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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Dann hau ich wahrscheinlich schneller zu …«

Die Dis­kri­mi­nie­rung von Peo­p­le of Color erfolgt nicht nur durch ein­zel­ne Poli­zei­be­am­te, son­dern »es han­delt sich … um ein struk­tu­rel­les Pro­blem poli­zei­li­cher Pra­xis« – das ist ein wich­ti­ges Fazit eines For­schungs­pro­jek­tes zu Poli­zei­ge­walt (https://kviapol.rub.de/), das der­zeit an der Uni­ver­si­tät Bochum durch­ge­führt wird. In einem im Novem­ber vor­ge­leg­ten Zwi­schen­be­richt unter­mau­ern die For­scher, was kri­ti­sche Beob­ach­ter der Poli­zei­ar­beit schon lan­ge aus der Pra­xis kennen.

Der Zwi­schen­be­richt the­ma­ti­siert Ras­sis­mus- und Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen, die sich im Zusam­men­hang mit poli­zei­li­cher Gewalt­aus­übung ereig­net haben. Grund­la­ge dafür sind Aus­künf­te von 3737 Teil­neh­mern einer Online-Befra­gung. Mehr­fach beto­nen die For­scher, dass ihre Stu­die nicht reprä­sen­ta­tiv ist. So haben nur 164 Peo­p­le of Color (PoC, defi­niert als Per­so­nen mit oder ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund, die Ras­sis­mus­er­fah­run­gen gemacht haben) teil­ge­nom­men. Der Anteil von Teil­neh­mern ohne deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit lag nur bei drei Pro­zent, obwohl sie 12 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung aus­ma­chen. Den­noch erlaubt die Stu­die Schluss­fol­ge­run­gen und zeigt poli­ti­schen Hand­lungs­be­darf an.

Zu den wich­tig­sten Teil­ergeb­nis­sen gehört, dass 62 Pro­zent der PoC ange­ben, sich in Situa­tio­nen dis­kri­mi­niert gefühlt zu haben, in denen sie – aus ihrer Sicht unge­recht­fer­tig­ter – Poli­zei­ge­walt aus­ge­setzt waren. Im Ver­gleich: Eine Dis­kri­mi­nie­rung haben nur 31 Pro­zent der »wei­ßen« Umfra­ge­teil­neh­mer empfunden.

Als aus­schlag­ge­bend für die Behand­lung durch die Poli­zei haben PoC vor­ran­gig Kri­te­ri­en genannt, die sie äußer­lich von der Mehr­heits­be­völ­ke­rung unter­schei­den: die (zuge­schrie­be­ne) »ethnische/​kulturelle Zuge­hö­rig­keit«, »Haut­far­be« sowie »Kleidung/​Aussehen«. Bei nähe­rer Betrach­tung wird eine inter­sek­tio­na­le Wir­kung die­ser Fak­to­ren deut­lich, so sind etwa Men­schen mit dunk­ler Haut­far­be umso eher Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt, je mehr ihnen etwa auf­grund von Klei­dung und Aus­se­hen ein nied­ri­ger sozia­ler Sta­tus zuge­schrie­ben wird. Auch Fak­to­ren wie Geschlecht, sexu­el­le Ori­en­tie­rung und Bil­dungs­stand spie­len hier eine wich­ti­ge Rol­le. Acht­zig Pro­zent der befrag­ten PoC und Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund geben zudem an, sie sei­en nicht nur ein­mal, son­dern mehr­fach auf­grund der genann­ten Eigen­schaf­ten dis­kri­mi­nie­rend behan­delt worden.

Dass die Selbst­ein­schät­zung Hand und Fuß hat, ist aus ande­ren Ergeb­nis­sen der Stu­die ables­bar: So wer­den bezo­gen auf die Gesamt­teil­neh­mer die mei­sten Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen im Rah­men von poli­ti­schen Aktio­nen oder Groß­ver­an­stal­tun­gen (etwa Fuß­ball­spie­le) gemacht – nicht jedoch bei PoC: Sie bekom­men es meist außer­halb von Groß­ver­an­stal­tun­gen mit der Poli­zei zu tun, über­wie­gend im Rah­men von Per­so­nen­kon­trol­len, denen sie rela­tiv gese­hen fast dop­pelt so häu­fig unter­zo­gen wer­den wie »Wei­ße«.

Eine zen­tra­le Rol­le spielt dabei das soge­nann­te poli­zei­li­che Erfah­rungs­wis­sen, das sich unter ande­rem aus indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen der Poli­zi­sten, aber auch aus ande­ren Quel­len wie Erzäh­lun­gen von Kol­le­gen, Medi­en­be­rich­ten und so wei­ter speist. Dar­in flie­ßen auch gesell­schaft­li­che Dis­kur­se ein, die häu­fig zu pau­scha­len, kul­tu­ra­li­sie­ren­den Zuschrei­bun­gen füh­ren, denen zufol­ge Ange­hö­ri­ge »ande­rer Kul­tu­ren« in beson­de­rer Wei­se zu Delin­quenz neigten.

