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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Déjà-vu

Sie hal­te es nicht mehr aus, rief mein Weib und begann, kal­te Kar­tof­feln zu schnei­den, sie müs­se mal raus. Das ver­ste­he ich, ant­wor­te­te ich sanft, aber die Kanz­le­rin habe gesagt …

Wann habe mich jemals inter­es­siert, was unse­re Nach­ba­rin sagt, womit mein Weib die Mie­te­rin mein­te vom Kup­fer­gra­ben 6, was bei uns um die Ecke liegt. Mit­un­ter begeg­ne­ten wir uns im Wahl­lo­kal, sonst nur im Fernsehen.

Wir müs­sen raus, for­der­te mein Weib apodiktisch.

Gut, wir fuh­ren bis zur Aus­gangs­sper­re gele­gent­lich an Wochen­en­den ins Grü­ne, auch wenn’s grau war, oder an die Ost­see, quar­tier­ten uns irgend­wo ein oder spei­sten in einem Restau­rant. Das wur­de in den letz­ten Jah­ren immer schwie­ri­ger – die mei­sten Gast­stät­ten jen­seits der grö­ße­ren Städ­te stell­ten nach und nach den Betrieb ein. Erst gin­gen die guten Köche, dann blie­ben die Gäste aus. Schließ­lich kapi­tu­lier­ten die Betrei­ber. Aber eini­ge Gau­men­tem­pel, die sich die­sen Namen über Jah­re hart erar­bei­tet hat­ten, über­dau­er­ten in der sich aus­brei­ten­den kuli­na­ri­schen Step­pe. Sie wur­den zu auch von uns gern ange­steu­er­ten Adressen.

Jetzt aber blie­ben auch sie aus den bekann­ten Grün­den geschlos­sen, und bis zur See drang man nicht durch: Die Poli­zei sor­tier­te bereits auf der Auto­bahn alle Fahr­zeu­ge aus, die nicht in Meck­len­burg-Vor­pom­mern zuge­las­sen wor­den waren.

Lass uns nach Osten fah­ren, sag­te mein Weib dop­pel­deu­tig. In Deutsch­land sei seit jeher der Drang gen Osten statt­haft, noch nie habe sich ein Dorf­po­li­zist in den Weg gestellt, wenn die Räder gen Osten roll­ten. Lass uns an die Oder rei­sen und nach den Ado­nis­rös­chen schau­en, die müss­ten jetzt blühen.

Und wo wol­len wir ein­keh­ren, warf ich ein. Alles ist dicht.

Sind wir zu DDR-Zei­ten nicht auch unter­wegs gewe­sen und nicht ver­hun­gert, obgleich wir kaum Restau­rants fan­den, in denen wir plat­ziert wur­den, weil es näm­lich sel­ten wel­che gab? Wir haben damals unse­ren Pick­nick­korb gefüllt und sind ins Blaue gestar­tet. War­um nicht heu­te wieder?

So fuh­ren wir denn an die Oder. Wir stell­ten unse­re Stühl­chen an den Ufer­saum und hör­ten die Stil­le, die nur gele­gent­lich vom Flü­gel­schlag der Schwä­ne oder dem Qua­ken der Frö­sche in den Neben­ge­wäs­sern gestört wur­de. Oder wenn der Wind sanft durch das trocke­ne Rohr strich, dass es raschel­te, und eine fet­te Hum­mel vor­bei­brumm­te. Hin und wie­der flo­gen Feld­ler­chen über unse­ren Häup­tern und san­gen, was ihre Keh­len her­ga­ben. Über allem spann­te sich tief­blau­er Him­mel, gänz­lich frei von Kon­dens­strei­fen, und die Son­ne stand hoch. Auf dem gegen­über­lie­gen­den Ufer, auf des­sen Deich weiß­ro­te Grenz­pfo­sten sich reck­ten, radel­ten pol­ni­sche Rad­fah­rer rasch, wäh­rend wir ent­schleu­nig­ten. Ruhig ström­te die Oder dahin und über­trug sich auf unse­ren Pulsschlag.

Nach einer Wei­le hol­te mein Weib die Schüs­sel mit Kar­tof­fel­sa­lat und Bulet­ten her­vor, anschlie­ßend tran­ken wir Kaf­fee aus der Ther­mos­kan­ne … Es war alles wie frü­her. Nein, nicht ganz, damals hat­te ich nicht den Spie­gel dabei. Doch als ich die 130 Sei­ten durch­ge­blät­tert hat­te, dach­te ich, auch dar­auf hät­te ich ver­zich­ten und die 5,30 € bes­ser anle­gen kön­nen. Gefehlt hät­te mir nichts.

Dann mach­ten wir uns auf zu den Hän­gen bei Lebus, um die Ado­nis­rös­chen zu besich­tig­ten wie in jedem April. Sie blüh­ten heu­er beson­ders üppig, wie mir schien, grö­ßer die Blü­ten als sonst und dich­ter der gel­be Tep­pich. Und zwi­schen­drin, auf Decken, Cam­ping­stüh­len und Holz­bän­ken die Luft­schnap­per aus MOL und FF, auch ein­zel­ne Ber­li­ner waren dar­un­ter. Sie saßen plau­dernd bei Nudel- und Kar­tof­fel­sa­lat, bei Kaf­fee und Kuchen wie einst in DDR-Tagen, als es kaum Aus­flug­lo­ka­le und Cafés hier drau­ßen gab.

Wir hat­ten es also noch nicht verlernt.