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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Homeoffice-Tagebuch (II)

26.3.: Im Krieg mit Macron

Der Kampf gegen Coro­na wird zuse­hends mili­ta­ri­siert. Der bei sei­nem Wahl­sieg 2017 in den Main­stream­m­e­di­en als »gro­ßer Euro­pä­er« gefei­er­te fran­zö­si­sche Prä­si­dent Emma­nu­el Macron skiz­ziert bei eisi­ger Käl­te im elsäs­si­schen Mul­hou­se im Feld­la­za­rett den »Krieg« gegen Covid-19 als gro­ßes Schlacht­feld. Kran­ken­haus­be­schäf­tig­te ste­hen in der »ersten Linie« und kön­nen wie Sol­da­ten an der Front »im Ein­satz fal­len«. Was der Kriegs­herr des Ély­sée ver­schweigt: Es ist die neo­li­be­ra­le Spar­po­li­tik im Gesund­heits­be­reich, die der­lei »Kol­la­te­ral­schä­den« pro­gram­miert. Die zusam­men­ge­spar­ten Kran­ken­haus­bet­ten haben mitt­ler­wei­le töd­li­che Kon­se­quen­zen: Erkrank­te über 75 wer­den in Mul­hou­se nicht mehr behan­delt. In Macrons »zwei­ter Linie kämp­fen Bau­ern, Händ­ler und Kas­sie­re­rin­nen, die­ses Arbeits­volk, das es dem Land erlaubt zu leben«, zitiert Hans­ge­org Her­mann in der jun­gen Welt den smar­ten Füh­rer aus Frank­reich. In der »drit­ten Linie« ste­hen schließ­lich alle, »die zu Hau­se Wider­stand lei­sten – jeder hat sei­ne Rol­le zu spie­len in die­sem Krieg«, dekre­tiert Macron. Immer­hin: Beschäf­tig­te der Super­markt­ket­te Auchan erhal­ten 1000 Euro Coro­na-Zuschlag, der Staat ver­zich­tet in dem Fall auf die Steu­er. In Deutsch­land gibt es für die system­re­le­van­ten Beru­fe erst ein­mal nur all­abend­li­chen Applaus, ein Antrag der Frak­ti­on Die Lin­ke auf 500 Euro Auf­schlag pro Monat ist im Bun­des­tag durch­ge­fal­len. Links wie rechts des Rheins fal­len die Aller­ärm­sten, die Obdach­lo­sen, durchs Raster. Die Not­un­ter­künf­te sind in der Regel dicht, zum Bet­teln in der Bahn und auf den Plät­zen feh­len die Passanten.

 

27.3.: Coro­na im glo­ba­len Süden

Ein Freund hat mich auf das Ange­bot der Tele­kom ver­wie­sen, den neu­en Fern­seh­ka­nal Dis­ney+ sechs Mona­te bei­trags­frei zu bezie­hen. Dort soll es alles aus den Pro­duk­ti­ons­hal­len des US-Film­rie­sen geben. Ein Bäl­le­bad in Bil­dern für die Kin­der also. Was macht man nicht alles, um sich Atem­pau­sen zu ver­schaf­fen und Fami­li­en­frie­den zu erkau­fen. Nach­dem der Frei­schalt­code gekom­men ist, mache ich mich an den Down­load. Ein rascher Blick über die »Top­emp­feh­lun­gen« offen­bart, wie­viel cinea­sti­schen Schrott Dis­ney über die Jah­re und Jahr­zehn­te der Welt beschert hat. Wie Pla­stik­fla­schen die Mee­re ver­seu­chen, ver­müllt die US-Traum­fa­brik die Köp­fe. Umsonst ist nichts zu haben.