Dass eine ras­si­sti­sche Poli­zei­pra­xis (auch) struk­tu­rell ange­legt ist, wird schon dar­aus deut­lich, dass sie nicht nur indi­vi­du­el­len Vor­lie­ben folgt (die auch des­we­gen nicht nur »Ein­zel­fäl­le« sind, weil sie ihrer­seits auf gesell­schaft­li­chen Dis­kur­sen beru­hen), son­dern recht­li­chen und insti­tu­tio­nel­len Vor­ga­ben und spe­zi­fi­scher Berufs­lo­gik. Hier ist etwa die beson­de­re Befug­nis zu anlass­lo­sen Kon­trol­len an bestimm­ten Orten (»gefähr­li­che Orte« nach Lan­des­po­li­zei­ge­set­zen) zu nen­nen. Wer sich dort auf­hält, gilt gene­rell als ver­däch­tig, erst recht PoC. Der Wirk­me­cha­nis­mus ver­stärkt sich dann wie eine selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung: Weil PoC über­durch­schnitt­lich oft kon­trol­liert wer­den, wird bei ihnen auch über­durch­schnitt­lich oft etwas Kri­mi­na­li­sier­ba­res fest­ge­stellt, was Poli­zi­sten dann als »Bestä­ti­gung« ihrer Grund­an­nah­men deu­ten kön­nen. Zitat eines befrag­ten Poli­zi­sten: In ein Gebiet mit höhe­rer Kri­mi­na­li­tät »gehe ich als Poli­zist nicht völ­lig neu­tral rein …, und dann hau ich wahr­schein­lich … schnel­ler zu, als wenn ich nach XY gehe«.

Zudem gibt es ein ekla­tan­tes Defi­zit an inner­be­hörd­li­cher Feh­ler­kul­tur. Das fängt damit an, dass als ras­si­stisch meist nur gilt, was auch ras­si­stisch inten­diert ist, womit Dis­kri­mi­nie­rungs­prak­ti­ken auf­grund unter­schwel­li­ger, womög­lich gar nicht bewuss­ter Ste­reo­ty­pe aus­ge­blen­det wer­den. Ras­sis­mus-Vor­wür­fe wer­den dem­entspre­chend von Poli­zi­sten oft als »Miss­ver­ständ­nis« abge­tan oder als Aggres­si­on emp­fun­den, sind sogar häu­fig Aus­lö­ser poli­zei­li­cher Gewalt­an­wen­dung. Dane­ben gibt es auch ganz bewusst ras­si­sti­sche Ein­stel­lun­gen, die zum Teil offen im Kol­le­gen­kreis oder gegen­über Betrof­fe­nen geäu­ßert werden.

Auch die gesell­schaft­li­chen Fol­gen einer ras­si­sti­schen Poli­zei­pra­xis wer­den in der Stu­die ange­spro­chen: Zum einen wird der »wei­ßen« Mehr­heits­be­völ­ke­rung durch die über­durch­schnitt­li­che Kon­trol­le von PoC ver­mit­telt, sie sei­en in höhe­rem Maße delin­quent, zum ande­ren wird bei den Betrof­fe­nen eine Distanz gegen­über der Poli­zei geschaf­fen, die auch in ein umfas­sen­des Ver­mei­dungs­ver­hal­ten füh­ren kann: Bloß nicht auf­fal­len, bestimm­te öffent­li­che Orte mei­den, soweit wie mög­lich unsicht­bar für die Poli­zei blei­ben. Die Pra­xis führt damit zu einer ver­tief­ten Aus­gren­zung von PoC.

Der Zwi­schen­be­richt macht deut­lich, wie drin­gend not­wen­dig eine umfas­sen­de Stu­die zu Ras­sis­mus in der Poli­zei wäre. Was Bun­des­in­nen­mi­ni­ster Horst See­ho­fer dage­gen in Auf­trag geben will, ist ledig­lich eine Stu­die zum Poli­zei­all­tag, die ras­si­sti­sches Fehl­ver­hal­ten nur am Ran­de und nur als Fol­ge von Arbeits­stress und All­tags­er­fah­run­gen the­ma­ti­sie­ren soll – struk­tu­rell beding­te Fak­to­ren und Sozia­li­sa­ti­ons­pro­zes­se blei­ben damit außen vor. Das ist im Übri­gen auch das Defi­zit bis­he­ri­ger »Sensibilisierungs«-Trainings bei der Poli­zei: Sie errei­chen (weni­ge) ein­zel­ne Beam­te, ohne wirk­lich in den Dienst­stel­len den All­tag zu ver­än­dern, und sie haben nicht den nöti­gen Raum, gesamt­ge­sell­schaft­li­che Struk­tu­ren in den Blick zu nehmen.