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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein Leben wie ein Abenteuerroman

»Einer für alle – alle für einen« – mit die­sem Wahl­spruch stürz­ten sich die Hel­den von Alex­and­re Dumas ins Getüm­mel. Er war einer der erfolg­reich­sten, belieb­te­sten und pro­duk­tiv­sten Schrift­stel­ler sei­ner Zeit, der Aben­teu­er­ge­schich­ten­er­zäh­ler des 19. Jahr­hun­derts. Er erfand nicht nur »Die drei Mus­ke­tie­re«, son­dern auch den mär­chen­haf­ten Rache­feld­zug des »Gra­fen von Mon­te Chri­sto«. Mit sei­nen Man­tel-und-Degen-Geschich­ten sind Gene­ra­tio­nen von Lesern aufgewachsen.

Als Alex­and­re Dumas Davy de la Pail­le­te­rie am 24. Juli 1802 in Vil­lers-Cot­terêts im fran­zö­si­schen Dépar­te­ment Ais­ne gebo­ren, war er der Sohn des ersten dun­kel­häu­ti­gen Gene­rals der fran­zö­si­schen Armee und einer Gast­wirts­toch­ter. Der Groß­va­ter war ein rei­cher Plan­ta­gen­be­sit­zer auf Saint Dom­in­gue (heu­te Hai­ti) gewe­sen und hat­te mit der Skla­vin Marie-Céset­te vier Kin­der. Spä­ter wur­de Alex­and­re Dumas trotz sei­nes lite­ra­ri­schen Erfol­ges wegen sei­ner Her­kunft und Haut­far­be oft geschmäht.

Der Vater starb schon 1806, so erhielt der klei­ne Dumas kei­ne ordent­li­che Schul­bil­dung. Bereits mit vier­zehn Jah­ren arbei­te­te er als Schrei­ber in einer Notars­kanz­lei, wo er früh sein schrift­stel­le­ri­sches Talent erkann­te. Dazu kam sein aus­ge­spro­che­ner Bil­dungs­hun­ger. Mit zwan­zig ging er nach Paris, wo er einen Posten im Büro des Her­zogs von Orlé­ans erhielt, dem spä­te­ren »Bür­ger­kö­nig« Lou­is-Phil­ip­pe. Neben­bei ver­such­te sich Dumas als Stücke­schrei­ber. Zunächst mit wenig Erfolg, aber bei der Pre­mie­re sei­nes histo­ri­schen Dra­mas »Hein­rich III. und sein Hof« (1829) gab es tosen­den Bei­fall. Es folg­ten zahl­rei­che wei­te­re erfolg­rei­che Stücke, oft in Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Autoren.

Wäh­rend der Juli-Revo­lu­ti­on 1830 kämpf­te Dumas auf den Pari­ser Bar­ri­ka­den: Nach eige­ner Dar­stel­lung wur­de er sogar zum Ret­ter der Revo­lu­ti­on, da es ihm angeb­lich mit einem Husa­ren­streich gelang, aus dem hun­dert Kilo­me­ter ent­fern­ten Sois­sons Schieß­pul­ver her­an­zu­schaf­fen. Neben sei­nen dra­ma­ti­schen Wer­ken wand­te sich Dumas ab 1835 der Pro­sa zu. Zunächst ver­fass­te er zahl­rei­che Rei­se­bil­der, die von den Zei­tun­gen als »male­ri­sche und poe­ti­sche Rei­se­füh­rer« abge­druckt wurden.

