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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Indianer Israels

Um kei­ner­lei Zwei­fel auf­kom­men zu las­sen: Ich bin als Nach­fah­re jüdi­scher Eltern, ohne Wenn und Aber, für das völ­ker­recht­lich garan­tier­te Exi­stenz­recht der jüdi­schen Israe­lis, wie ich für das völ­ker­recht­lich garan­tier­te Exi­stenz­recht der Palä­sti­nen­ser bin. Ob die zukünf­ti­ge Lösung des Kon­flikts jedoch noch in einer Zwei­staa­ten­lö­sung besteht, bezweif­le ich, ange­sichts des unend­lich blu­ti­gen und hass­erfüll­ten Dau­er­kon­flikts und eines inzwi­schen völ­lig zer­stückel­ten und zer­stör­ten Ter­ri­to­ri­ums der Palä­sti­nen­ser, ihrer zer­strit­te­nen poli­ti­schen Füh­rer und auch der Flücht­lings­la­ger in den Nach­bar­staa­ten. Schon der ein­sti­ge UN-Tei­lungs­plan von 1948 erwies sich als Illu­si­on, noch dazu er nicht durch ein robu­stes Man­dat von UN-Trup­pen imple­men­tiert wur­de, was ange­sichts der gera­de gegrün­de­ten Ver­ein­ten Natio­nen wohl auch kaum mög­lich war.

Was ich allen­falls noch für eine rea­li­sti­sche Zukunfts­op­ti­on hal­te, wäre eine föde­ra­le Lösung, wie sie in vie­len ande­ren Staa­ten der Welt exi­stiert, wo es eine gemein­sa­me Staats­bür­ger­schaft aller eth­ni­schen Grup­pen gibt, aber zugleich rela­tiv auto­no­me Ver­fas­sungs­rech­te für die jewei­li­gen Min­der­hei­ten. Dazu müss­te aller­dings die Illu­si­on begra­ben wer­den, dass Isra­el ein »jüdi­scher Staat« ist, son­dern rea­li­sti­scher wei­se ein mul­ti­eth­ni­scher Staat von jüdi­schen und palä­sti­nen­si­schen Israelis!

Um die­ser Wirk­lich­keit inter­na­tio­nal und auch im Nahen Osten Rech­nung zu tra­gen, müss­te sich die bit­te­re Ein­sicht durch­set­zen, dass die Ursa­chen die­ses tra­gi­schen und bis­her unlös­ba­ren blu­ti­gen Kon­flikts nicht nur auf einer zio­ni­sti­schen, son­dern auch auf einer völ­ker­rechts­wid­ri­gen Illu­si­on der UN beruh­te: Die Besied­lung des dor­ti­gen Ter­ri­to­ri­ums durch die jüdi­schen Ein­wan­de­rer war ver­bun­den mit einer Kolo­nia­li­sie­rung der dort leben­den ara­bi­schen Bevöl­ke­rung, ähn­lich etwa der kolo­nia­li­sti­schen Ein­wan­de­rung der Euro­pä­er nach Süd- und Nord­ame­ri­ka, die mit einer blu­ti­gen Ver­trei­bung, Ver­nich­tung und Get­toi­sie­rung der dort leben­den, indi­ge­nen Bevöl­ke­rung ver­bun­den war! Die Palä­sti­nen­ser waren und sind die »India­ner« Israels!

Der Zio­nis­mus war nicht zuletzt inspi­riert durch den deut­schen Natio­na­lis­mus des 19. Jahr­hun­derts – so ver­ständ­lich sei­ne eigent­li­che Ent­ste­hung auch sein mag, auf­grund der leid­vol­len jüdi­schen Geschich­te in der Dia­spo­ra und ins­be­son­de­re des Völ­ker­mor­des an den Juden durch Nazi-Deutsch­land, – den­noch ideo­lo­gisch, poli­tisch und prak­tisch ein bür­ger­lich-natio­na­li­sti­sches Pro­jekt, sowie es schon die blu­ti­ge Kolo­nia­li­sie­rung aller Kon­ti­nen­te war. Um für sei­ne Idee zu wer­ben, schrieb Theo­dor Herzl: »Für Euro­pa wür­den wir dort ein Stück des Wal­les gegen Asi­en bil­den, wir wür­den den Vor­po­sten­dienst der Kul­tur gegen die Bar­ba­rei besorgen.«

