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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die angeschlagenen Bourbonen

Gemäß der spa­ni­schen Ver­fas­sung gilt der König als »unan­tast­bar«. Gegen ihn dür­fen weder staat­li­che Instan­zen noch Ein­zel­per­so­nen gericht­lich vor­ge­hen. Für die spa­ni­sche Pres­se galt dar­über hin­aus bis vor kur­zem als unge­schrie­be­nes Gesetz, dass über die Mit­glie­der der Königs­fa­mi­lie nur im Stil der Hof­be­richt­erstat­tung geschrie­ben oder gespro­chen wer­den durf­te. »Aus freu­di­gem Anlass« ja, »inve­sti­ga­tiv-kri­tisch« auf kei­nen Fall. Doch mit die­ser bedin­gungs­lo­sen Gefolg­schaft ist jetzt Schluss.

Am 2. Mai mel­de­ten Zei­tun­gen wie El Pais und die kata­la­ni­sche El Punt Avui, dass der vor­ma­li­ge König Juan Car­los I. im April 2010 höchst­selbst und mit 1,7 Mil­lio­nen Euro im Kof­fer zur Mira­baud-Bank nach Genf gereist sei und das Bar­geld auf das Giro­kon­to einer Stif­tung namens »Lucum« ein­ge­zahlt habe. Die Bank unter­hält neben ihrem Sitz in Genf auch Nie­der­las­sun­gen in Zürich, Basel, Paris, Lon­don, Luxem­burg, Dubai und Mai­land, aber auch in Madrid, Bar­ce­lo­na, Valen­cia und Sevilla.

Dass der spa­ni­sche König in Genf statt in Madrid ein­zahl­te, rief die Schwei­zer Staats­an­walt­schaft auf den Plan. Sie erfuhr, bei dem vom König ein­ge­zahl­ten Geld hand­le es sich angeb­lich um eine »Spen­de« des Sul­tans von Bah­rein. Die 1,7 Mil­lio­nen Euro neh­men sich aller­dings rela­tiv beschei­den aus, wenn man auf wei­te­re 100 Mil­lio­nen Euro des Mon­ar­chen schaut, deren Her­kunft die Schwei­zer Staats­an­wäl­te auf­grund eines bis dahin gehei­men Ersu­chens des spa­ni­schen Ober­sten Gerichts­hofs nach­ge­hen, und zwar im Zusam­men­hang mit Korruptionsverdacht.

Anfang März war infol­ge eines Berichts der Tri­bu­ne de Genè­ve bekannt gewor­den, dass der vor­ma­li­ge König von Sau­di-Ara­bi­en, Abdul­lah bin Abdulas­is, bereits im Jahr 2008 auf das »Lucum«-Konto 100 Mil­lio­nen Dol­lar ange­wie­sen hat­te. Mut­maß­lich han­del­te es sich um Schmier­geld für die Ver­ga­be eines mil­li­ar­den­schwe­ren Auf­trags zum Bau der Eisen­bahn-Hoch­ge­schwin­dig­keitstrasse von Mek­ka nach Medi­na an ein spa­ni­sches Kon­sor­ti­um. Doch damit immer noch nicht genug.

Ille­ga­le Kom­mis­sio­nen im Umfang von 50 Mil­lio­nen Dol­lar – für Ver­mitt­ler­dien­ste beim Ver­kauf der Ban­co Zara­go­za­no an die Finanz­hol­ding Bar­clays – sol­len der bri­ti­schen Zei­tung The Tele­graph zufol­ge auf das Kon­to einer zwei­ten Stif­tung geflos­sen sein. Als Begün­stig­ter wird Álva­ro de Orleans-Bor­bón genannt, ein fer­ner Cou­sin und enger Ver­trau­ter des mitt­ler­wei­le abge­dank­ten Mon­ar­chen. Orleans-Bor­bón hat bestrit­ten, ein Car­los-Stroh­mann zu sein, aller­dings ein­ge­räumt, dass er für zahl­rei­che Ver­gnü­gungs­rei­sen sei­nes Ver­wand­ten auf­ge­kom­men war.

Mit­te März 2020 ent­hüll­te The Tele­graph in einem wei­te­ren Arti­kel, dass Juan Car­los I. sei­nen Sohn Feli­pe VI. als zwei­ten Begün­stig­ten des »Lucum«-Stiftungsvermögens ein­ge­setzt hat­te. Bekannt wur­de das durch die aus Hes­sen stam­men­de Geschäfts­frau Corin­na Lar­sen, die es als Prin­zes­sin Corin­na zu Sayn-Witt­gen­stein (war eini­ge Jah­re mit Johann Casi­mir zu Sayn-Witt­gen­stein ver­hei­ra­tet) bis in die Klatsch­spal­ten der Yel­low-Press gebracht hatte.

