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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Neuer Gedenkort für Fritz Bauer

»Nichts gehört der Ver­gan­gen­heit an, alles ist noch Gegen­wart und kann wie­der Zukunft wer­den.« Als der hes­si­sche Gene­ral­staats­an­walt Fritz Bau­er am 5. Febru­ar 1964 den ver­sam­mel­ten Stu­den­ten im Gro­ßen Hör­saal der Frank­fur­ter Uni­ver­si­tät die­sen denk­wür­di­gen Satz zurief, herrsch­te tie­fe Stil­le im Raum.

Ich saß hoch oben in den hin­te­ren Rän­gen und bekam eine Gän­se­haut. Ein paar Tagen zuvor war mir der grau­haa­ri­ge alte Herr im Römer begeg­net, wo seit weni­gen Wochen der Pro­zess gegen rund zwan­zig Mit­ver­ant­wort­li­che für die Mas­sen­mor­de im Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz statt­fand. Lan­ge hat­te Fritz Bau­er dar­um gekämpft, der Frank­fur­ter Justiz die Ver­ant­wor­tung für die Ahn­dung des bei­spiel­lo­sen Ver­bre­chens zu über­tra­gen. Nun zog er zum ersten Mal öffent­lich Bilanz. »Nach Auf­fas­sung der hes­si­schen Staats­an­wäl­te«, so der Red­ner, »kön­nen und sol­len die Pro­zes­se auch der poli­ti­schen Auf­klä­rung die­nen. Dar­an ist kein Zwei­fel. Wenn Sie, mei­ne Damen und Herrn, mich nun fra­gen, ob sie die­se Zweck­be­stim­mung auch erfül­len wer­den, stocke ich schon.«

Fritz Bau­ers wuss­te, wovon er sprach. In den Wochen und Mona­ten der Pro­zess­vor­be­rei­tung wur­de immer wie­der einer sei­ner Sät­ze kol­por­tiert, mit dem er, halb im Scherz, das Pro­blem beschrieb, dem er sich gegen­über­sah: »Wenn ich mein Büro ver­las­se, betre­te ich feind­li­ches Aus­land.« Er spiel­te damit auf die Unter­wan­de­rung der Justiz durch ehe­ma­li­ge Nazi­rich­ter und Staats­an­wäl­te an.

Mehr als 60 Jah­re danach macht der Satz wie­der die Run­de, und zwar als Mot­to einer Aus­stel­lung, mit der in Bochum eine kul­tu­rel­le For­schungs- und Begeg­nungs­stät­te der Öffent­lich­keit vor­ge­stell­te wur­de, die der Erin­ne­rung an den legen­dä­ren hes­si­schen Gene­ral­staats­an­walt gewid­met ist.

Der offi­zi­el­le Name lau­tet »Fritz Bau­er Forum – Zen­trum für Men­schen­rech­te«. Initia­to­rin ist die Geschäfts­füh­re­rin der gemein­nüt­zi­gen BUXUS STIFTUNG, Dr. Irm­trud Wojak, die sich als Histo­ri­ke­rin und Ver­fas­se­rin der ful­mi­nan­ten Bio­gra­fie Fritz Bau­ers inter­na­tio­nal einen Namen gemacht hat. Ein­ge­hend schil­dert sie nicht nur das Enga­ge­ment Bau­ers für Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te, son­dern auch des­sen Ver­trei­bung als jüng­ster Amts­rich­ter Deutsch­lands durch die Nazis ins däni­sche Exil.

Wer nach den Ursa­chen für Bau­ers Bemü­hen um die Wah­rung der Men­schen­rech­te auch im Straf­voll­zug sucht, fin­det dort eine von dem Ver­trie­be­nen beschrie­be­ne Schlüs­sel­sze­ne. »Als die Gesta­po mich in Däne­mark such­te und auf mei­ner Odys­see durch das Land in dem klei­nen Gast­haus einer Pro­vinz­stadt fand, brach­te mich die däni­sche Poli­zei auf die Wache. Ich wur­de nach dem Namen gefragt, sonst nichts; ich kam in die Zel­le, sonst nichts. Kein Satz, kein Blick des stil­len Ein­ver­ständ­nis­ses. Ich war in der Zel­le, ich war des Trei­bens müde. Es wird wohl gegen Mit­ter­nacht gewe­sen sein, als ein jun­ger däni­scher Hilfs­po­li­zist die Tür öff­ne­te. ›Wol­len Sie etwas essen?‹ – ›Nein.‹ – ›Wol­len Sie etwas lesen?‹ – ›Nein, dan­ke.‹ Eine lan­ge, lan­ge Pau­se trat ein. Er schloss die Zel­len­tür, er kam zu mir, leg­te wie ein Freund den Arm um mich und sag­te: ›Ich wer­de an Sie den­ken.‹ Er ging, es war mir zumu­te wie es in Goe­thes Faust in der Sze­ne, die ›Nacht‹ heißt: ›Die Trä­ne quillt, die Erde hat mich wieder!‹«

Zur Eröff­nung der Aus­stel­lung und des Fritz Bau­er Forum in Bochum war im über­füll­ten gro­ßen Schwur­ge­richts­saal neben viel juri­sti­scher Pro­mi­nenz auch der nord­rhein-west­fä­li­sche Justiz­mi­ni­ster Ben­ja­min Lim­bach erschie­nen. Er wür­dig­te Fritz Bau­ers Rol­le in der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te und ver­lang­te auch heu­te von den Juri­sten die Fähig­keit zur kri­ti­schen Refle­xi­on, wann immer Recht zum Unrecht wer­de. Die NRW-Stif­tung för­der­te die Errich­tung des neu­en Gedenk­or­tes durch die BUXUS STIFTUNG mit einem Zuschuss von bis zu 450 000 Euro.