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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Medien machen Politik

Wir schrei­ben das Jahr 2019. Der weit­ge­hend staat­lich finan­zier­te US-ThinkTank Rand Cor­po­ra­ti­on für die Bera­tung des Mili­tärs (Schwer­punk­te laut Wiki­pe­dia: Stra­te­gien zur Desta­bi­li­sie­rung Russ­lands und Über­le­gun­gen zum Krieg mit Chi­na) ver­öf­fent­licht eine Stu­die: »Over­ex­ten­ding and Unba­lan­cing Rus­sia«. In zahl­rei­chen Tabel­len wer­den Hand­lungs­emp­feh­lun­gen an die Regie­rung danach bewer­tet, wie inten­siv sie zum Ruin Russ­lands bei­tra­gen kön­nen und mit wel­chen Kosten und Risi­ken sie für die USA ver­bun­den sind. Bei­spie­le: »Pro­vi­de lethal aid to Ukrai­ne«, »Increa­se sup­port to the Syri­an rebels« oder »Encou­ra­ge dome­stic pro­tests (in Rus­sia) and other non­vio­lent resi­stance«. Die USA füh­len sich offen­sicht­lich nicht nur berech­tigt, son­dern auch in der Lage, all dies durch­zu­füh­ren. In Deutsch­land lesen wir nur in alter­na­ti­ven Medi­en über die – inzwi­schen zu gro­ßen Tei­len umge­setz­ten – Plä­ne der west­li­chen Vor­macht, Russ­land zu destabilisieren.

Das Schwei­gen hat System. Die Leit­me­di­en ver­su­chen nicht, die kom­ple­xe gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Wirk­lich­keit dar­zu­stel­len, son­dern eine eige­ne Rea­li­tät zu kon­stru­ie­ren, regie­rungs- und par­tei­en­nah. Sie machen Poli­tik, mit allen Metho­den der »Stra­te­gi­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on«», sprich Pro­pa­gan­da. Natür­lich ist »Lügen­pres­se« ein rech­ter Kampf­be­griff, eine Viel­zahl kri­ti­scher Berich­te und Kom­men­ta­re von Jour­na­li­stIn­nen, die ihren Beruf ernst neh­men, bewei­sen es. Aber in zen­tra­len wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen The­men­be­rei­chen, wo es um west­li­che Inter­es­sen und Macht geht, stel­len wir eine syste­ma­ti­sche Ver­zer­rung fest.

Bei­spie­le stra­te­gi­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on fin­det man täg­lich. Zei­tun­gen brin­gen etwa eine Mel­dung von dpa: EU und Nato haben eine noch enge­re Koope­ra­ti­on ver­ein­bart. Denn die Lebens­grund­la­ge von Mil­lio­nen sei durch die Erd­er­wär­mung bedroht: »Noch mehr huma­ni­tä­re Kata­stro­phen, Flucht und Migra­ti­on sowie zuneh­men­de Kon­flik­te um Res­sour­cen wie Was­ser und Land könn­ten die Fol­ge sein.« Die­ser sicher­heits­po­li­ti­schen Bedro­hung müs­se man auf einer neu­en Stu­fe der Part­ner­schaft begeg­nen. Dass dies gemel­det wird, geht in Ord­nung – aber wo blei­ben die kri­ti­schen Rück­fra­gen: Wer ver­ur­sacht die Kata­stro­phen? Wie­so ist Abhil­fe Sache der Nato? Ist das Hil­fe oder Neokolonialismus?

Berich­tet wird auch über den geplan­ten Mili­tär­ein­satz, zur Ter­ror­be­kämp­fung, genannt »EU Part­ner­ship Mis­si­on Niger«. Ein ande­res Blatt kol­por­tiert dazu Gerüch­te über Fake News russ­land­freund­li­cher Trol­le: Frank­reich wol­le sich die Roh­stof­fe wie Uran sichern. Gerüch­te? Fake News? Rus­si­sche Trol­le? Eine Recher­che deckt auf, dass mit dem angeb­lich selbst­lo­sen Mili­tär­ein­satz auch die Migra­ti­on nach Euro­pa bekämpft und die Uran-Minen des fran­zö­si­schen Staats­kon­zerns abge­si­chert wer­den sol­len, die übri­gens die Ster­be­ra­te bei Arbei­tern und bei Bewoh­nern wesent­lich erhöhen.

