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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Räumt die Documenta ab!

Kürz­lich wur­de nun end­lich die docu­men­ta fif­teen eröff­net. Aber schon lan­ge zuvor wur­de sie mit einem lang­sam anschwel­len­den Chor über das Ver­sa­gen, die Unver­ant­wort­lich­keit, den Skan­dal, das Desa­ster, die Schan­de und natür­lich den Anti­se­mi­tis­mus der gan­zen Ver­an­stal­tung begrüßt. Bun­des­prä­si­dent Stein­mei­er hat­te schon vor dem ersten Rund­gang allen Vor­wür­fen sei­ne prä­si­dia­le Lizenz gege­ben und der Aus­stel­lung unter­stellt, es wer­de die Exi­stenz Isra­els ange­grif­fen. Bis­her hat es dafür kei­nen Beweis gege­ben. Aber der Eklat war da, als an zen­tra­lem Ort auf dem Fried­richs­platz vor dem Fri­de­ri­cia­num das gro­ße Ban­ner »People’s Justi­ce« des indo­ne­si­schen Künst­ler­kol­lek­tivs Taring Padi auf­ge­zo­gen wur­de, auf dem unter zahl­lo­sen ande­ren nun auch zwei pro­ble­ma­ti­sche Figu­ren ent­deckt wur­den. Wäh­rend der eine Kopf mit Schlä­fen­locken und SS-Runen auf dem Hut eine ein­deu­tig anti­se­mi­ti­sche Iko­no­gra­phie spie­gelt, muss man das bei der zwei­ten Figur durch­aus bezwei­feln. Was macht die Dar­stel­lung eines Sol­da­ten mit Schwei­ne­schnau­ze in einer Rei­he wei­te­rer schwei­ne­schnäu­zi­ger Sol­da­ten anti­se­mi­tisch, nur weil auf des­sen Helm die Auf­schrift »Mos­sad« steht? Der Mos­sad, offi­zi­ell »Insti­tut für Auf­klä­rung und Son­der­ope­ra­tio­nen« hat welt­weit einen Ruf wie Don­ner­hall, wie der Spie­gel schon 2011 schrieb: »Der Grund sind spek­ta­ku­lä­re Ope­ra­tio­nen – geziel­te Tötun­gen inklu­si­ve«, sprich Mord, zahl­reich und in staat­li­chem Auf­trag. Die­ser Mos­sad-Mann läuft in einer Rei­he inmit­ten wei­te­rer Sol­da­ten, auf deren Hel­men M-I5, KGB und 007 prangt. Es ist doch offen­sicht­lich, dass »People’s Justi­ce« nicht die Juden rich­ten soll, son­dern kri­mi­nel­le und höchst gewalt­tä­ti­ge Insti­tu­tio­nen eines mili­tä­ri­schen Geheim­dienst­ap­pa­rats, unter denen der Mos­sad in der Tat eine pro­mi­nen­te Rol­le ein­nimmt. Was ist dar­an anti­se­mi­tisch, etwa anti­rus­sisch oder antibritisch?

Doch dann ist schon lan­ge das palä­sti­nen­si­sche Künst­ler­kol­lek­tiv »The Que­sti­on of Fun­ding« im Faden­kreuz der Anti­se­mi­tis­mus-Jäger: die Bil­der­se­rie »Guer­ni­ca Gaza« von Moham­med Al Hawa­jri, mit der er fried­li­che länd­li­che Sze­nen aus dem klas­si­schen Reper­toire der euro­päi­schen Male­rei mit Foto­gra­fien israe­li­schen Mili­tärs im Anschlag auf der zwei­ten Bild­hälf­te kon­fron­tiert. Das ist »israel­be­zo­ge­ner Anti­se­mi­tis­mus« und zie­le auf die »Dele­gi­ti­mie­rung und letz­ten Endes die Abschaf­fung Isra­els«, heißt es bei NDR Kul­tur (24.4.22). Das prä­ge die­se Docu­men­ta ins­ge­samt. Wie kön­ne man »israe­li­sche Ter­ror­be­kämp­fung im Gaza­strei­fen« mit der Nazi-Bom­bar­die­rung einer spa­ni­schen Stadt ver­glei­chen? Wer aller­dings die Krie­ge, die die israe­li­sche Armee 2008/​2009, 2012, 2014 und 2021 mit tau­sen­den von Toten und zig­tau­send Ver­wun­de­ten gegen den Gaza­strei­fen geführt hat, als Ter­ror­be­kämp­fung recht­fer­tigt, hat offen­sicht­lich immer noch nicht begrif­fen, dass nicht Gaza Isra­el besetzt hat, son­dern Isra­el den Gaza­strei­fen immer noch besetzt und bis zur Unbe­wohn­bar­keit blockiert.