In der schlimm­sten Kri­se Spa­ni­ens 2008 war Prin­zes­sin Corin­na mit dem dama­li­gen König Juan Car­los I. auf Kosten eines sau­di­schen Mäzens nach Bots­wa­na zur Ele­fan­ten­jagd gereist. Die Nach­richt von der könig­li­chen Safa­ri wäre dank der Ver­schwie­gen­heit der staats­tra­gen­den Par­tei­en und Medi­en Spa­ni­ens kaum an die Öffent­lich­keit gera­ten, hät­te sich der König nicht bei einem nächt­li­chen Sturz in der Lodge die Hüf­te gebro­chen. Er wur­de mit einem Pri­vat­jet und in Beglei­tung von Corin­na nach Madrid ins Spi­tal zu einer Not­ope­ra­ti­on geflo­gen. Abge­schirmt von Agen­ten des spa­ni­schen Geheim­dien­stes Cen­tro Nacio­nal de Inte­li­gen­cia muss­te die Prin­zes­sin spä­ter ihre Vil­la nahe der könig­li­chen Resi­denz räu­men, die ihr Juan Car­los I. auf Staats­ko­sten ein­ge­rich­tet hat­te. Der altern­de spa­ni­sche König gelob­te Bes­se­rung, Corin­na geriet aus dem Blickfeld.

Anfang 2006 kam der erste Ver­dacht der Kor­rup­ti­on gegen den Schwie­ger­sohn Iña­ki Urd­an­ga­rin, ver­hei­ra­tet mit der Toch­ter des Königs, der Infan­tin Cri­sti­na de Bor­bón, auf. Als Prä­si­dent der vor­geb­lich gemein­nüt­zi­gen Stif­tung Nóos unter­schlug er Steu­er­gel­der. Am 12. Juni 2018 bestä­tig­te das ober­ste spa­ni­sche Gericht das Urteil. Wegen Ver­un­treu­ung von sechs Mil­lio­nen Euro Steu­er­gel­dern, Betrug, Urkun­den­fäl­schung und Geld­wä­sche erhielt er eine Gefäng­nis­stra­fe von fünf Jah­ren und zehn Monaten.

Die Popu­la­ri­täts­wer­te der Bour­bo­nen-Dyna­stie hat­ten sich seit der Ele­fan­ten-Affä­re und der kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten des Schwie­ger­sohns so rasant ver­schlech­tert, dass Juan Car­los I. sich im Juni 2014 gezwun­gen sah, zugun­sten sei­nes Soh­nes abzu­dan­ken. Die Inthro­ni­sie­rung des farb­los wir­ken­den Königs­soh­nes Feli­pe VI. am 19. Juni 2014 spie­gel­te die Kri­se der Mon­ar­chie wider. Für einen stö­rungs­frei­en Ablauf der Zere­mo­nie bot Mini­ster­prä­si­dent Maria­no Rajoy von der Part­ido Popu­lar (PP) über 6000 Sicher­heits­be­am­te auf. Demon­stra­tio­nen im Zen­trum Madrids waren ver­bo­ten. Zur Fahrt ins Par­la­ment für sei­nen Eid auf die spa­ni­sche Ver­fas­sung benutz­te Feli­pe einen Rolls Roy­ce aus dem Wagen­park des Dik­ta­tors Fran­co. Fran­co hat­te in dem Wagen unter ande­rem 1954 die Para­de aus Anlass des Sie­ges über die Spa­ni­sche Repu­blik abgenommen.

Als erste Amts­hand­lung sprach Feli­pe VI. sei­nem Vater Juan Car­los I. eine jähr­li­che Apa­na­ge von 194.000 Euro zu. Auf­fäl­lig wur­de Feli­pe VI. seit­dem nur durch eine Rede an die Nati­on anläss­lich der Kata­lo­ni­en-Kri­se im Okto­ber 2017. Hier sprach er in einem schar­fen, unver­söhn­li­chen Ton. Sei­ne immer wie­der­keh­ren­den Neu­jahrs­an­spra­chen hielt er auf Kasti­lia­nisch, abge­se­hen davon gibt es im Land noch wei­te­re Spra­chen: Catá­lan (Kata­la­nisch), Vas­co (Bas­kisch) und Gal­leo (Gali­zisch).