Ste­fan Peters warnt im IPG-Jour­nal, das mir die Fried­rich-Ebert-Stif­tung in die Mail­box steckt: »Coro­na wird den Glo­ba­len Süden weit­aus här­ter tref­fen als die Indu­strie­staa­ten. Es dro­hen mas­si­ve poli­ti­sche Unru­hen und Insta­bi­li­tät.« Der Pro­fes­sor für Frie­dens­for­schung an der Uni­ver­si­tät Gie­ßen schreibt, dass vie­le der Maß­nah­men zur Ein­däm­mung der Epi­de­mie »eine zen­tra­le Leer­stel­le« haben: »Sie abstra­hie­ren von den Lebens­be­din­gun­gen des Groß­teils der Welt­be­völ­ke­rung.« Peters erin­nert: In Latein­ame­ri­ka etwa sind knapp 50 Pro­zent der Beschäf­tig­ten im infor­mel­len Sek­tor tätig und wei­te­re sind pre­kär beschäf­tigt. »Es han­delt sich um Men­schen, die weder nen­nens­wer­te Rück­la­gen noch eine sozia­le Absi­che­rung haben. Die­se Men­schen kön­nen sich einen Luxus wie den Ver­zicht auf den öffent­li­chen Nah­ver­kehr, die Umstel­lung auf Home Office oder eine Selbst­iso­lie­rung kaum lei­sten.« Der Pro­fes­sor weiß auch Abhil­fe: »Gel­der für Waf­fen­käu­fe müs­sen drin­gend ein­ge­fro­ren und für die Finan­zie­rung der Gesund­heits- und Sozi­al­sy­ste­me genutzt wer­den.« Und: »In der Coro­na-Kri­se müs­sen die latein­ame­ri­ka­ni­schen Eli­ten in die gesell­schaft­li­che Pflicht genom­men wer­den. […] Der Königs­weg liegt hier in der Ein­füh­rung einer effek­ti­ven Besteue­rung hoher Ein­kom­men. Dies muss kurz­fri­stig von einer ein­ma­li­gen Ver­mö­gens­ab­ga­be beglei­tet wer­den.« Pri­ma Vor­schlä­ge im SPD-Fan­zine. Aber war­um sol­len die eigent­lich nicht auch auf Deutsch­land über­tra­gen werden?

 

28.3.: Im Grü­nen und in olivgrün

Noch nie war Gar­ten­ar­beit so schön wie nach einer Woche Kon­takt­be­schrän­kun­gen und zwei Wochen Home­of­fice. Raus ins Freie und rein in die Beete.

Die Bun­des­wehr ver­legt mit ihren Mede­vac-Maschi­nen erst­mals inten­siv­be­hand­lungs­pflich­ti­ge Pati­en­ten aus dem Elsass und der Lom­bar­dei in deut­sche Kli­ni­ken. Den Pati­en­ten kann man gute Bes­se­rung wün­schen. Ein scha­ler Bei­geschmack bleibt. Wenn es vor­ran­gig um län­der­über­grei­fen­de Hil­fe gin­ge und nicht um poli­ti­sche PR, wür­den die Sol­da­ten ein­fach ihre Arbeit machen und nicht an jedem Flug­ha­fen Heer­scha­ren von Foto­gra­fen bereit­ste­hen, die sie in Sze­ne set­zen. Die ADAC-Ret­tungs­hub­schrau­ber, die eben­falls in die Pati­en­ten­ver­le­gung ein­ge­bun­den sind, jeden­falls kom­men in den Abend­nach­rich­ten nicht vor. Die Eva­ku­ie­rung im Tarn­fleck ist nicht zuletzt auch eine Ant­wort auf die prak­ti­sche Hil­fe aus Chi­na, Russ­land und Kuba der ver­gan­ge­nen Tage.

 

29.3.: 100.000 Tote – ein guter Job

New York ist der­zeit das Epi­zen­trum der Coro­na-Epi­de­mie in den USA. Noch vor weni­gen Tagen hat US-Prä­si­dent Donald Trump erklärt, es wäre doch schön, wenn zu Ostern die Kir­chen wie­der voll wären, und man müs­se drin­gend über eine Auf­he­bung der Beschrän­kun­gen nach­den­ken. Jetzt stellt er sich der Rea­li­tät und berei­tet die Ame­ri­ka­ner auf dra­ma­ti­sche Opfer­zah­len vor. Wenn es gelin­ge die Zahl der Toten auf 100.000 zu begren­zen, »dann haben wir alle einen guten Job gemacht«. Tat­säch­lich feh­len in New York zehn­tau­sen­de Kran­ken­bet­ten. Das Laza­rett im Cen­tral Park ist ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein. Die Toten wer­den in Kühl­la­stern zwi­schen­ge­la­gert, bis ein Platz im Kre­ma­to­ri­um frei ist. Um Beatmungs­ge­rä­te und Mund­schutz muss sich New York selbst küm­mern – bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len kann Trump hier ohne­hin nichts erwarten.