Hin­ter die­sen absur­den Anschul­di­gun­gen steckt offen­sicht­lich die Angst, dass ein The­ma, wel­ches bis­her erfolg­reich aus der hie­si­gen Dis­kus­si­on her­aus­ge­hal­ten und tabui­siert wer­den konn­te, über den offe­nen Markt­platz der Docu­men­ta uns nun von außen auf­ge­zwun­gen wird. Gibt es einen Zusam­men­hang zwi­schen der täg­li­chen Gewalt und Apart­heid der israe­li­schen Besat­zungs­po­li­tik und dem stei­gen­den Anti­se­mi­tis­mus nicht nur in Deutsch­land? Ruan­grupa und nicht weni­ge Künst­ler­grup­pen aus Asi­en, Afri­ka und Latein­ame­ri­ka wür­den das zwei­fels­oh­ne beja­hen. Die stän­di­gen ein­deu­ti­gen und mit gro­ßer Mehr­heit erfol­gen­den Ver­ur­tei­lun­gen der israe­li­schen Besat­zungs­po­li­tik in der UNO illu­strie­ren nur ihre welt­wei­te Ableh­nung. Indo­ne­si­en hat aus die­sem Grund den Staat Isra­el bis heu­te nicht aner­kannt. Und wir soll­ten uns nicht wun­dern, wenn die­se Ableh­nung nicht nur mit Reso­lu­tio­nen, son­dern immer wie­der mit »anti­se­mi­ti­schen« Sym­bo­len mani­fe­stiert wird. Dabei ist trotz aller Defi­ni­ti­ons­ver­su­che über­haupt nicht gesi­chert, wo der Anti­se­mi­tis­mus beginnt. Hat der Deut­sche Bun­des­tag vor drei Jah­ren im Mai 2019 die BDS-Bewe­gung pau­schal als anti­se­mi­tisch ein­ge­ord­net, so hat genau ein Jahr spä­ter der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­recht am Boy­kott­auf­ruf der Bewe­gung kei­ne anti­se­mi­ti­sche Fär­bung erken­nen können.

Doch hier begin­nen die Pro­ble­me – nicht der docu­men­ta fif­teen und ihres Kura­to­ren­kol­lek­tivs, son­dern ihrer Kri­ti­ker und Kri­ti­ke­rin­nen. In einem wah­ren Anti­se­mi­tis­mus-Orgas­mus wol­len sie alles abräu­men, nicht nur das Ban­ner »People’s Justi­ce«, auch Ruan­grupa soll sich aus Kas­sel zurück­zie­hen, Clau­dia Roth soll gehen und mit ihr ihre Par­tei­freun­din, die hes­si­sche Kul­tur­mi­ni­ste­rin Ange­la Dorn, und natür­lich auch die Geschäfts­füh­re­rin der Docu­men­ta Sabi­ne Schor­mann (FAZ v. 24.6.22). Wie lan­ge wird sich noch »The Que­sti­on of Fun­ding« mit ihrer Bil­der­se­rie »Guer­ni­ca-Gaza« hal­ten kön­nen? Wann wird man Künst­le­rin­nen und Künst­ler­grup­pen mit BDS-Sym­pa­thie ding­fest machen? Die gan­ze Aus­stel­lung sei ver­gif­tet von die­sem »staat­lich ali­men­tier­ten Anti­se­mi­tis­mus«. Da hilft wohl nur eines: am besten tabu­la rasa, alles abräu­men, Straf­an­zei­ge wegen Volks­ver­het­zung ist schon gestellt wor­den. Und mit­ten­drin wird immer noch die Fah­ne der Kunst­frei­heit hoch­ge­hal­ten – reich­lich ram­po­niert und zer­fetzt nach einer Woche Docu­men­ta. Der Ver­dacht drängt sich auf, die Wut der Ableh­nung trifft nicht nur zwei, drei »anti­se­mi­ti­sche« Bil­der, son­dern die gesam­te Kon­zep­ti­on einer frem­den und fremd geblie­be­nen Kuratorengruppe.

