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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Nie ein Wir

Dem Leip­zi­ger Lite­ra­tur­ver­lag gelin­gen Über­ra­schun­gen und Wie­der­be­geg­nun­gen – und Bes­se­res kann Lite­ra­tur­in­ter­es­sier­ten kaum gesche­hen. So jüngst mit Franz Hod­jak, gebo­ren 1944 im sie­ben­bür­gi­schen Her­mann­stadt (Sibiu), seit 1992 in Deutsch­land lebend. Wie­der­be­geg­nung des­halb, weil Tex­te von Franz Hod­jak zu den nie ver­ges­se­nen Ein­drücken von rumä­ni­en­deut­scher Lite­ra­tur gehör­ten, die ich in den sieb­zi­ger Jah­ren bei Rumä­ni­en­auf­ent­hal­ten gewann. Ver­öf­fent­licht wur­den sie in der Zeit­schrift Neue Lite­ra­tur, einem inter­es­san­ten wie selt­sa­men Blatt, das manch­mal Tex­te ent­hielt, die in der DDR gewiss nicht gedruckt wor­den wären, manch­mal aber auch beton­haf­te Ela­bo­ra­te, ganz der Sozia­li­sti­schen Repu­blik Rumä­ni­en gemäß.

Bei Franz Hod­jak hin­ge­gen fand man jene hin­ter­grün­di­ge Wider­bor­stig­keit, die man damals als herr­lich erleb­te: »das leben als akten­bün­del, das du nie /​ zu gesicht bekommst (aus dem Gedicht »mit­tags­pau­se«). Und man sah sei­ne Wort­be­ses­sen­heit, die den Dich­ter in eine Rei­he stell­te mit den beach­te­ten lyri­schen Stim­men jener Jahre.

Die Wort­be­ses­sen­heit ist bis heu­te geblie­ben, auch die Ver­wei­ge­rung einer Ein­ver­nah­me in Kol­lek­ti­ve und in Gemein­schaf­ten, Hod­jak woll­te und will kein Wir sein. Das ist und bleibt sym­pa­thisch. Wider­bor­stig­keit und Schär­fe sind heu­te indes einer gewis­sen Nach­gie­big­keit gewi­chen, auch aus den Ein­sich­ten des Älter­wer­dens gespeist. Das Gedicht »Haus­halts­auf­lö­sung« wird von die­ser Stim­mung durch­weht: »Ich muss mich nicht erin­nern. /​ Ich muss nichts erwar­ten. /​ Ich bin wie­der schwin­del­frei. /​/​ Ich habe das Glück ent­las­sen. /​ Ich habe die Schutz­en­gel ent­las­sen. /​ Ich habe die Trä­nen ent­las­sen. /​/​ Lang­sam berei­te ich mich vor, Mas­sen­ent­las­sun­gen /​ vor­zu­neh­men auch im Gebrauch der Sprache.«

Manch­mal, und das ist sehr erfri­schend für den Leser, flammt es dann doch trot­zig aus einem Gedicht, etwa aus dem »Sonett mit Trit­ten«. Es endet so: »Wir woll­ten zei­gen, wie Lie­be geht. /​ Wir haben bloß Trit­te in den Arsch kas­siert.« Was resi­gnie­rend klingt, es ist kein Fazit. Hod­jak weiß, wie es den Sprach­nar­ren ergeht. Ein Fazit ist eher der Titel sei­nes Buches »Gedenk­mi­nu­te für ver­schol­le­ne Spra­chen«. Spra­che und Wör­ter umkreist er, auf sie wird er immer wie­der zurück­ge­wor­fen, sie liebt er abgöt­tisch. Den Dich­ter auf sei­nen sprach­li­chen Lie­bes­gän­gen zu beglei­ten, das ist eine Freu­de. Zumal in die­sen unse­ren Zei­ten, da die Spra­che immer häu­fi­ger ver­bo­gen, zer­schrammt und zum Vehi­kel gro­ber oder alber­ner Wort­spie­le wird. Das tut es gut zu erle­ben, dass die Spra­che noch ihre Lieb­ha­ber und Behü­ter hat.

