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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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China fest im Visier

Im Wind­schat­ten des Ukrai­ne­kriegs schlägt wie­der ein­mal die Stun­de der Geo­stra­te­gen. Die Arbeit zahl­rei­cher, zumeist ame­ri­ka­ni­scher Denk­fa­bri­ken läuft auf Hoch­tou­ren. Der Ukrai­ne­krieg selbst ist nur ein Stell­ver­tre­ter­krieg, der die Schwä­chung der »Regio­nal­macht« Russ­land zum Ziel hat. Die ame­ri­ka­ni­sche Sei­te hat den Krieg zur Neu­grup­pie­rung der west­li­chen Bünd­nis­part­ner und zur wei­te­ren Auf­rü­stung genutzt. Dar­über hin­aus nimmt man den eigent­li­chen Kon­kur­ren­ten und welt­po­li­ti­schen Gegen­spie­ler Chi­na ins Visier. Chi­na will man nicht nur in Schach hal­ten, son­dern defi­ni­tiv von sei­nen Macht­an­sprü­chen ver­drän­gen. Die Anti­chi­na­po­li­tik begann bereits unter Prä­si­dent Oba­ma; unter Trump, der nicht nur auf Auf­rü­stung, son­dern auf mas­si­ve Sank­tio­nen setz­te, wur­de sie fort­ge­setzt. Für Biden wird sie jetzt zum Kern­punkt sei­ner Poli­tik. Chi­nas mili­tä­ri­sche, poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Ambi­tio­nen sol­len hin­ter­trie­ben, sein Auf­stieg zur Welt­macht defi­ni­tiv ver­hin­dert wer­den. Dazu wer­den sowohl diplo­ma­ti­sche als auch mili­tä­ri­sche Stra­te­gien benö­tigt, die den gesam­ten indo­pa­zi­fi­schen Raum betref­fen. Eine Schlüs­sel­rol­le dürf­te dabei Tai­wan spie­len, das als Bünd­nis­part­ner auf­ge­wer­tet wird und mili­tä­risch-geo­gra­phisch als wich­ti­ges Bin­de­glied in der Chi­na vor­ge­la­ger­ten Insel­ket­te gilt. Dass auch Biden von sol­chen Sze­na­ri­en aus­geht, wur­de im Mai 2022 bei einem Besuch in Japan klar, als er davon sprach, dass die USA Tai­wan ver­tei­di­gen wer­den, soll­te es von Chi­na ange­grif­fen wer­den. Natür­lich wur­de sogleich zurück­ge­ru­dert und betont, dass die 1979 ver­ein­bar­te Ein-Chi­na-Poli­tik, der zufol­ge Tai­wan poli­tisch durch Chi­na reprä­sen­tiert wird, nach wie vor bin­dend sei. Die Tai­wa­ner müss­ten sich also bei einem Angriff selbst verteidigen.

Nach außen gibt sich die ame­ri­ka­ni­sche Regie­rung diplo­ma­tisch. So hielt der Außen­mi­ni­ster Ant­o­ny Blin­ken am 26.5.2022 eine Grund­satz­re­de, die die Hal­tung gegen­über dem Welt­macht­kon­kur­ren­ten Chi­na umrei­ßen soll­te. Dabei beruft er sich auf eine inter­na­tio­na­le »regel­ba­sier­te« Ord­nung, auf die sich 1945 alle Län­der geei­nigt hät­ten, um freie Wirt­schaft, Gewalt­ver­zicht und Men­schen­rech­te zu garan­tie­ren. Die­se inter­na­tio­na­le Ord­nung sei nun nicht nur von Putin, son­dern von Chi­na »ernst­haft und nach­hal­tig« her­aus­ge­for­dert wor­den, ja, Chi­na habe, anders als Putin, das Poten­ti­al, die alte Ord­nung zu unter­mi­nie­ren und eine eige­ne zu eta­blie­ren. Es habe zwar von der Öff­nung zum Westen erheb­lich pro­fi­tiert, wol­le aber nun in den moder­nen Tech­no­lo­gien eine Vor­macht­stel­lung gewin­nen und sei­nen Ein­fluss auch im indo­pa­zi­fi­schen Raum aus­deh­nen, für Blin­ken ein kla­rer Beweis, dass Chi­na der Welt­herr­schaft anstrebe.