Inmit­ten der Coro­na-Kri­se, am 19. März, sen­de­te das staat­li­che spa­ni­sche Fern­se­hen Radio y Tele­vi­si­on Espa­ño­la eine hoch­tra­ben­de Anspra­che von Feli­pe VI. an sei­ne Unter­ta­nen. Über einen denk­ba­ren Hilfs­fonds des Königs­hau­ses für die Opfer ver­lor er kein Wort. Dabei war gera­de erst dank eines höfi­schen Kom­mu­ni­qués bekannt gewor­den, dass er bereits im März 2019 durch eine bri­ti­sche Anwalts­kanz­lei vom Beschluss sei­nes Vaters erfah­ren hat­te, ihn zum Erben der »Lucum-Gel­der« ein­zu­set­zen. König Feli­pe VI. brauch­te län­ger als ein Jahr, ehe er sich zu der Erklä­rung durch­rang, dass er die Erb­schaft aus­schla­ge und sei­nem Vater Juan Car­los I. die Apa­na­ge entziehe.

Den Vor­satz, sich von den schmut­zi­gen Geschäf­ten sei­nes Vaters zu distan­zie­ren, wür­dig­ten die spa­ni­schen Zei­tun­gen trotz­dem. Ende März lehn­te das Par­la­ments­prä­si­di­um den Antrag von Uni­das Pode­mos und acht Par­tei­en zum fünf­ten Mal in Fol­ge ab, einen Unter­su­chungs­aus­schuss ein­zu­set­zen. Begrün­dung: Ex-König Car­los habe in den Jah­ren sei­ner mut­maß­li­chen Ver­feh­lun­gen Immu­ni­tät genos­sen. Den wah­ren Grund für den Beschluss nann­te Ex-Innen­mi­ni­ster Jor­ge Fernán­dez Diaz (PP): »Die Mon­ar­chie in Fra­ge zu stel­len ist für Spa­ni­en töd­li­cher als das Coro­na-Virus.« Uni­dos Pode­mos ver­sucht jetzt mit Bünd­nis­part­nern, dass »Juan Car­los I. und die 100 Mil­lio­nen US-$ der Sau­dis« Tages­ord­nungs­punkt im Par­la­ment wird.

Tat­säch­lich steht mit der Legi­ti­mi­täts­kri­se der spa­ni­schen Mon­ar­chie der Fort­be­stand des poli­ti­schen Systems auf dem Spiel, das sich im letz­ten Jahr­zehnt nur müh­sam gegen die Revol­te der Indi­gna­dos, den ver­meint­lich unauf­halt­sa­men Auf­stieg von Pode­mos und das Erstar­ken des kata­la­ni­schen Sezes­sio­nis­mus behaup­tet hat. Wird die kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie end­lich abge­schafft, ste­hen auch wei­te­re Tabus zur Debat­te: die Straf­lo­sig­keit für die Ver­bre­chen der Fran­co-Dik­ta­tur, das unde­mo­kra­ti­sche Mehr­heits­wahl­recht, die Pri­vi­le­gi­en der katho­li­schen Kir­che, die Betei­li­gung an den Kriegs­ein­sät­zen der NATO, die Ver­flech­tung von Poli­tik, Kon­zern­in­ter­es­sen und Justiz zu einem Netz aus Kor­rup­ti­on und Vet­tern­wirt­schaft und die Dok­trin von der unver­brüch­li­chen Ein­heit der spa­ni­schen Nation.

Vor dem Ende der spa­ni­schen Mon­ar­chie fürch­tet sich auch die Rech­te, die sich seit Jah­ren mit aggres­si­ven Kam­pa­gnen dage­gen wehrt. Die Inter­net­zei­tung Las Repú­b­li­cas berich­tet, dass die VOX-Par­tei seit dem 4. April eine Umfra­ge durch­füh­ren las­se, in der gefragt wird, ob der König nicht die Cor­tes auf­lö­sen soll, die Armee rufen und das Kom­man­do über­neh­men soll.

Die spa­ni­sche Ver­fas­sung von 1978, in der wei­ter die von Fran­co auf­ge­zwun­ge­ne Mon­ar­chie als Staats­form steht, wur­de mehr­fach gesi­chert. Um wie­der eine Repu­blik zu wer­den, ist nicht nur eine Zwei­drit­tel­mehr im Par­la­ment erfor­der­lich, son­dern auch die Auf­lö­sung und eine Neu­wahl des Par­la­ments. Auch das neue Par­la­ment muss für das Ende der Demo­kra­tie stim­men, erst dann kön­nen die Spa­ni­er in einer Abstim­mung über das Ende der Mon­ar­chie befin­den. Eher unwahr­schein­lich unter den aktu­el­len poli­ti­schen Verhältnissen.

Im Mai ver­öf­fent­lich­te die El Punt Avui eine Umfra­ge der Zei­tung Púb­li­co, die danach fragt, was bevor­zugt wer­de: Repu­blik oder Mon­ar­chie? Danach sind 51,6 Pro­zent der Bür­ger für eine Repu­blik, 58,2 Pro­zent der Befrag­ten for­dern ein Refe­ren­dum, um die Staats­form in Spa­ni­en zu bestimmen.