Im Krieg herrscht Pro­pa­gan­da. Aber ist es hin­zu­neh­men, dass die mei­nungs­bil­den­den Qua­li­täts­me­di­en in Deutsch­land nach einer Stu­die der gewerk­schafts­na­hen Otto-Bren­ner-Stif­tung ten­den­zi­ös, ein­sei­tig und sehr ein­heit­lich berich­ten? Nur vier Pro­zent der Berich­te haben seit Kriegs­be­ginn den Westen als (mit)verantwortlich beschrie­ben, wäh­rend 93 Pro­zent die Schuld aus­schließ­lich Putin geben. Muss man das nicht als histo­ri­schen Fake bezeich­nen, ist das nicht Indok­tri­na­ti­on? In den Berich­ten wer­den Waf­fen­lie­fe­run­gen gegen­über Diplo­ma­tie ein­deu­tig bevor­zugt. Spie­geln die­se Berich­te die Stim­mung in der Bevöl­ke­rung oder suchen sie sie zu erzeu­gen? Immer­hin waren noch im letz­ten August 77 Pro­zent der Befrag­ten der Mei­nung, der Westen soll­te sich um Ver­hand­lun­gen über die Been­di­gung des Krie­ges bemühen.

Die Stu­di­en­ergeb­nis­se haben die Leit­me­di­en ihrem Publi­kum übri­gens weit­ge­hend ver­schwie­gen. Die für eine Demo­kra­tie so wich­ti­ge Säu­le der Pres­se­frei­heit soll vor allem vor staat­li­cher Ein­fluss­nah­me schüt­zen; was pas­siert, wenn die Leit­me­di­en als Sprach­rohr der regie­rungs­amt­li­chen Kriegs­po­li­tik dienen?

»Zei­ten­wen­de« bedeu­tet Mili­ta­ri­sie­rung, Kriegs­lo­gik, Freund-Feind-Den­ken und auch eine wirt­schaft­lich-mili­tä­ri­sche Füh­rungs­rol­le Deutsch­lands (die zu 68 Pro­zent von Befrag­ten abge­lehnt wird). Die Bun­des­aka­de­mie für Sicher­heits­po­li­tik pro­pa­giert einen Men­ta­li­täts­wan­del in der Bevöl­ke­rung; bei den Sol­da­ten müs­se er als Bereit­schaft zum Kampf nach dem Mot­to »Kämp­fen, Töten, Ster­ben« ent­wickelt wer­den. Will das die Bevöl­ke­rung? Die gro­ße Mehr­heit der Men­schen (bis zu 90 Pro­zent) ver­langt eine Ver­bes­se­rung der Daseins­vor­sor­ge, 92 Pro­zent ein Atom­waf­fen­ver­bot. Mili­ta­ri­sie­rung för­dern, wenn maro­de Kli­ni­ken, zer­stör­tes Kli­ma, unbe­zahl­ba­re Woh­nun­gen, der erbärm­li­che Zustand des öffent­li­chen Ver­kehrs den All­tag prä­gen? Die Fol­ge: Nur noch ein knap­pes Drit­tel bekun­det Ver­trau­en in Regie­rung und Bun­des­tag, gera­de mal 17 Pro­zent in die Par­tei­en. Die Unzu­frie­den­heit mit dem Funk­tio­nie­ren der Demo­kra­tie (bis zu 70 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, je nach sozia­ler Lage) wächst.

Statt Abhil­fe Indok­tri­na­ti­on auf allen Kanä­len: Die seit Mona­ten in Medi­en all­ge­gen­wär­ti­ge Vor­sit­zen­de des Ver­tei­di­gungs­aus­schus­ses Strack-Zim­mer­mann hat freie Hand und Stim­me für Kriegs­het­ze und Züch­tung von Feind­bil­dern: Auch die Poli­tik brau­che, »um aus der Sicht der Bun­des­wehr zu agie­ren, ein Feind­bild«, sie brau­che »ein Bild eines mög­li­chen Fein­des, der unse­re Frei­heit und Demo­kra­tie besei­ti­gen will«. Nicht erwähnt wird, dass sie auch als Rüstungs­lob­by­istin agiert: im Prä­si­di­um des För­der­krei­ses Deut­sches Heer, der Deut­schen Wehr­tech­ni­schen Gesell­schaft, als Vize­prä­si­den­tin der Deut­schen Atlan­ti­schen Gesell­schaft und im Bei­rat der Bun­des­aka­de­mie für Sicherheitspolitik.

Edward Ber­nays, einer der wich­tig­sten Ent­wick­ler der moder­nen Pro­pa­gan­da, schrieb schon vor knapp hun­dert Jah­ren: »Die Mani­pu­la­ti­on der Mei­nun­gen der Mas­sen ist ein wich­ti­ges Ele­ment in der demo­kra­ti­schen Gesell­schaft. Wer die unge­se­he­nen Gesell­schafts­me­cha­nis­men mani­pu­liert, bil­det eine unsicht­ba­re Regie­rung, wel­che die wah­re Herr­scher­macht unse­res Lan­des ist.« Die Medi­en haben die Rat­schlä­ge beher­zigt. Statt Auf­klä­rung und kri­ti­scher Berich­te über die Macht­struk­tu­ren und die dahin­ter ste­hen­den Inter­es­sen wer­den wir mit Pro­pa­gan­da gefüttert.

