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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Virtuelle Museumstour: John Heartfield

Die Aus­gangs­be­schrän­kun­gen im Rah­men der Coro­na-Kri­se füh­ren dazu, dass vie­le Men­schen den gan­zen Tag zuhau­se sit­zen. Kul­tur­ein­rich­tun­gen und Biblio­the­ken sind geschlos­sen. Doch vom Sofa aus kann man jetzt per Inter­net eini­ge kul­tu­rel­le Ereig­nis­se wahr­neh­men, zum Bei­spiel per Video-Stream an Kon­zer­ten und Lesun­gen teil­neh­men oder sich auf eine vir­tu­el­le Muse­ums­tour begeben.

Betrof­fen von den Maß­nah­men zur Ein­däm­mung der Aus­brei­tung des Coro­na­vi­rus ist auch die Aus­stel­lung »John Heart­field – Foto­gra­fie plus Dyna­mit«, die eigent­lich am 21. März in der Aka­de­mie der Kün­ste (Pari­ser Platz, Ber­lin, bis 21. Juni) ihre Pfor­ten öff­nen soll­te. Nach Mög­lich­keit soll sie ver­län­gert wer­den. Da der Vor­hang aber vor­erst unten bleibt, wird auf der Web­site www.johnheartfield.de unter dem Titel »Kos­mos Heart­field« eine umfang­rei­che mul­ti­me­dia­le Aus­stel­lung prä­sen­tiert, die Fotos, Doku­men­te und audio-visu­el­le Zeug­nis­se aus dem Leben und Wir­ken des revo­lu­tio­nä­ren Künst­lers beinhal­tet. Sie zeigt John Heart­field (eigent­lich Hel­mut Herz­feld, 1891 – 1968) als Begrün­der der poli­ti­schen Foto­mon­ta­ge, der einer der bedeu­tend­sten poli­tisch-sati­ri­schen Künst­ler im Kampf gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus war.

»Kos­mos Heart­field« unter­teilt die Bio­gra­fie in drei Lebens­ab­schnit­te (»Der Weg zur Foto­mon­ta­ge«, »Flucht und Exil« und »Rück­kehr aus dem Exil«). Unter die­sen Rubri­ken fin­det man zahl­rei­che Abbil­dun­gen (Doku­men­te, Foto­mon­ta­gen und Pla­ka­te) sowie Audio­bei­spie­le (unter ande­rem »Song of the Refu­gees« mit dem Text von Heart­field). Ergänzt wer­den die­se Zeug­nis­se durch Infor­ma­ti­ons­tex­te, die Heart­fields künst­le­ri­sches Netz­werk beleuch­ten. So hat­te er engen Kon­takt zu bedeu­ten­den Zeit­ge­nos­sen wie Ber­tolt Brecht, Geor­ge Grosz, Erwin Pis­ca­tor und natür­lich sei­nem älte­ren Bru­der Wie­land Herzfelde.

Heart­fields umfang­rei­cher Aus­stel­lungs­tä­tig­keit ist eine eige­ne Rubrik gewid­met. Bereits 1920 trat er als einer der Haupt­ak­teu­re auf der ersten Dada-Mes­se in Ber­lin auf. Ins­ge­samt an drei­ßig inter­na­tio­na­len Aus­stel­lun­gen betei­lig­te sich Heart­field zu Leb­zei­ten. Der Groß­teil fiel dabei in die Zeit nach sei­ner Rück­kehr aus dem Exil. Film­ma­te­ri­al und zahl­rei­che Doku­men­ta­ti­ons­fo­tos ver­mit­teln einen Ein­druck von sie­ben Aus­stel­lungs­pro­jek­ten – von Stutt­gart 1929 bis Peking 1958. Der vir­tu­el­le Rund­gang erlaubt außer­dem einen Blick in den künst­le­ri­schen Nach­lass, den Heart­field als testa­men­ta­ri­sche Schen­kung der Aka­de­mie der Kün­ste ver­mach­te. Zwi­schen 2017 und 2019 wur­den sei­ne sämt­li­chen Wer­ke digi­ta­li­siert; der Online-Kata­log mit rund 6200 Objek­ten bie­tet nun einen umfas­sen­den (und unent­gelt­li­chen) Ein­blick in die Werk­statt des Künst­lers. Mit einer Such­funk­ti­on kann dabei gezielt nach Objek­ten und Werk­grup­pen gesucht wer­den. Übri­gens sind Web­site und Online-Kata­log über­sicht­lich und doch mit einem moder­nen Design auf­ge­baut. Neben dem bild­künst­le­ri­schen Werk gehört aber auch die schrift­li­che Hin­ter­las­sen­schaft zum John-Heart­field-Archiv in der Aka­de­mie der Künste.

Zur Aus­stel­lung, die 2021/​22 in das Muse­um de Fun­da­tie in Zwol­le (NL) und an die Roy­al Aca­de­my in Lon­don rei­sen soll, ist außer­dem ein umfang­rei­cher Kata­log erschie­nen (Hirm­er Ver­lag, 312 Sei­ten, 39,90 €). Neben Betrach­tun­gen über die Arbeits­wei­se, das Mon­ta­ge­prin­zip oder den Her­stel­lungs­pro­zess stel­len die mei­sten Essays Heart­fields Arbei­ten auch in einen aktu­el­len Kon­text. Dabei gehen die Autoren ver­schie­de­nen Fra­gen nach: Hat sich Heart­fields Kunst der poli­ti­schen Foto­mon­ta­ge über­lebt? Oder sind ande­re visu­el­le Aus­drucks­for­men ent­stan­den, die sein Prin­zip der (De-)Konstruktion von Bil­dern künst­le­risch wei­ter­ent­wickeln? Ist der Dia­log über Fak­ten nicht viel­fach dem Dia­log über Mei­nun­gen gewi­chen? In ein­zel­nen Bei­trä­gen wird auch aus­führ­lich auf Heart­fields inter­na­tio­na­les Bezugs­feld und die pro­duk­ti­ve Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Künst­lern bei Büh­nen­aus­stat­tun­gen, Buch­ge­stal­tun­gen oder Trick­fil­men ein­ge­gan­gen. Der reich illu­strier­te Begleit­ka­ta­log lie­fert neben der (hof­fent­lich bald zugäng­li­chen) Aus­stel­lung und der vir­tu­el­len Muse­ums­tour vie­le neue Fun­de und Erkennt­nis­se zu Heart­fields künst­le­ri­scher Strahl­kraft, die bis ins 21. Jahr­hun­dert reicht.