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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Stickstoff statt Giftspritze

Der Ober­ste Gerichts­hof in Ala­ba­ma hat­te ent­schie­den, dass der Bun­des­staat einen ver­ur­teil­ten Mör­der durch Stick­stoff töten darf. Hin­ge­rich­tet wer­den soll der wegen drei­fa­chen Mor­des zum Tode ver­ur­teil­te Alan Euge­ne Mil­ler. Im August 1999 hat­te er drei frü­he­re Kol­le­gen wegen angeb­li­chen Mob­bings erschos­sen und war ein Jahr spä­ter zum Tode ver­ur­teilt wor­den. Mil­ler selbst hat­te sich für die Hin­rich­tung mit Stick­stoff ent­schie­den, weil er Angst vor Sprit­zen habe.

Stick­stoff – das che­mi­sche Ele­ment mit dem Sym­bol N – ist bis­her nicht zur Voll­streckung eines Todes­ur­teils ver­wen­det wor­den. Die Metho­de sieht vor, dass der Kan­di­dat puren Stick­stoff ein­at­met, was zunächst zur Bewusst­lo­sig­keit führt. Der Tod tritt schließ­lich durch eine Unter­ver­sor­gung mit Sau­er­stoff ein. Befür­wor­tern zufol­ge ist die­se »Stick­stoff­hy­po­xie« genann­te Vari­an­te schmerz­frei. Kri­ti­ker ver­wei­sen dage­gen auf feh­len­de wis­sen­schaft­li­che Tests und spre­chen bei der bevor­ste­hen­den Gas-Exe­ku­ti­on von einem »Men­schen­ver­such«.

Die Ent­schei­dung hat in den USA zu einer hef­ti­gen «ethi­schen Debat­te« geführt – nicht nur über die Stick­stoff-Hin­rich­tung, son­dern über die Todes­stra­fe ins­ge­samt. Hin­rich­tungs-Metho­den wie der elek­tri­sche Stuhl (2020 in Ten­nes­see), die Gas­kam­mer (zuletzt 1999 in Ari­zo­na), das Erhän­gen (1996 in Dela­ware) oder das Erschie­ßen (2010 in Utah) führ­ten in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der zu juri­sti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen und hat­ten die Exe­ku­tio­nen anfecht­bar gemacht. Zuletzt wur­de auf­grund der zahl­rei­chen Gerichts­pro­zes­se in den USA de fac­to nur noch per Todes­sprit­ze getötet.

In den USA gilt der Tod durch eine Gift­sprit­ze als »huma­ne«, weil »sanf­te« Hin­rich­tungs­art. Auch wird die Not­wen­dig­keit der Todes­stra­fe von vie­len US-Bür­gern kaum angezweifelt.

Doch vie­le Phar­ma­kon­zer­ne wol­len nicht mehr, dass der Staat mit ihren Medi­ka­men­te Men­schen tötet. Die EU hat­te bereits 2011 ein Export­ver­bot ver­hängt. Nach der Wei­ge­rung vie­ler euro­päi­scher und ame­ri­ka­ni­scher Phar­ma­un­ter­neh­men, Medi­ka­men­te wie die Bar­bi­tu­ra­te Pent­o­bar­bi­tal und Thio­pen­tal für Hin­rich­tun­gen her­zu­stel­len, suchen des­halb vie­le Bun­des­staa­ten seit Jah­ren nach Alter­na­ti­ven zur bis­lang übli­chen Gift­sprit­ze. Der Süd­staat Ten­nes­see rich­te­te eini­ge Mör­der auf dem elek­tri­schen Stuhl hin. In South Caro­li­na stimm­ten die Abge­ord­ne­ten im ver­gan­ge­nen Jahr nach dem Vor­bild Utahs für die Wie­der­ein­füh­rung von Erschie­ßungs­kom­man­dos. »Der Tod durch Erschie­ßen tritt nicht nur umge­hend ein, son­dern soll auch ver­gleichs­wei­se schmerz­los sein«, hat­te der Ober­ste Gerichts­hof der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ent­schie­den. Todes­stra­fen-Geg­ner indes ver­wie­sen damals auf den ach­ten Zusatz­ar­ti­kel der ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung, der »grau­sa­me und unge­wöhn­li­che Bestra­fung« verbietet.

Der Bun­des­staat Ala­ba­ma hat­te wie Mis­sis­sip­pi und Okla­ho­ma bereits im Jahr 2018 ent­schie­den, Stick­stoff als Gas für Todes­zel­len zuzu­las­sen. Nun hat der Ober­ste Gerichts­hof in Ala­ba­ma dies end­gül­tig bestä­tigt, auch mit dem Hin­weis, dass die Hin­rich­tung durch Stick­stoff nicht gegen den Ver­fas­sungs­grund­satz ver­stößt. Nun also die erste Hin­rich­tung durch Stick­stoff in den USA.

Kein guter Tag für die ame­ri­ka­ni­sche Justiz, kein guter Tag für die Menschenrechte

Vom Autor erschie­nen: Ohne Gna­de – Eine Geschich­te der Todes­stra­fe, Nomen Ver­lag, Frank­furt 2020, 230 S., 22 €.