Ver­schwie­gen wur­den die Vor­schlä­ge und Kon­zep­te ver­schie­de­ner Staa­ten, Ex-Diplo­ma­ten und -Mili­tärs für Frie­dens­ver­hand­lun­gen. Ver­geb­lich suchen wir Ana­ly­sen zum Ein­ge­ständ­nis der Exkanz­le­rin Mer­kel, die Minsk-Ver­trä­ge sei­en 2014 abge­schlos­sen wor­den, um der Ukrai­ne Zeit zum Auf­rü­sten für den Krieg zu geben. Aber die deut­schen Medi­en bear­bei­ten die Bevöl­ke­rung mit der Bot­schaft, Putin sei nicht zu trau­en, er ver­ste­he nur die Spra­che der Gewalt. Übri­gens: Die Nato arbei­tet mit Hoch­druck an »Cogni­ti­ve War­fa­re«, dem »Gedan­ken­krieg« als extre­me Wei­ter­ent­wick­lung des Infor­ma­ti­ons­krie­ges, laut einer Ver­tei­di­gungs­exper­tin »die fort­schritt­lich­ste Form der Manipulation«.

Ver­wei­ge­rung der Bericht­erstat­tung, die ein eige­nes Urteil ermög­li­chen wür­de, auch bei den Lebens­be­din­gun­gen der Men­schen in der Ukrai­ne. Will man tat­säch­lich hel­fen, wäre eine ehr­li­che Bestands­auf­nah­me unab­ding­bar. Wo wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass dort schon seit acht Jah­ren Krieg geherrscht hat, lan­ge vor dem 24.2.2022; dass die Ukrai­ne schon vor dem rus­si­schen Ein­marsch als das ärm­ste und kor­rup­te­ste Land in Euro­pa galt, beherrscht von sechs Olig­ar­chen? Nichts über die Aus­wan­de­rung von sie­ben Mil­lio­nen Men­schen in zwan­zig Jah­ren nach 1990. Der Öko­nom Hei­ner Flass­beck hat die vom Westen gefor­der­te und geför­der­te Pri­va­ti­sie­rung sowohl in Russ­land als auch in der Ukrai­ne beschrie­ben, die Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung, olig­ar­chi­sche Struk­tu­ren und die Aus­beu­tung der Län­der als Roh­stoff­lie­fe­ran­ten begün­stigt hat. Prä­si­dent Selen­skyj holt gera­de die poli­tisch wie wirt­schaft­lich mäch­ti­ge, unkon­trol­lier­ba­re Invest­ment­ge­sell­schaft Black Rock für den Auf­bau ins Land – zu wes­sen Gun­sten? Agrar- und Bio­tech-Gigan­ten Car­gill, DuPont, Monsanto/​Bayer kau­fen Mil­lio­nen Hekt­ar frucht­ba­ren Lan­des. Dient das den Men­schen in der Ukraine?

»Die Ach­tung vor der Wahr­heit (…) und die wahr­haf­ti­ge Unter­rich­tung der Öffent­lich­keit sind ober­ste Gebo­te der Pres­se«, heißt es in den »ethi­schen Stan­dards für den Jour­na­lis­mus«. Statt­des­sen erle­ben wir: Die Leit­me­di­en machen Poli­tik. Sie kon­stru­ie­ren eine gefärb­te Rea­li­tät. Abwei­chen­de Mei­nun­gen wer­den eli­mi­niert, Frie­dens­ver­hand­lun­gen kriegs­pro­pa­gan­di­stisch nie­der­ge­macht. Die Pres­se­frei­heit, die pri­mär dem Schutz der Medi­en vor staat­li­chen Ein­grif­fen die­nen soll, ver­keh­ren die Chef­re­dak­tio­nen ins Gegen­teil, ver­en­gen den Mei­nungs­kor­ri­dor, betrei­ben selek­tiv und mani­pu­la­tiv Kriegs­pro­pa­gan­da. Auch das ist Teil der »Zei­ten­wen­de«: Kriegs­lo­gik und Zer­stö­rung der Lebens­grund­la­gen von Mil­li­ar­den Men­schen muss abge­stützt wer­den durch das Erzeu­gen eines mora­li­schen Nar­ra­tivs. Dass es eine Fake Rea­li­ty ist, emp­fin­den vie­le; in die­sem Kli­ma gedei­hen Hass, Gewalt, Zer­fall des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halts. Han­nah Are­ndt schrieb 1967: »Wo Tat­sa­chen kon­se­quent durch Lügen und Total­fik­tio­nen ersetzt wer­den, stellt sich her­aus, dass es einen Ersatz für die Wahr­heit nicht gibt. Denn das Resul­tat ist kei­nes­wegs, dass die Lüge nun als wahr akzep­tiert und die Wahr­heit als Lüge dif­fa­miert wird, son­dern dass der mensch­li­che Ori­en­tie­rungs­sinn im Bereich des Wirk­li­chen, der ohne die Unter­schei­dung von Wahr­heit und Unwahr­heit nicht funk­tio­nie­ren kann, ver­nich­tet wird.«