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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Neues aus der Kirchengeschichte III

Es gab in Deutsch­land nur weni­ge Pfar­rer, die von ihrem Dienst­herrn Kir­che (evang.) unter Ver­lust aller Pen­si­ons­an­sprü­che aus dem Dienst ent­fernt wur­den. Dabei han­del­te es sich wohl­ge­merkt nicht um irgend­wel­che brau­nen oder feld­grau­en Übel­tä­ter, das heißt nicht um völ­ki­sche »Deut­sche Chri­sten« oder kriegs­freu­di­ge Feld­pre­di­ger. Viel­mehr waren es sol­che, die zum pro­te­stan­tisch-deutsch­na­tio­na­len Kon­sens nicht pas­sen wollten.

Als frü­he­ster Fall gilt der Mann­hei­mer Pfar­rer Erwin Eckert (1893-1972), in der Wei­ma­rer Zeit Vor­sit­zen­der des Bun­des Reli­giö­ser Sozia­li­sten. Er erhielt sei­ne erste Kir­chen­stra­fe schon 1925 wegen eines Arti­kels gegen die Wahl Hin­den­burgs zum Reichs­prä­si­den­ten. 1931 wur­de er aus der SPD aus­ge­schlos­sen, sodann frist­los aus dem badi­schen Kir­chen­dienst ent­las­sen, nach­dem er sich öffent­lich zur Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei bekannt hat­te. Als einer der kon­se­quen­ten kirch­li­chen Strei­ter gegen Kriegs­ge­fahr und Faschis­mus ver­dient er Beach­tung, auch wenn ihm beim Ver­such, die amt­li­che Kir­che gegen die Bar­ba­rei zu mobi­li­sie­ren, wenig Erfolg beschie­den war. Sein Bio­graf und Nach­lass­ver­wal­ter Mar­tin Bal­zer wür­dig­te ihn kürz­lich mit einem instruk­ti­ven Refe­rat. Dies war ver­bun­den mit einer Refe­renz an die Bie­le­fel­der reli­gi­ös-sozia­le Orts­grup­pe, die sich nach Eckerts KPD-Ein­tritt mit ihm soli­da­risch erklärt hatte.

Unter der Über­schrift Chri­sten im Wider­stand gegen Krieg – gestern und heu­te – am Bei­spiel Erwin Eckert hat­te die Marx-Engels-Stif­tung nach Bie­le­feld ein­ge­la­den. Im Text zur Ein­la­dung hieß es: Krieg als ein bar­ba­ri­scher Aus­fluss mäch­ti­ger Inter­es­sen las­se sich nur durch eine wider­stän­di­ge Mehr­heit wacher und ent­schlos­se­ner Men­schen bekämp­fen. (Wenn die­se Mehr­heit heu­te doch nur wacher und ent­schlos­se­ner wäre!) Und es sei zu fra­gen und zu erör­tern, ob Eckert gleich ande­ren reli­giö­sen Sozia­li­sten uns Weg­wei­sung geben könn­te. Bal­zer bejah­te die Frage.

Dazu schil­der­te er meh­re­re Lebens­sta­tio­nen und mar­kan­te Wort­mel­dun­gen sei­nes Rocher de bron­ze. Des­sen Schlüs­sel­er­leb­nis um 1916 war, wie bei vie­len sei­ner Gene­ra­ti­on, das grau­en­haf­te Blut­ver­gie­ßen von Ver­dun. Bei Eckert wuchs damals die Erkennt­nis – wie er 1919 for­mu­lier­te –, dass es letzt­lich »um die bru­ta­le Errei­chung der Welt­macht Deutsch­lands, um die mate­ri­el­le Aus­deh­nung und Macht­gier kapi­ta­li­stisch ori­en­tier­ter Krei­se unse­res Vol­kes ging«. Bei Eckert ver­band sich der Anti­mi­li­ta­ris­mus von Anfang an mit der Kri­tik des Pro­fit­sy­stems. So pre­dig­te er schon 1920 als Vikar in Pforz­heim. So sprach er als Mann­hei­mer Pfar­rer, der 1930 vor dem Faschis­mus warn­te, wel­cher »die gan­ze Welt auf bestia­li­sche Wei­se in eine zivi­li­sa­to­ri­sche Kata­stro­phe (…) trei­ben« wird. Hin­ter­grund dafür sei die­je­ni­ge Wirt­schafts­ord­nung, »die immer wie­der nach neu­en Absatz­ge­bie­ten, Roh­stoff­quel­len, Kolo­nien aus­geht«. Und fol­ge­rich­tig ging er nach 20 Jah­ren SPD-Mit­glied­schaft auf die Par­tei zu, die das Pri­vat­ei­gen­tum an den gro­ßen Pro­duk­ti­ons­mit­teln über­win­den woll­te. Bal­zer über das kirch­li­che Dienst­ge­richt: »Die Mit­glied­schaft in der KPD (…) war ledig­lich Vor­wand, um die Gesin­nung zu bestrafen.«

Die badi­sche Kir­che ver­wei­ger­te nach 1945, unbuß­fer­tig wie stets, dem geschass­ten Anti­fa­schi­sten die Reha­bi­li­tie­rung. Näch­ste Sta­ti­on: Eckert im März 1949, als Abge­ord­ne­ter im badi­schen Par­la­ment spre­chend: gegen die mas­sen­haf­te Weiß­wa­schung von Nazi­ak­ti­vi­sten, gegen die Legen­de von der rus­si­schen Bedro­hung. Der ent­ste­hen­de nord­at­lan­ti­sche Mili­tär­pakt berei­te ihm gro­ße Sor­ge, weil er ein »Kriegs­pakt des Welt­ka­pi­ta­lis­mus« wer­de. Heu­te, Jahr­zehn­te spä­ter ist die­se Fest­stel­lung aktu­ell wie zuvor.

Der Wider­stand gegen die west­deut­sche Wie­der­be­waff­nung durch­zog Eckerts Wir­ken durch die 50er Jah­re. Als Mit­glied im Welt­frie­dens­rat und Vor­sit­zen­der des Frie­dens­ko­mi­tees der BRD wur­de er 1959 vor Gericht gestellt. Nach fünf Mona­ten erging das Urteil (Frei­heits­stra­fe auf Bewäh­rung) wegen Rädels­füh­rer­schaft in einer ver­fas­sungs­feind­li­chen Ver­ei­ni­gung, wie die typi­sche For­mu­lie­rung der Gesin­nungs­rich­ter damals lau­te­te. Immer­hin erklär­te der badi­sche Lan­des­bi­schof 1999 sein Bedau­ern, dass die Kir­che den »Bru­der Eckert« uneh­ren­haft ent­las­sen und eine »pro­phe­ti­sche Stim­me unter­drückt« habe. Eine kir­chen­recht­li­che Kor­rek­tur fehlt bis heute.

So trau­rig es ist, meist hat Eckert ver­geb­lich gekämpft. Gegen eine tum­be geg­ne­ri­sche Mehr­heit ver­lor er in punc­to kirch­li­che Buße und Neu­be­sin­nung, Wie­der­be­waff­nung, EVG-Ver­trag, Nato-Mit­glied­schaft. Aber Bal­zer legt ihm den Satz in den Mund: »Wir, so gut es gelang, haben das Uns­re getan

F.-M. Bal­zer: Berufs­ver­bot in der Kir­che. Der uner­le­dig­te Fall Erwin Eckert, Papy­Ros­sa, Köln 2023, 292 S., 20 €.