Die Ereig­nis­se der geschei­ter­ten Revo­lu­ti­on hat­ten bewirkt, dass sich Dumas inten­siv mit der fran­zö­si­schen Geschich­te beschäf­tig­te, was ihn zum damals modi­schen Gen­re der histo­ri­schen Erzäh­lun­gen und Roma­ne führ­te. Die Tages­zei­tun­gen unter­nah­men unge­heu­re Anstren­gun­gen, um ihren Leser­kreis zu erwei­tern. Das konn­te man am besten mit dem Feuil­le­ton errei­chen, das zur gro­ßen Trieb­fe­der des Fort­set­zungs­ro­mans wur­de. Dumas beherrsch­te wie kein ande­rer die Tech­nik des Feuil­le­tons; als Stücke­schrei­ber kam ihm hier sein Sinn für das Dra­ma­ti­sche treff­lich zustat­ten. Außer­dem ver­stand er es, sei­ne Leser mit effekt­vol­len Dia­lo­gen und schil­lern­dem Lokal­ko­lo­rit zu fes­seln. Mit span­nungs­ge­la­de­nen Kapi­tel­schlüs­sen mach­te er sie neu­gie­rig auf die näch­ste Aus­ga­be der Zei­tung. »Pau­li­ne« und »Le Capi­taine Paul« (bei­de 1838) waren sei­ne ersten histo­ri­schen Roma­ne, die beim Lese­pu­bli­kum gro­ßen Anklang fanden.

Dumas, bereits vier­zig Jah­re alt und inzwi­schen ein lite­ra­ri­scher Star, hat­te aber noch kei­ne ein­zi­ge Zei­le jener Roma­ne geschrie­ben, die spä­ter sei­nen Welt­ruhm begrün­de­ten. Das soll­te sich im näch­sten Jahr­zehnt grund­le­gend ändern. Dumas gewann den Histo­ri­ker Augu­ste Maquet (1813 – 1888) als zuver­läs­si­gen und bele­se­nen Mit­ar­bei­ter für sei­ne Roman­pro­duk­tio­nen. Mit sei­nen Recher­chen in Archi­ven und Biblio­the­ken war Maquet für Dumas ein genia­ler Lie­fe­rant. Es began­nen zehn glor­rei­che Jah­re, in denen das Team Dumas-Maquet alle Rekor­de brach. Mit mehr­bän­di­gen Roma­nen nahm man die Feuil­le­tons meh­re­rer gro­ßer Zei­tun­gen regel­recht in Beschlag, bevor sie als Bücher gedruckt und zum Teil anschlie­ßend für die Büh­ne adap­tiert wur­den. Dumas woll­te sein Publi­kum auf unter­halt­sa­me Wei­se mit der fran­zö­si­schen Geschich­te ver­traut machen. Dabei küm­mer­te er sich wenig um die histo­ri­schen Fak­ten, viel­mehr ließ er sei­ner Phan­ta­sie frei­en Lauf. Täg­lich muss­ten neue Tex­te pro­du­ziert wer­den. Das war nur mit einer gan­zen Mann­schaft anony­mer Mit­ar­bei­ter zu schaf­fen. Eine Seri­en­pro­duk­ti­on, die einer lite­ra­ri­schen Fließ­band­ar­beit gleich­kam. »Die drei Mus­ke­tie­re«, »Der Graf von Mon­te Chri­sto«, »Zwan­zig Jah­re danach«, »Köni­gin Mar­got«, »Der Mann mit der eiser­nen Mas­ke« oder »Das Hals­band der Köni­gin« waren nur die bekann­te­sten Wer­ke der gran­dio­sen Schaf­fens­pe­ri­ode, der wir heu­te noch die packend­sten Roma­ne der Welt­li­te­ra­tur ver­dan­ken. In einem ein­zi­gen Jahr ver­öf­fent­lich­te das Team sogar ein­mal sech­zig Bücher. Die frucht­ba­re Zusam­men­ar­beit ende­te 1851 mit einem erbit­ter­ten und jah­re­lan­gen Streit um die Urhe­ber­schaft der Wer­ke. Vor Gericht wur­de Maquet schließ­lich eine finan­zi­el­le Betei­li­gung von 20 Pro­zent zuge­spro­chen, aller­dings kei­ne Nen­nung als Autor.