 

30.3.: Wirk­stoff aus Kuba

Der in Kuba ent­wickel­te anti­vi­ra­le Wirk­stoff Inter­fe­ron Alpha-2B könn­te bald auch in Deutsch­land zur Behand­lung von Covid-19-Pati­en­ten ein­ge­setzt wer­den. Das berich­tet das Online­por­tal amerika21.de unter Beru­fung auf eine Mel­dung der deut­schen Aus­lands­han­dels­kam­mer in Havan­na (AHK). Dem­nach lau­fen der­zeit Ver­hand­lun­gen zwi­schen der staat­li­chen Unter­neh­mens­grup­pe Bio­CubaFarma und dem säch­si­schen Unter­neh­men Pro­fü­med über die Ein­fuhr der ersten Char­gen. Amerika21: »Der kuba­ni­sche Wirk­stoff wur­de in den 1980er Jah­ren vom Zen­trum für Gene­tik und Bio­tech­no­lo­gie (CIGB) ent­wickelt und seit­her bei der Behand­lung […] von Kar­zi­no­men, Hepa­ti­tis B und C, HIV und Den­gue ver­wen­det. Wäh­rend der SARS-Epi­de­mie 2002 und der MERS-CoV-Epi­de­mie 2012 auf der ara­bi­schen Halb­in­sel bewähr­te sich das Medi­ka­ment auch auf ande­rem Gebiet.« In der von der phar­ma­zeu­ti­schen Ver­ei­ni­gung Chi­nas her­aus­ge­ge­be­nen »Leit­li­nie zum Umgang mit der Covid-19- Epi­de­mie« wird das in Kuba ent­wickel­te Medi­ka­ment als erster anti­vi­ra­ler Wirk­stoff bei der Behand­lung von Covid-19-Pati­en­ten emp­foh­len. Ins­ge­samt 45 Län­der wol­len es anschaf­fen, von deut­scher Sei­te fehlt noch die Zulas­sung sowie die not­wen­di­ge Ein­fuhr­ge­neh­mi­gung, heißt es in der AHK-Meldung.

31.3.: Hei­mi­sche Produktion

Woche zwei im Home­schoo­ling star­tet, Rou­ti­ne macht sich breit. Am Vor­mit­tag herrscht Büro­at­mo­sphä­re in der Woh­nung. Ich ver­fol­ge die Nach­rich­ten­la­ge, mei­ne Toch­ter macht im Chat Mathe, mein Sohn über Teams sei­ne Deutsch- und Geschichts­auf­ga­ben. Spä­ter führt der Che­mie­leh­rer in der Video­kon­fe­renz ein Expe­ri­ment vor. Beim Älte­sten weiß man ohne­hin nie, was er macht: lernt, zockt oder chillt. Der Blick auf Han­dy oder Lap­top ist eigent­lich immer gleich. Mei­ne Frau ist ab Mit­tag für drei Tage in der Fort­bil­dung im Medi­zin­be­reich – auch die läuft gezwun­ge­ner­ma­ßen vir­tu­ell über Zoom. Im Gegen­satz zu den Schü­lern haben die ärzt­li­chen Fern­kurs­no­vi­zen merk­lich Start­schwie­rig­kei­ten im Netz.

Die Lin­ke-Abge­ord­ne­te Sevim Dağ­de­len äußert sich im Online­por­tal The Euro­pean »zutiefst besorgt« über das spä­te und unent­schlos­se­ne Han­deln der Bun­des­re­gie­rung. »Dass Fir­men mit astro­no­misch ange­stie­ge­nen Prei­sen für medi­zi­ni­sche Schutz­aus­rü­stung jetzt auch noch die Not der Kli­ni­ken aus­nut­zen, macht fas­sungs­los. Die Pro­duk­ti­on der lebens­not­wen­di­gen Güter muss jetzt drin­gend staat­lich koor­di­niert und mit admi­ni­stra­ti­ven Wei­sun­gen durch­ge­setzt wer­den. Wenn in der Schweiz Schutz­mas­ken staat­lich pro­du­ziert wer­den und in den USA Gene­ral Motors staat­lich ver­pflich­tet wird, Beatmungs­ge­rä­te her­zu­stel­len, kann dies in Deutsch­land als Land der Inge­nieu­re und Maschi­nen­bau­er ohne Abhän­gig­kei­ten aus dem Aus­land umge­setzt werden.«