Ein wenig scha­de ist daher, dass in eini­gen Tex­ten, beson­ders im letz­ten Teil, auch mal eine Phra­se durch­rutscht »Rei­ten war nicht so mein Ding« (in »Som­mer­rock«), ein leicht didak­ti­scher Ton sich bemerk­bar macht oder manch­mal, um des Rei­mes oder der Wir­kung wil­len, gereimt wird, etwa: »Nur Tina Tur­ner mit ihrem lau­ten Rocken /​ könn­te Gott noch in die Kir­che locken.« Doch selbst hier ent­ste­hen lyri­sche Haken, die so schnell nicht los­las­sen und nach einem Wei­ter­rei­men ver­lan­gen, ähn­lich einem ohr­wurm­haf­ten Schla­ger. Denn auch das will erst ein­mal mit Wor­ten geschafft und bewirkt wer­den. Für das Mei­ster­werk des Ban­des hal­te ich »Eng­füh­rung 1«. Da mag Nost­al­gie im Spiel sein, weil die­ser Text sehr an den Franz Hod­jak erin­nert, den man aus der Zeit der Neu­en Lite­ra­tur kann­te und kennt.

Aber es ist mit der Lyrik wohl so wie mit unse­ren ande­ren Lie­ben und Vor­lie­ben: Sie blei­ben immer jung. »Es war eine Zeit«, hebt das Gedicht an – da man nicht Schat­ten sagen durf­te, wenn man das Licht erwähn­te. Es fuhr die Hoff­nung im Lift öfter nach unten als nach oben. Der durch die Zim­mer­rit­zen pfei­fen­de Wind hör­te sich im Früh­jahr an wie Musik von Roy Orbi­son und win­ters wie Stie­fel­trit­te gegen die Tür. »… und jedes Jahr fiel einem /​ ein neu­er Stein aufs Herz.«

Es gehört zur gro­ßen und bewun­derns­wer­ten Sprach­kunst Franz Hod­jaks, dass nicht ein­mal sol­che Remi­nis­zen­zen und Befun­de Schwer­mut ver­brei­ten, son­dern auf­rich­tend wir­ken, weil begreif­bar wird, was, auch dank der Lite­ra­tur, anders wer­den kann. Für das Anders­wer­den ist Hod­jak ein fei­ner Seis­mo­graf. Viel­leicht rührt von dort die Anmu­tung des Pro­phe­ti­schen in sei­ner Bilderwelt.

Im Gedicht »Fluss­ge­schich­te« taucht die titel­ge­ben­de »Gedenk­mi­nu­te für ver­schol­le­ne Spra­chen« auf. Ja, Hod­jak zu lesen, bedeu­tet zu begrei­fen, dass die Spra­che einer Ver­nich­tung unter­wor­fen ist, etwa durch das Beam­ten­deutsch. Er selbst frei­lich ist das beste Bei­spiel dafür, dass Ver­hee­rung, wie ein Wald­brand, neu­es Leben gebiert. Denn sei­ne Gedich­te sind von ent­schie­de­ner Vita­li­tät: scharf, prä­zi­se, ver­wun­dend und heil­sam zugleich. Vir­tu­os hand­habt Hod­jak ter­zi­nen­ar­ti­ge Stro­phen, von so ver­fass­ten Gedich­ten geht beson­ders star­ke Wir­kung aus, die Ver­se wer­den zu Beglei­tern. Mir ging es so mit »Efeu«, auch wenn dort ein Feh­ler (»Kirch­blü­ten«?) ein wenig Ver­wir­rung stif­tet. »Ein Schiff, das nicht die Schleu­se /​ passt, muss umkeh­ren.« Selt­sam: Die Vers­schif­fe Hod­jaks pas­sen durch kei­ne Schleu­se und fah­ren doch ele­gant auf den Flüs­sen der Lite­ra­tur. Er muss nicht umkehren.

Franz Hod­jak, Gedenk­mi­nu­te für ver­schol­le­ne Spra­chen. Gedich­te, Leip­zi­ger Lite­ra­tur­ver­lag 2022, 126 S., 19,95 €.