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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Teddybär von Tonga

Der König von Ton­ga leb­te herr­lich und in Freu­den auf sei­ner klei­nen Insel mit­ten in dem gro­ßen Süd­meer. Genau­er gesagt han­delt es sich um ein­hun­dert­neun­und­sech­zig Inseln und Atol­le, um einen soge­nann­ten Archi­pel. Es stimmt aber: Es war wohl sei­ne Insel, die Haupt­in­sel Ton­ga­ta­pu mit der Haupt­stadt Nuku’alofa, sie gehör­te ihm und eini­gen Ade­li­gen. Zwar gab es ein Par­la­ment und ab und zu auch eine Wahl, aber der König und sei­ne Leu­te stell­ten die mei­sten Kan­di­da­ten und gewan­nen jedes Mal. So hat­te alles sei­ne demo­kra­ti­sche Ord­nung, und die Insel war eine fried­li­che kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie. Die Men­schen leb­ten so dahin, die Kin­der spiel­ten drau­ßen und lach­ten den gan­zen Tag.

Der Frie­den hielt schon lan­ge an, denn die Insel hat­te außer Kokos­nüs­sen und Yams­wur­zeln nichts Beson­de­res zu bie­ten, sodass sich sel­ten ein Kriegs­schiff ande­rer Natio­nen hier­her ver­irr­te. Auch war sie nie von Euro­pä­ern kolo­ni­siert wor­den. Das will etwas heißen.

Doch kürz­lich hat­te der König von Ton­ga, der herr­lich und in Freu­den leb­te und daher sehr beleibt war, er wog über zwei­hun­dert­fünf­zig Pfund, eine Idee gehabt. Auf eini­gen klei­nen Fel­sen mit­ten im wei­ten Meer, den soge­nann­ten Miner­va-Rif­fen, ein erkleck­li­ches Stück ent­fernt von Ton­ga, hat­te er die ton­ga­le­si­sche Flag­ge his­sen las­sen. Jetzt gehör­ten nicht nur die unwirt­li­chen Fel­sen zum Ton­ga-Reich, son­dern man bean­spruch­te auch die umge­ben­den Fisch­fang­grün­de inner­halb der neu­en Hoheits­ge­wäs­ser, so wie es inter­na­tio­na­ler Brauch war. Doch jetzt kam der Frie­den in Gefahr, denn die Fidschi­in­su­la­ner hat­ten schärf­stens pro­te­stiert, auch den Neu­see­län­dern pass­te die Sache nicht in den Kram. Nie­mand woll­te die Ton­gain­seln, die auch Freund­schafts­in­seln hie­ßen, mehr Freund­schafts­in­seln nennen.

Aber den dicken König, der aus­sah wie ein Ted­dy­bär, focht das nicht an. »Das krie­gen wir schon hin«, sag­te er, »nur von Kokos­nüs­sen kann man nicht leben.«

Da hat­te er ver­dammt Recht. Sei­ne Unter­ta­nen hat­ten in letz­ter Zeit durch­aus mit­ge­kriegt, dass es außer Kokos­nüs­sen noch etwas ande­res auf der Welt gab. Vor allem, wenn der König und sei­ne Mini­ster mit ihren dicken Nobel­ka­ros­sen von Mer­ce­des aus dem fer­nen Deutsch­land über die zwei Kilo­me­ter Auto­bahn der Insel zum Flug­ha­fen brau­sten, obwohl sich die Ton­ga-Air­lines noch kei­nen eige­nen Jet lei­sten konnten.

Der beleib­te und belieb­te König Ted­dy­bär von Ton­ga war ein klu­ger Mann, auch wenn immer wie­der aus­län­di­sche Jour­na­li­sten so blöd waren, ihn für rück­stän­dig oder gar für dumm zu hal­ten. Bei­des war ein Irr­tum, denn er hat­te zu regie­ren gelernt in sei­nem Leben. Er hat­te Geschichts­bü­cher gele­sen und hielt sehr viel von einem deut­schen Poli­ti­ker namens Bis­marck. »Es wäre alles viel fried­li­cher ver­lau­fen, wenn man auf die­sen Mann gehört hät­te«, pfleg­te der Mon­arch gern zu sagen. »Die Deut­schen hät­ten dann viel mehr Freun­de gehabt!« Da hat­te er viel­leicht schon wie­der Recht. Auch Bis­marck-Herin­ge kann­te er. Aber er ließ sei­ne Leu­te lie­ber etwas Ver­nünf­ti­ges in den neu­er­dings erwei­ter­ten Hoheits­ge­wäs­sern fangen.

Was der gute König viel­leicht nicht so rich­tig beach­tet hat­te, war das Wirt­schafts­sy­stem der ehe­ma­li­gen Ent­decker, das er nach­zu­ah­men ver­such­te. Dadurch wur­de auch in Ton­ga das gute Leben immer teu­rer. Erstens muss­ten natür­lich ab und zu die neue­sten Model­le von Mer­ce­des bestellt wer­den, die auch teu­rer wur­den, angeb­lich wegen der zu hohen Lohn­ko­sten in Deutsch­land und weil die Deut­schen zu viel Urlaub mach­ten, eini­ge kamen sogar nach Ton­ga. Zwei­tens bestell­te man dann doch für die Ton­ga-Air­lines eine aus­ge­mu­ster­te Boing, die nie rich­tig flog, aber sehr viel Geld koste­te. Drit­tens lieb­te der König die ein­hei­mi­schen und beson­ders die weni­gen aus­län­di­schen Restau­rants in sei­nem Reich. Mit Vor­lie­be fre­quen­tier­te er ein Lokal mit einem deut­schen Koch. So gab der König Ted­dy­bär sehr viel Geld für fet­te Spei­sen aus, sei­ne Mini­ster und Hof­schran­zen mach­ten es ihm nach, und man sah es ihm und ihnen an. In jenen Brei­ten­gra­den galt Beleibt­heit seit jeher als gutes Zei­chen. Vier­tens wur­de das Volk manch­mal unru­hig und woll­te dann und wann am Wohl­be­leibt­sein teil­ha­ben. Um sei­ner Beleibt­heit und auch sei­ner Beliebt­heit nicht Abbruch zu tun, muss­te der König etwas in die beschei­de­ne Wirt­schaft sei­nes Archi­pels investieren.