 

1.4.: Kei­ne April-Scherze

»Pro-Kreml-Medi­en« sind »sehr aktiv« bei Coro­na-Fake-News, weiß Juli­an Röp­ke in Bild zu berich­ten. Nein, das ist kein April-Scherz, der Repor­ter, der sich wegen sei­ner El-Kai­da-freund­li­chen Bericht­erstat­tung zum Syri­en-Kon­flikt den Kampf­na­men »Dschi­had-Juli­an« ver­dient hat, beruft sich auf die »Pro­pa­gan­da-Jäger der EU«. Die im Zen­trum Brüs­sels arbei­ten­de »East Strat­com Task Force« bil­de als Son­der­ein­heit des Euro­päi­schen Aus­wär­ti­gen Dien­stes »die vor­der­ste Front im Kampf der Euro­päi­schen Uni­on gegen rus­si­sche Des­in­for­ma­ti­on – schon vor und auch wäh­rend der Coro­na-Kri­se«. Na dann. Für die Kreml-Steue­rung fehlt im Bericht jeder Beleg – dafür muss die Illu­stra­ti­on rei­chen: Im Bild Wla­di­mir Putin (»lei­tet eine Video­kon­fe­renz mit rus­si­schen Regio­nal­be­am­ten«), auf dem Schreib­tisch ein gro­ßer Moni­tor, so als wür­de der rus­si­sche Prä­si­dent die Fake-News selbst tickern.

Bou­le­vard-Jour­na­list Franz Josef Wag­ner fei­ert der­weil die schwim­men­de Kriegs­ver­sehr­ten­sta­ti­on USNS Com­fort, die US-Prä­si­dent Donald Trump nach lan­gem Leug­nen und Klein­re­den der Coro­na-Pan­de­mie in den Hafen von New York beor­dert hat, als »Sym­bol der Hoff­nung«, als Arche Noah: »Die bibli­sche Geschich­te erzählt uns, wie wir Men­schen uns vor der Sint­flut ret­te­ten. Wir bau­ten ein Schiff. Eine Arche. So eine Arche ist das Laza­rett­schiff mit dem Namen Trost. Es hat 1000 Bet­ten, zwölf OPs, eine Radio­lo­gie, eine Inten­siv­sta­ti­on, Zahn­ärz­te. War­um haben wir Deut­sche nicht so ein Schiff? Eine Arche Noah.«

In der Fami­lie sind uns bei der Kon­kur­renz das erste Mal über­haupt kei­ne April-Scher­ze eingefallen.

Man kann fest davon aus­ge­hen, dass die New Yor­ker lie­ber als die­se Not-Arche neben Lady Liber­ty ein funk­tio­nie­ren­des Gesund­heits­sy­stem für alle und nicht nach Kas­sen­la­ge hät­ten, das der Bewäl­ti­gung einer Epi­de­mie gewach­sen und nicht neo­li­be­ral zugrun­de gerich­tet ist. Wenn die­se »Arche Noah« eines lehrt, dann, dass wir kei­ne gro­ßen Laza­rett­schif­fe für die Bun­des­wehr brau­chen, son­dern gut aus­ge­stat­te­te Kran­ken­häu­ser im gan­zen Bundesgebiet.

Bei allem Pathos bei der Anlan­dung der USNS Com­fort, Bür­ger­mei­ster Bill di Bla­sio muss ein­räu­men, dass es eigent­lich 40 Schif­fe die­ser Grö­ße bedarf, um dem in zwei bis vier Wochen erwar­te­ten Höhe­punkt der Coro­na-Kri­se in New York gewach­sen zu sein.

 

2.4.: Offen­si­ve Güterbeschaffung

Aldi-Süd holt Nudel­nach­schub per Bahn statt Last­wa­gen aus Ita­li­en. 200 Ton­nen Pasta in rund 300 Palet­ten – das sind mehr als 400.000 Pake­te Fus­il­li, Pen­ne und Co. Bild schwärmt von der »Spa­ghet­ti-Offen­si­ve«.