Und in einer Rede von 1938 sag­te der künf­ti­ge Prä­si­dent Isra­els David Ben Gori­on: »Ver­schlie­ßen wir nicht die Augen vor der Wahr­heit: Poli­tisch gese­hen sind wir die Aggres­so­ren und sie ver­tei­di­gen sich. Die­ses Land ist ihres, weil sie dar­in woh­nen, wäh­rend wir her­kom­men, um uns dar­in nie­der­zu­las­sen Und von ihrem Gesichts­punkt aus, haben wir vor, sie aus ihrem eige­nen Land zu ver­trei­ben« (zitiert nach Mos­he Zim­mer­mann, Mos­he Zucker­mann: Denk ich an Deutsch­land – Ein Dia­log in Isra­el, West­end Ver­lag 2023).

Der Kon­flikt ist auch des­halb so tra­gisch, weil die neu­en jüdi­schen Kolo­ni­al­her­ren in Isra­el zuvor in der Dia­spo­ra selbst wie »India­ner« dis­kri­mi­niert, get­toi­siert, ver­trie­ben und auch ver­nich­tet wur­den. Die­ses Trau­ma glaub­ten sie nicht anders bewäl­ti­gen zu kön­nen, als nun ihrer­seits Gewalt mit Gewalt zu beantworten.

Was tun? Das fra­ge ich mich, als Jude, wie sicher­lich Mil­lio­nen ande­rer Men­schen und Poli­ti­ker auf der gan­zen Welt, denen das Leben von Juden und Palä­sti­nen­sern am Her­zen lie­gen. Sicher scheint mir: Eine gewalt­sa­me, mili­tä­ri­sche Lösung, wie sie seit einem Jahr­hun­dert von den mili­tan­ten, jüdi­schen und ara­bisch-palä­sti­nen­si­schen Füh­rern favo­ri­siert wird, führt zu immer mehr jüdi­schen und palä­sti­nen­si­schen Opfern, zu immer mehr Zer­stö­run­gen, zu immer mehr Ver­geu­dung mili­tä­ri­scher Res­sour­cen, zu immer mehr Hass, auch inter­na­tio­nal, anstatt zum Frie­den, zum fried­li­chen Zusam­men­le­ben, zum wech­sel­sei­ti­gen Vor­teil von Juden und Palä­sti­nen­sern und den ara­bi­schen Nach­bar­län­dern. Die­se aggres­si­ve Kon­fron­ta­ti­ons­po­li­tik schlägt auch gera­de auch auf die eige­ne, jüdi­sche Bevöl­ke­rung zurück, die man schüt­zen und deren Lebens­in­ter­es­sen man durch­set­zen vor­gibt. Und die­se destruk­ti­ve Gewalt­po­li­tik trifft auch auf ande­re Kriegs­her­de zu, etwa in der Ukrai­ne, in denen Ukrai­ner und Rus­sen tau­send­fach verbluten.

Zeigt nicht, die Geschich­te Nord­ame­ri­kas und auch die Geschich­te Euro­pas, dass poli­ti­sche Lösun­gen und die fried­li­che Zusam­men­ar­beit der Natio­nen, der Geschlech­ter, der Gene­ra­tio­nen sowie der sozia­le Aus­gleich zwi­schen den Klas­sen und Schich­ten und der respekt­vol­le Umgang mit Min­der­hei­ten letzt­lich viel loh­nen­der für alle Sei­ten sind, um Men­schen­rech­te zu bewah­ren und durch­zu­set­zen, als unend­lich leid­vol­le Krie­ge und kost­spie­li­ge »Kriegs­er­tüch­ti­gun­gen«, die doch das Gegen­teil davon bewirken?!

Lasst end­lich ab, von die­sen natio­na­li­sti­schen Irr­we­gen und Gewalt­or­gi­en der Welt­ge­schich­te, auch ange­sichts der immer bedroh­li­cher wer­den­den, krie­ge­ri­schen und Umwelt-ver­nich­ten­den Flä­chen­brän­de! Es ist eine Mil­li­se­kun­de vor Zwölf!!!