Er hat­te wie­der eine Idee. Trotz sei­ner diver­sen Zent­ner Lei­bes­fül­le war er ein vita­ler Mann, der sogar manch­mal zum Volk in das Was­ser stieg und mit­schwamm. Er hat­te es natür­lich gut: Sein Kör­per schwamm wie von selbst. Auf sein Geheiß begann man in Neu­see­land Scha­fe und Schafs­wol­le auf­zu­kau­fen. Das hat­te den Vor­teil, dass die Neu­see­län­der wegen der Fische­rei­rech­te nicht mehr so viel mecker­ten (mit den Fidschis ver­han­del­te man noch). Aus der Schafs­wol­le wur­den war­me Win­ter­stie­fel und Ted­dy­bä­ren gefer­tigt. Bei­des wur­de aus­schließ­lich nach Deutsch­land gelie­fert, für die kal­ten Win­ter­ta­ge und die Kin­der. Kin­der waren die Zukunft der Welt, das wuss­te der König der Süd­see. Mit Deutsch­land ver­band das König­reich an der Datums­gren­ze eine lan­ge Freund­schaft, die schon so alt war, dass kei­ner mehr wuss­te, wie sie eigent­lich ent­stan­den war. Böse Zun­gen behaup­te­ten, die Deut­schen hät­ten zu der Zeit, als sie noch Kolo­nien besa­ßen, auf dem Mee­res­grund bei Ton­ga nach Man­gan­knol­len gesucht. Aber dar­aus wäre ja kei­ne Freund­schaft ent­stan­den, son­dern etwas ganz anderes.

Jeden­falls kam es nun so, dass der alte, klu­ge, dicke, fried­fer­ti­ge und unde­mo­kra­ti­sche König von Ton­ga, der aus­sah wie ein Ted­dy­bär, die Ted­dy­bä­ren aus dem son­ni­gen Ton­ga ins kal­te Deutsch­land schicken ließ, damit wenig­stens die Kin­der dort etwas zu lachen hat­ten. Und weil der König nicht abge­wählt wer­den konn­te, regier­te er sehr lan­ge – oder sein Sohn, und es dau­ert noch, bis aus dem König­reich viel­leicht eine rich­ti­ge Demo­kra­tie wer­den wird. Aber das ist bei uns ja auch so.

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Das König­reich Ton­ga (ton­ga­isch Pule’anga Faka­tu ’ı ’o Ton­ga, eng­lisch King­dom of Ton­ga) ist ein Insel­staat im Süd­pa­zi­fik, wel­cher zu Poly­ne­si­en gehört. Der Archi­pel umfasst die 169 frü­her auch Freund­schafts­in­seln (Fri­end­ly Islands) genann­ten Ton­gain­seln, von denen 36 bewohnt sind, sowie die bei­den Miner­va-Rif­fe. Ton­ga ist der ein­zi­ge Staat in Ozea­ni­en, der nie von Euro­pä­ern kolo­nia­li­siert wur­de. Die Ein­woh­ner Ton­gas wer­den Ton­gaer genannt. Ton­ga liegt öst­lich der Fidschi-Inseln, süd­lich von Samoa und nörd­lich von Neu­see­land. In einer Pro­kla­ma­ti­on am 24. August 1887 bestimm­te König Geor­ge Tupou I., dass Ton­ga zwi­schen dem 15° und 23,5° süd­li­cher Brei­te und 173° und 177° west­li­cher Län­ge (aber trotz­dem west­lich der Datums­gren­ze) liegt. Am 15. Juni 1972 leg­te König Taufa’ahau Tupou IV. fest, dass das Nörd­li­che und das Süd­li­che Miner­va-Riff (Tele­ki Tokel­au und Tele­ki Ton­ga) und alle Gebie­te in einem Umkreis von zwölf See­mei­len eben­falls zum Hoheits­ge­biet Ton­gas gehö­ren. Bei­de Rif­fe lie­gen süd­west­lich der im Süden Ton­gas lie­gen­den Insel ’Ata.

Eine Frist zur Regu­lie­rung des Tief­see­berg­baus ist im Juli 2023 ver­stri­chen – nun muss die Inter­na­tio­na­le Mee­res­bo­den­be­hör­de über Anträ­ge zum Tief­see­berg­bau ent­schei­den. Dar­un­ter könn­te auch der Man­gan­knol­len­ab­bau bei Ton­ga fal­len, auch ande­re klei­ne Inseln im Pazi­fik ver­spre­chen sich künf­tig Ein­nah­men aus dem Abbau der Wert­stof­fe vom Mee­res­grund. Der Mee­res­grund wür­de natür­lich dar­un­ter sehr lei­den. Wis­sen­schaft­ler wis­sen das noch nicht so genau. Doch Kup­fer, Nickel, Kobalt und sel­te­ne Erden sind, ins­be­son­de­re wegen der Umstel­lung auf Elek­tro­mo­to­ren und Bat­te­rien, sehr gefragt und nicht über­all vor­han­den. Der Mee­res­bo­den ist jedoch bis­her noch ziem­lich geschützt. Da wird sich der König von Ton­ga noch etwas ein­fal­len las­sen müssen …