Die NATO zim­mert sich eine neue Daseins­be­rech­ti­gung. Der Mili­tär­pakt will bei der Bewäl­ti­gung der Coro­na-Kri­se eine grö­ße­re Rol­le spie­len. »Die NATO hat beson­de­re und gera­de jetzt in der Kri­se gefrag­te Fähig­kei­ten«, behaup­tet Bun­des­au­ßen­mi­ni­ster Hei­ko Maas, etwa bei der Beschaf­fung von Gütern. Dabei weiß der SPD-Poli­ti­ker es eigent­lich bes­ser. Es ist noch kei­ne zwei Wochen her, dass der Bun­des­wehr eine Bestel­lung mit rund sechs Mil­lio­nen Atem­schutz­mas­ken in Kenia »ver­lo­ren gegan­gen« ist.

 

3.4.: Sank­tio­nen sol­len bleiben

Die UN-Voll­ver­samm­lung hat eine Reso­lu­ti­on zur Bekämp­fung der Coro­na-Pan­de­mie ver­ab­schie­det. Aus­drück­lich wird dar­in »zu einer ver­stärk­ten inter­na­tio­na­len Zusam­men­ar­beit« auf­ge­ru­fen. Ein von Russ­land und ande­ren Staa­ten ein­ge­brach­ter Antrag, die völ­ker­rechts­wid­ri­gen ein­sei­ti­gen Wirt­schafts­sank­tio­nen gegen Län­der wie Syri­en, Iran, Vene­zue­la und Kuba auf­zu­he­ben, die die Fol­gen der Epi­de­mie ja zusätz­lich ver­schlim­mern, wird ver­hin­dert, kon­kret von den Staa­ten der EU, den USA, Groß­bri­tan­ni­en, Geor­gi­en und der Ukraine.

Das Han­dels­blatt in Deutsch­land wirbt der­weil für den Regime Chan­ge, kri­ti­siert die wach­sen­de Ungleich­heit zwi­schen Arm und Reich als »Krebs­ge­schwür moder­ner Gesell­schaf­ten«, fei­ert den Sozi­al­staat und for­dert eine gute natio­na­le Infra­struk­tur – zunächst mal nur mit Blick auf die USA. Doch war­um soll das nicht auch für Deutsch­land und Euro­pa gelten?!

 

4.4.: Schrecken des Krieges

Wie­der drau­ßen im Gar­ten drücke ich mich vor jed­we­der Arbeit. Ich set­ze mich in die Son­ne und wid­me mich der »Bal­la­de vom Abend­land«. Der fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Eric Vuil­lard beschreibt dar­in das Elend des Ersten Welt­krie­ges, die Ver­hee­run­gen in den Städ­ten, die Ent­beh­run­gen in den Schüt­zen­grä­ben, die Sinn­lo­sig­keit des Stel­lungs­kriegs und die Grau­sam­keit der Gift­gas­ein­sät­ze. »Es gab zwan­zig Mil­lio­nen Tote, zehn Mil­lio­nen Sol­da­ten. Zehn Mil­lio­nen, das bedeu­tet gro­ße Gru­ben in der Erde. Das bedeu­tet Fried­hö­fe, so weit das Auge reicht, aus­ge­dehn­te wun­der­schö­ne Fried­hö­fe, auf denen alle Grä­ber gleich sind. Viel­leicht braucht es zehn Mil­lio­nen Tote, damit sich alle Grä­ber glei­chen. 47.183 deut­sche Bei­ne waren ver­lo­ren, 21.149 Arme. Man­che Män­ner waren so ent­stellt, dass man Pfle­ge­hei­me bau­te, weit­ab der Städ­te, da, wo nie­mand vor­bei­kommt, da wo nie­mand hin will, so ent­setz­lich waren sie anzu­schau­en.« Eric Vuil­lards ein­gän­gi­ge Schil­de­run­gen erin­nern mich an »Krieg dem Krie­ge«, das meist­ver­brei­te­te anti­mi­li­ta­ri­sti­sche Buch der 1920er Jah­re, das von den Nazis ver­brannt und erst 1968 wie­der neu ent­deckt und auf­ge­legt wur­de. Das Buch von Ernst Fried­rich zeigt 200 der ent­setz­lich­sten und grau­sig­sten Bil­der von Kriegs­ver­letz­ten, ver­se­hen mit deut­schen, eng­li­schen, fran­zö­si­schen und hol­län­di­schen Tex­ten. Kurt Tuchol­sky schrieb unter sei­nem Pseud­onym Ignaz Wro­bel im Febru­ar 1926 in der Weltbühne: »Die Foto­gra­fien der Schlacht­fel­der, die­ser Abdecke­rei­en des Krie­ges, die Foto­gra­fien der Kriegs­ver­stüm­mel­ten gehö­ren zu den fürch­ter­lich­sten Doku­men­ten, die mir jemals unter die Augen gekom­men sind.« Wie kein ande­res Buch hat mich »Krieg dem Krie­ge«, das mir als Jugend­li­cher in die Hän­de kam, geprägt. Auch des­halb kann ich dem Gere­de vom »Krieg« gegen Coro­na nichts abge­win­nen, mit dem die Kriegs­füh­rer unse­rer Zeit ihre eige­nen Schrecken ver­harm­lo­sen. Fatal sind aber eben auch die Fake News der Coro­na-Klein­red­ner und Pandemie-Leugner.