Aber nicht nur die Roma­ne waren mit Aben­teu­ern, Intri­gen, Lie­bes­be­zie­hun­gen oder töd­li­chen Duel­len ange­rei­chert, auch Dumas‘ Leben glich einem wah­ren Aben­teu­er. Er duel­lier­te sich mehr­fach, unter­stütz­te den ita­lie­ni­schen Revo­lu­tio­när Gari­bal­di und hat­te meh­re­re Affä­ren. Durch sei­nen extra­va­gan­ten Lebens­stil geriet er immer wie­der in finan­zi­el­le Not. Auf der Flucht vor sei­nen Gläu­bi­gern rei­ste er oft quer durch Euro­pa. Die Auf­ent­hal­te ver­mark­te­te er anschlie­ßend als Rei­se­re­por­ta­gen. Zudem publi­zier­te er sein beweg­tes Leben in viel­bän­di­gen Memoi­ren. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren leb­te Dumas bei sei­nem Sohn Alex­and­re (Dumas der Jün­ge­re und Autor der berühm­ten »Kame­li­en­da­me«). Er starb am 5. Dezem­ber 1870 in Puys. 2002, zum 200. Geburts­tag, wur­den sei­ne Gebei­ne ins Pari­ser Pan­the­on über­führt. Eine spä­te Wür­di­gung und wohl auch ein poli­ti­sches Zei­chen gegen Ras­sis­mus in unse­rer heu­ti­gen Zeit. Zu Leb­zei­ten wur­de ihm offi­zi­el­le Aner­ken­nung stets verwehrt.

Dumas‘ Werk wird auf etwa 600 Bän­de geschätzt, bevöl­kert mit rund 37.000 Roman­fi­gu­ren. Er soll ein­mal geäu­ßert haben, dass er sei­ne eige­nen Wer­ke nie­mals voll­stän­dig gele­sen habe. Er hat­te sich auf das Schrei­ben kon­zen­triert, das Lesen über­ließ er weit­ge­hend sei­nem Publikum.

Zum dies­jäh­ri­gen 150. Todes­tag hat der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Ralf Jun­ker­jür­gen eine bemer­kens­wer­te Bio­gra­fie vor­ge­legt, die die wich­tig­sten Lebens­sta­tio­nen Dumas‘ mit sei­nem schrift­stel­le­ri­schen Schaf­fen ver­bin­det. Sie beleuch­tet den Weg von der »Schreib­kraft zum Dich­ter«, die Erobe­rung der Thea­ter­büh­nen und schließ­lich die Hin­wen­dung zum histo­ri­schen Roman. Auch die enge Ver­zah­nung von Lite­ra­tur, Gesell­schaft und Geschich­te in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts wird auf­ge­zeigt. Die Bio­gra­fie schließt außer­dem eine Lücke im deutsch­spra­chi­gen Raum, denn seit 2002 (Gün­ter Ber­ger: »Alex­and­re Dumas«, dtv) wur­de eine Wür­di­gung schmerz­lich ver­misst. Im Ana­con­da Ver­lag ist eine Jubi­lä­ums-Kas­set­te mit den drei Roma­nen über die Mus­ke­tie­re erschie­nen. Auf 2000 Sei­ten kann man in die Aben­teu­er des Drauf­gän­gers d’Artagnan und sei­ner drei unzer­trenn­li­chen Freun­de Athos, Port­hos und Ara­mis ein­tau­chen. Ergänzt wird die Schmuck­aus­ga­be durch ein umfang­rei­ches Nach­wort von Chri­sti­ne Wol­ter. Etwas hand­li­cher ist die dtv-Taschen­buch­aus­ga­be der »Drei Mus­ke­tie­re« in einer Über­ar­bei­tung der Über­set­ze­rin Michae­la Meßner.

Ralf Jun­ker­jür­gen: »Alex­and­re Dumas – Der vier­te Mus­ke­tier«, wbg Theiss, 272 Sei­ten, 28 €. Alex­and­re Dumas d. Ä.: »Die drei Mus­ke­tie­re /​ Die drei Mus­ke­tie­re – 20 Jah­re spä­ter /​ Der Mann mit der eiser­nen Mas­ke – 10 Jah­re spä­ter«, Ana­con­da Ver­lag, Box mit 3 Bän­den, 2000 Sei­ten, 19,95 €. Alex­and­re Dumas d. Ä.: »Die drei Mus­ke­tie­re«, Deut­scher Taschen­buch Ver­lag, 752 Sei­ten, 13,90 €.