Chi­na sei in den letz­ten Jah­ren nach innen repres­si­ver und nach außen aggres­si­ver gewor­den. Es habe eine Über­wa­chungs­ge­sell­schaft eta­bliert, die Rech­te von Arbei­tern beschnit­ten und gegen alle mög­li­chen Han­dels­ge­set­ze ver­sto­ßen. Es bedro­he Nach­barn, die ihm in die Que­re kom­men, zöge­re nicht, sie ein­zu­schüch­tern oder mas­si­ve Ver­gel­tung zu üben. Da Chi­na Putins Inva­si­on nicht ver­ur­teilt habe, sei klar, was die Nach­barn Chi­nas in Zukunft zu gewär­ti­gen hät­ten. Da sich die­ser Kurs kaum kor­ri­gie­ren las­se, wol­le man ein Umfeld schaf­fen, um Chi­nas Machen­schaf­ten ent­ge­gen­zu­tre­ten. Dies betrifft zum einem die Stär­kung der eige­nen Posi­ti­on – der Inve­sti­ti­on in Infra­struk­tur, Bil­dung, moder­ne Tech­no­lo­gien. Auch das eige­ne Demo­kra­tie­mo­dell wird als über­le­gen her­aus­ge­stellt, denn nur die­ses ermög­li­che die freie Ent­fal­tung indi­vi­du­el­ler Fähig­kei­ten und einen öffent­li­chen kri­ti­schen Mei­nungs­aus­tausch, der auch Män­gel anspre­che. Die glei­che Frei­heit­lich­keit herr­sche auch unter den Part­nern der USA, deren Eigen­stän­dig­keit stets gewahrt bleibe.

Blin­ken geht es fer­ner um eine brei­te Alli­anz, um in allen wich­ti­gen Welt­ge­gen­den – ob im indo­pa­zi­fi­schen Raum, ob in Asi­en oder Euro­pa – die Wirt­schafts­be­zie­hun­gen zu ver­stär­ken und Geschlos­sen­heit gegen­über Chi­na zu demon­strie­ren. Stö­rungs­ver­su­che sei­tens Chi­nas soll­ten so ins Lee­re lau­fen. Vor allem sol­len auch die Inve­sti­ti­ons­be­mü­hun­gen Chi­nas abge­blockt wer­den, da sie in der Regel auf Ver­schul­dung, Erpres­sung und die Miss­ach­tung von Arbei­ter­rech­ten sowie auf Umwelt­zer­stö­rung hin­aus­lie­fen. Das Bild, das Blin­ken hier von Chi­na zeich­net, ist das eines Pari­as, des­sen impe­ria­li­sti­schen Avan­cen man sich wider­set­zen müs­se. Natür­lich fehlt auch der Hin­weis auf die Defi­zi­te im Bereich der Men­schen­rech­te nicht: Blin­ken spricht von mehr als einer Mil­li­on inter­nier­ter Uigu­ren, »bru­ta­len Kam­pa­gnen« gegen die Min­der­heit in Tibet und offe­ner poli­ti­scher Repres­si­on in Hong Kong.

Die ame­ri­ka­ni­sche Stra­te­gie besteht für Blin­ken dar­in, auf der Basis eines gestärk­ten Poten­ti­als und inten­si­vier­ter Zusam­men­ar­beit mit den Part­nern und Alli­ier­ten Chi­na nie­der zu kon­kur­rie­ren (»out­com­pe­te«), um des­sen selbst­süch­ti­gen, markt­ver­zer­ren­den, men­schen­ver­ach­ten­den und umwelt­zer­stö­ren­den Machen­schaf­ten ein Ende zu berei­ten. Das Gan­ze soll nach Mög­lich­keit fried­lich ver­lau­fen. Kon­kur­renz müs­se nicht in offe­nen Kon­flikt oder Kal­ten Krieg aus­ar­ten. Doch gleich­zei­tig ver­weist Blin­ken auf die Not­wen­dig­keit einer »inte­grier­ten Abschreckung«, um die aggres­si­ven Manö­ver Chi­nas zu unter­bin­den. Was Tai­wan betrifft, so unter­stüt­ze man zwar kei­ner­lei Unab­hän­gig­keits­be­mü­hun­gen, die fort­ge­setz­te Auf­rü­stung wer­de nicht über eine legi­ti­me Selbst­ver­tei­di­gung hin­aus­ge­hen. Aller­dings sol­le Tai­wan durch Teil­nah­me an inter­na­tio­na­len Gre­mi­en auf­ge­wer­tet wer­den. Die der­zei­ti­ge Desta­bi­li­sie­rung der Lage in und um Tai­wan las­se sich dar­auf zurück­füh­ren, dass Chi­na Tai­wan, das Blin­ken als höchst leben­di­ge Demo­kra­tie cha­rak­te­ri­siert, stän­dig unter Druck setze.