Denn das, was wir erle­ben, ist schlicht Zen­sur, selbst wenn man das nicht hören mag. Und die Kul­tur­staats­mi­ni­ste­rin hat schon ein umfang­rei­ches Auf­sichts­kon­strukt für die näch­ste Docu­men­ta in fünf Jah­ren ange­droht. Was geht hier vor? Man lädt aus einem fer­nen mus­li­mi­schen Land mit einer 350 Jah­re lan­gen Kolo­ni­al­ge­schich­te voll Gewalt und Unter­drückung eine hier dem Publi­kum weit­hin unbe­kann­te Künst­ler­grup­pe ein. Sie soll eine Welt­aus­stel­lung – kei­ne deut­sche – gestal­ten, und nun geben sich die Ver­ant­wort­li­chen empört über das, was sie prä­sen­tiert. Die Ent­schei­dung war sei­ner­zeit ein muti­ger und erfreu­li­cher Aus­bruch aus dem immer noch kolo­ni­al grun­dier­ten euro-atlan­ti­schen Kunst­kreis. Hat man erwar­tet, dass die­se Künst­le­rin­nen und Künst­ler ihre Aus­ein­an­der­set­zung mit Unter­drückung und Kolo­nia­lis­mus auf ihr Land beschrän­ken und nicht in den inter­na­tio­na­len Kampf gegen den noch andau­ern­den Kolo­nia­lis­mus und die Apart­heid stel­len? Hat man erwar­tet, dass Palä­sti­nen­si­sche Künst­ler blü­hen­de Oran­gen­hai­ne ohne die israe­li­sche Armee und Sied­ler malen, die sie regel­mä­ßig über­fal­len und zer­stö­ren? Hät­te man die Ein­la­dung israe­li­scher Künst­le­rin­nen und Künst­ler zur Bedin­gung der Aus­stel­lung machen sol­len? Allein die Fra­ge erweist schon ihren Wider­sinn. Die Israe­li konn­te man auf der letz­ten Bien­na­le in Vene­dig in ihrem eige­nen Pavil­lon erle­ben, wo sie unter dem Mot­to »Land. Milk. Honey« die Kolo­ni­sie­rung und Frucht­bar­ma­chung eines »her­un­ter­ge­kom­me­nen und lee­ren Lan­des« in ein »Land der Fül­le« foto­gra­fisch doku­men­tier­ten (Ossietzky 15, 2021). Wer soll­te sie einladen?

Der Ver­such, wenig­stens die inter­na­tio­na­le Kunst von den Fes­seln der deut­schen Geschich­te zu befrei­en, ist offen­sicht­lich geschei­tert. Die Fra­ge bleibt, ob die Besei­ti­gung der Bil­der irgend­et­was zur Über­win­dung des Anti­se­mi­tis­mus bei­trägt, oder ihn eher för­dert. Die Dis­kus­si­on über die inkri­mi­nier­te Kunst ist nicht mehr mög­lich, da sie nicht mehr da ist. Die indo­ne­si­schen Künst­le­rin­nen und Künst­ler waren immer­hin so höf­lich, sich zu ent­schul­di­gen, Emp­find­lich­kei­ten ihrer Gast­ge­ber berührt zu haben, anstatt ihre Sachen zu packen und Kas­sel zu ver­las­sen. Auf Kunst­frei­heit soll­te man sich aller­dings jetzt nicht beru­fen. Die Docu­men­ta ein Fias­ko? Nein, ein Fias­ko der Kunstfreiheit.