 

5.4.: Gefan­gen in Belmarsh

Auf den Tag vor zehn Jah­ren hat Juli­an Assan­ge auf der Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks das Video »Col­la­te­ral Mur­der« ver­öf­fent­licht. Es doku­men­tiert den Ein­satz eines US-Kampf­hub­schrau­bers in Bag­dad und zeigt die Ermor­dung von zwölf unbe­waff­ne­ten Per­so­nen, dar­un­ter die bei­den Reu­ters-Jour­na­li­sten Sae­ed Chmagh und Namir Noor-Eldeen. Der unter https://collateralmurder.wikileaks.org/ abruf­ba­re Film hat welt­wei­tes Auf­se­hen erregt. Doch nicht einer der Täter und Ver­ant­wort­li­chen wur­de für den kalt­blü­ti­gen Mas­sen­mord belangt. Statt­des­sen sitzt der gesund­heit­lich schwer ange­schla­ge­ne Jour­na­list Juli­an Assan­ge im bri­ti­schen Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis Bel­marsh in Aus­lie­fe­rungs­haft. Im Fall sei­ner Über­stel­lung an die USA dro­hen ihm 175 Jah­re Gefäng­nis. Eine Frei­las­sung auf Kau­ti­on mit Blick auf eine dro­hen­de Covid-19-Ansteckung im Gefäng­nis hat ein bri­ti­sches Gericht gera­de abgelehnt.

 

6.4.: Ostern im Netz und Bür­ger­krieg im Vatikan

Die Bewäh­rungs­pro­be für die Fami­li­en kommt jetzt mit Beginn der Oster­fe­ri­en. Home­schoo­ling macht Pau­se, drau­ßen brennt die Son­ne – die Kin­der beru­fen sich, mit Recht, auf die Feri­en und wol­len von Schul­ar­bei­ten zuhau­se erst mal nichts mehr wis­sen. Die Kar­wo­che kann hei­ter wer­den im hei­mi­schen »Büro«.

Die Oster­mär­sche fin­den in die­sem Jahr ganz über­wie­gend vir­tu­ell statt, im Netz statt auf der Stra­ße. Eben­so die Oster­mes­sen der Kir­chen. Der Peters­platz in Rom bleibt gesperrt, Papst Fran­zis­kus steht allein beim »Urbi et orbi«. Iso­liert ist der Pon­ti­fex schon lan­ge, »umzin­gelt«, in einem »heim­li­chen Bür­ger­krieg«, wie der deutsch-ita­lie­ni­sche Vati­kan-Ken­ner und Best­sel­ler-Autor Mar­co Poli­ti in sei­nem neu­en Buch »Das Fran­zis­kus-Kom­plott. Der ein­sa­me Papst und sein Kampf um die Kir­che« schreibt. Eine pas­sen­de Lek­tü­re für die Feiertage.

Und wer hät­te das gedacht: Die Kin­der hof­fen, dass sie ab dem 20. April wie­der in die Schu­le gehen. Dür­fen, nicht müs­sen. Und auch sonst die Beschrän­kun­gen all­mäh­lich ihr Ende finden.