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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Frau mit dem Goldhelm

Die Gedan­ken sind frei, wer kann sie erra­ten? Ant­wort: Die Wahr­heits­droh­ne. Sie kann es, sie tut es zuver­läs­sig. Über­all und über allen krei­send sieht und hört sie alles, auch die Gedan­ken. Ihre Ent­wick­lung hat mich mein hal­bes Gehirn geko­stet, aber jetzt fliegt sie, ent­hüllt das Unheil »first hand« bei sei­nen klei­nen und gro­ßen Urhe­bern und teilt es der Welt mit.

Zum Auf­takt fliegt sie mit Nan­cy Faeser in die Tür­kei. Die Wahr­heits­droh­ne ist auf­ge­regt, ist die Tür­kei doch auf allen Kriegs­schau­plät­zen bekannt für ihre Droh­nen. Die sind aber gera­de aus­ge­flo­gen. Wäh­rend die deut­sche Mini­ste­rin in Anka­ra redet, beschie­ßen tür­ki­sche Bay­rakt­ar TB2 Zie­le in der nord­sy­ri­schen Auto­no­mie­zo­ne, dar­un­ter ein Covid-Kran­ken­haus und ein Inter­nie­rungs­la­ger für IS-Ter­ro­ri­sten. Kur­di­sche Men­schen ster­ben. Deutsch­land ste­he fest an der Sei­te der Tür­kei, sagt Faeser, spe­zi­ell im Kampf gegen Ter­ro­ri­sten und in der Migra­ti­ons­po­li­tik. Die Tür­kei sol­le bei ihrem völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriff »Ver­hält­nis­mä­ßig­keit« üben und das Völ­ker­recht ein­hal­ten. Wäh­rend sie spricht, denkt Faeser an die hes­si­sche Land­tags­wahl 2023, aus der sie als Mini­ster­prä­si­den­tin her­vor­ge­hen will. Ihr tür­ki­scher Amts­kol­le­ge Soy­lu denkt, wäh­rend er zuhört, an die Prä­si­dent­schafts­wahl 2023, die Erdo­gan gewin­nen soll, damit Soy­lu wei­ter Innen­mi­ni­ster bleibt.

Eini­ge Wochen spä­ter fliegt Nan­cy Faeser im Heli­ko­pter über das bren­nen­de Ber­lin-Kreuz­berg und sorgt sich um die Jugend. Die fei­ert Syl­ve­ster nach alt­deut­schem Brauch mit Pyro­tech­nik und ärgert sich über die Poli­zei, die das Brauch­tum mit Kampf­ein­sät­zen behin­dert. Ver­ste­hen die Jugend­li­chen noch die Bedeu­tung von Syl­ve­ster? fragt sich die Mini­ste­rin und wünscht sich eine Arma­da von Droh­nen, die aus der Luft den Ärger been­den. Sie zählt die schwarz­haa­ri­gen Aus­län­der unter den Jugend­li­chen in dem von Aus­län­dern bewohn­ten Stadt­teil und über­mit­telt die Zahl an die (noch) Regie­ren­de Bür­ger­mei­ste­rin. In den dar­auf­fol­gen­den Wochen krei­sen bei­de Poli­ti­ke­rin­nen mit Heli­ko­ptern über der miss­ra­ten­den Jugend und rufen sie zurück auf den rech­ten Weg. Frau Faeser denkt: Wenn Frau Lam­precht als Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin gehen muss, bin ich mit mei­nem fest gespray­ten Gold­helm die logi­sche Nach­fol­ge­rin. Ursu­la von der Ley­ens Haar­fe­sti­ger­helm ist der Maß­stab, und ich ent­spre­che ihm am genaue­sten. Tage spä­ter läuft ihr ein ande­rer den Rang ab. »Es herrscht Krieg in Euro­pa. Da hat der Kanz­ler den Helm auf« (Ingo Zam­pe­ro­ni, Tages­the­men vom 17. 1. 2023). Der ernennt einen ande­ren Innen­mi­ni­ster zum Kriegsminister.

Na gut, dann Hes­sen, denkt Faeser und träumt davon, ihre femi­ni­sti­sche Innen- und Justiz­po­li­tik im wald­reich­sten Bun­des­land zu ver­wirk­li­chen. Die­se Poli­tik geht so: Dass jedes Jahr fünf­zig­tau­send Men­schen, die Mehr­heit aller Gefan­ge­nen in Deutsch­land, nur des­halb im Gefäng­nis sit­zen, weil sie eine Geld­stra­fe nicht bezah­len konn­ten, ist in Ord­nung, weil unter die­sen Gefan­ge­nen Män­ner sind, die ihre Part­ne­rin geschla­gen oder eine Frau gestalkt haben. Dass neun­zig Pro­zent der eine Ersatz­frei­heits­stra­fe Absit­zen­den allein­ste­hend sind, dass eine Kör­per­ver­let­zung in weni­ger als acht Pro­zent der Fäl­le vor­liegt, dass Stal­king in der Fall­sta­ti­stik gar nicht auf­taucht, wäh­rend zwei Drit­tel auf klei­ne­re Dieb­stäh­le, Betrü­ge­rei­en oder Schwarz­fah­ren ent­fal­len, inter­es­siert Faeser nicht. Sie blockiert eine im Koali­ti­ons­ver­trag ver­spro­che­ne, vom FDP-geführ­ten Justiz­mi­ni­ste­ri­um mitt­ler­wei­le vor­ge­schla­ge­ne Reform, die Haft­zei­ten nicht län­ger gleich­setzt mit Geld­be­trä­gen, die in Gefäng­nis­sen wäh­rend die­ser Zei­ten erar­bei­tet wer­den. Zeit ist Geld, denkt Faeser, das lernt jedes Kind, das las­se ich mir von Sta­ti­sti­kern und FDP-Staats­se­kre­tä­ren nicht aus­re­den. Über­haupt Frei­heit – was soll das sein? Habe ich es schon erlebt? Wenn jedes Haar im frisch gespray­ten Helm sei­nen Platz gefun­den hat, wo ist da noch Frei­heit? Erho­be­nen Haup­tes gehe ich mei­nen Weg, von Wind­schat­ten zu Wind­schat­ten, durch ein Land oder, okay, dem­nächst Bun­des­land, in dem jeder mei­nen Namen kennt und sich gebil­det nen­nen darf, wenn er ihn rich­tig schrei­ben kann. Die Poli­zei hört auf mein Kom­man­do und zeigt der Jugend, was ein deut­sches Syl­ve­ster ist. Fest an der Sei­te der Tür­kei prak­ti­zie­re ich Ver­hält­nis­mä­ßig­keit bei der gewalt­sa­men Durch­set­zung von Auto­bahn­pro­jek­ten. Hes­sen wird nicht län­ger »wald­reich­stes Bun­des­land« geschimpft wer­den. Und mei­nen Rem­brandt fin­de ich auch noch, der mich und mei­nen Gold­helm unsterb­lich machen wird.