Blin­ken will somit aus einer Posi­ti­on der Stär­ke Chi­nas angeb­li­chem Kampf um die Welt­herr­schaft ent­ge­gen­tre­ten. Es gel­te, des­sen Prak­ti­ken zu brand­mar­ken und zu unter­bin­den. Die Auf­ga­be der Diplo­ma­tie bestehe vor allem dar­in, die unver­ein­ba­ren Gegen­sät­ze deut­lich zu machen und anson­sten auf Gebie­ten wie der Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels und des Ter­ro­ris­mus zusam­men­zu­ar­bei­ten. Doch auch bei Blin­ken klingt schon an, dass die Gesamt­stra­te­gie – abge­se­hen davon, dass sie auf einem mas­siv ver­zerr­ten Bild der System­kon­fron­ta­tio­nen der letz­ten sieb­zig Jah­re beruht – wohl kaum ohne mili­tä­ri­sches Droh­po­ten­ti­al funktioniert.

Die Dis­kus­sio­nen über ange­mes­se­ne Stra­te­gien fin­den zum Teil in der ame­ri­ka­ni­schen Öffent­lich­keit statt. So wur­de ein Buch des Mili­tär­be­ra­ters Elbridge Col­by mit dem pro­gram­ma­ti­schen Titel »Stra­tegy of Deni­al. Ame­ri­can Defen­se in the Age of Gre­at Power Con­flict« breit dis­ku­tiert, ja, es tauch­te sogar auf einer Best­sel­ler­li­ste auf. Mit »deni­al« ist die Absicht gemeint, Chi­na die Welt­macht­rol­le zu ver­weh­ren. Das Buch liest sich wie eine sich bewusst auf mili­tä­ri­sche Aspek­te kon­zen­trie­ren­de Gebrauchs­an­wei­sung. Es macht deut­lich, dass die USA nur dann die Ober­hand behal­ten wer­den, wenn sie bereit sind, die eige­nen Mit­tel, ein­schließ­lich der nuklea­ren, gezielt ein­zu­set­zen. Die Situa­ti­on Tai­wans wird in die­sem Zusam­men­hang aus­führ­lich ana­ly­siert. Die­se dem Kon­ti­nent vor­la­ger­te Insel sei die Basis, von der man Chi­na in die Enge trei­ben und – falls nötig – sogar ver­nich­ten kön­ne. Die seit Jah­ren for­cier­te Auf­rü­stung – mit Anti­schiffs­ra­ke­ten u. a. – sol­le sich aus­zah­len. Jeder Ver­such einer gewalt­sa­men Über­nah­me sol­le zunächst von den Tai­wa­nern, dann aber auch von der ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­macht ver­ei­telt wer­den. Die Plä­ne rei­chen von der Zer­stö­rung chi­ne­si­scher Kampf­boo­te und Mili­tär­ba­sen in Chi­na selbst bis zum limi­tier­ten Nukle­ar­krieg. Nur wenn man in jeder Pha­se rich­tig kal­ku­lie­re, die Lage rea­li­stisch ein­schät­ze und mit der nöti­gen Ent­schlos­sen­heit vor­ge­he, habe man Erfolg. An wei­te­ren Sze­na­ri­en oder gar Alter­na­ti­ven zeigt der Autor, der poli­tisch und publi­zi­stisch bestens ver­netzt ist, kei­ner­lei Inter­es­se. Das Ziel besteht in einer »rea­li­sti­schen« und vor allem effi­zi­en­ten Stra­te­gie in der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kon­tra­hen­ten Chi­na. Gleich­zei­tig soll so das eige­ne Land auf die har­ten Kon­fron­ta­tio­nen der Zukunft vor­be­rei­tet wer­den. Für Frie­dens­stra­te­gien bleibt da kein Raum.