rung, die dem Main­stream des gera­de zu den­ken Mög­li­chen wider­spricht, ein ver­ges­se­nes Gen­der­stern­chen, ein Wort, das »man« im aktu­el­len Dis­kurs nicht oder nicht mehr gebrau­chen soll­te – und schon wird die demo­kra­ti­sche Grund­hal­tung abgesprochen.

Dabei haben die »Frei­schär­ler-Remi­nis­cen­zen« eini­ges von dem zu bie­ten, was Luther aus­zeich­net und was der Demo­kra­tie immer gut bekommt: die Furcht­lo­sig­keit, ja, die Cou­ra­ge des Wor­tes. Kaum zu glau­ben, dass Loui­se Otto das ent­gan­gen ist, aber Loui­se Aston hat­te »gesün­digt«. Denn sie hat­te das »unpoe­ti­sche« Wort »Pferch­sy­stem«, wel­ches man den Natio­nen schmie­de, gebraucht. Dabei war und ist es doch unge­mein treffend.

Natür­lich ist aus dem Zusam­men­hang Genom­me­nes immer ein wenig pro­ble­ma­tisch, aber wür­de es uns nicht auch gut­tun, ein­mal zu rufen oder auf das Trans­pa­rent zu schreiben:

»So lan­ge Macht das Losungswort
In dem poli­ti­schen Capitel,
So lan­ge nicht die Hand verdorrt,
Die frech aus­langt nach Kron’ und Titel.«

Oder:

»Drum denn hin­aus in’s Freie! in’s Weite!
Nichts nenn’ ich mein, drum gehört mir das All;
Jubelnd begrü­ßen mich, die Befreite,
Wan­dern­de Stür­me mit Donnerschall.«

Doch der Ton der Gedich­te bleibt in der Samm­lung nicht so aggres­siv und kämp­fe­risch. Ele­gi­sches mischt sich dar­un­ter, da wird das mat­te Her­un­ter­bren­nen der jun­gen Frei­heits­ker­zen bereits im Okto­ber 1848 beklagt, der Rausch der März-Frei­heit ist schnell verflogen:

»Denn wer um Frei­heit mut­hig rang,
Noch kann er sich zum Fest nicht laden;
Ein Kämp­fer steht er, ernst und bang
An den Gedanken-Barrikaden.«

Am Ende der Samm­lung schwin­det die poli­ti­sche Schär­fe, dafür setzt Loui­se Aston eine »wil­de Rose« in Sze­ne und einen zu ihr klet­tern­den wage­mu­ti­gen Waid­mann, den dann »des Abgrunds fin­ste­re Tie­fe emp­fängt (…) mit kal­tem Kuß«.

Doch gewiss darf auch eine Frei­schär­le­rin von Lie­be träumen.

Selt­sam ist das »Lied einer schle­si­schen Webe­rin«, wor­in das Schick­sal einer vom Fabri­kan­ten ver­führ­ten Frau geschil­dert wird, deren Vater gestor­ben ist, den Lieb­sten hat der För­ster als Wil­de­rer tot­ge­schos­sen. Es ist der Autorin bit­ter­ernst mit dem, was und wie sie schreibt. Vor eini­gen Jah­ren prä­sen­tier­te ich das Gedicht Abitu­ri­en­ten, im Zusam­men­hang mit Ger­hart Haupt­manns Weber-Stück und Hein­rich Hei­nes berühm­tem Weber-Gedicht. Die jun­gen Leu­te konn­ten nicht ernst blei­ben, als sie lasen:

»Wohl weiß ich, wie die Deinen
In Noth und Kum­mer sind;
Drum willst Du bei mir ruhen
Der Näch­te drei und vier;
Sieh’ die­ses blan­ke Goldstück!
Sogleich gehört es dir!«

Sie wur­den ernst, als wir eine kurz­ge­fass­te Bio­gra­fie Loui­se Astons betrach­te­ten, als sie sahen, dass man einst wegen »unsitt­li­cher Lebens­wei­se« oder der Ver­nei­nung von orga­ni­sier­ter Reli­gio­si­tät poli­zei­lich über­wacht und sogar aus dem Wohn­ort aus­ge­wie­sen wer­den konn­te. Zum Glück geriet unser Gespräch dar­über nicht auf das Gleis: Das war eben damals so. Son­dern wir konn­ten uns dar­auf ver­stän­di­gen, dass jede Zeit ihre Loui­se Aston braucht.