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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Warum sich Profit auch auf Covid reimt

Bevor ich mit Die­ter Hal­ler­vor­den den regie­rungs­kri­ti­schen »Coro­na-Song« geschrie­ben und mit Mil­lio­nen Zugrif­fen ver­öf­fent­licht habe, war des­sen Vor­fas­sung von Jan Böh­mer­mann, Kurt Krö­mer, Ruhr­ba­ro­ne-Blog­gern, taz, Spie­gel mit links­klin­gen­den Wort­hül­sen ange­schos­sen wor­den, beson­ders gro­tesk: als »Quer­front« und »Ver­schwö­rungs­theo­rie«, weil ich da »Covid auch auf Pro­fit« gereimt hat­te. Seit Joseph Fischer zur angeb­li­chen »Ver­hin­de­rung von Ausch­witz II« Ser­bi­en bom­bar­die­ren ließ, wer­den anti­fa­schi­sti­sche Begrif­fe anti­so­zia­li­stisch und poli­ti­cal cor­rect aus­ge­höhlt. Aber für den Mar­ken­kern der Rech­ten, für Feind­schaft gegen die orga­ni­sier­te Arbei­ter­be­we­gung, für Anti­kom­mu­nis­mus, gibt‘s Bei­fall von Ruhr­ba­ro­nen, Bild über Spie­gel bis AfDP. Wel­che »Fra­gen eines lesen­den Arbei­ters« sind medi­al noch zulässig?

Erstens: Was eigent­lich sind »Vor­er­kran­kun­gen«? Nur Dia­be­tes und Adi­po­si­tas? Ist all­täg­li­che Ent­frem­dung im Betrieb kein Immun­stö­rer? Dem Bio-Rhyth­mus gegen­wir­ken­de Arbeits- und Zeit­re­gime? Burn­outs? Schlaf­lo­sig­keit, Dau­er­stress? Stän­di­ge Erreich­bar- und Ver­füg­bar­keit per Han­dy und Dau­er­ab­len­kung über Face­book und ande­re aso­zia­le Medi­en? Also: Woher kommt bloß das gro­ße Ver­schwei­gen der Not­wen­dig­keit einer gewerk­schaft­li­chen Arbeits­zeit­ver­kür­zung mit vol­lem Lohn­aus­gleich als Immun-Stabilisiererin?

Zwei­tens: In »Lock­down 2020« (Pro­me­dia) bewer­ten Hof­bau­er, Kraft, Hun­ko, Mat­tio­li, Sön­nich­sen und ande­re die viel­zi­tier­ten Zah­len aus Ita­li­en: »95 % Men­schen [star­ben] im Alter von über 60 Jah­ren.« (S. 70/​58) Statt Älte­re »zu ihrem Schutz« aus der Frei­zeit zu holen, war­um nicht aus ver­en­gen­den Arbeits­ver­hält­nis­sen? Wäre es nicht jetzt und über­haupt gene­rell das Gesün­de­ste, das Ein­tritts­al­ter in eine armuts­fe­ste Ren­te auf 60 zu senken?

Drit­tens: Der jun­ge-Welt-Jour­na­list Knut Mel­lenthin poste­te am 7. Novem­ber: »In Isra­el fand vor viel­leicht zwei Mona­ten eine US-ame­ri­ka­ni­sche Unter­su­chung gro­ße Auf­merk­sam­keit, die einen Zusam­men­hang zwi­schen Demon­stra­tio­nen und Mas­sen­in­fek­tio­nen expli­zit ver­nein­te … Aber um Fak­ten geht es schließ­lich gar nicht. Sonst wür­de man bei­spiels­wei­se kei­ne Muse­en schlie­ßen.« Wel­che Zah­len­ba­sis gibt es für die Ent­schei­dung, wel­che Orte vor­über­ge­hend geschlos­sen wer­den müs­sen, weil sie ein hohes Infek­ti­ons­ri­si­ko dar­stel­len? Sind es Thea­ter, Kaba­retts, Song­ver­an­stal­tun­gen und ähn­li­ches – trotz deren modern­ster Hygie­ne­tech­nik und Hygie­ne­kon­zep­te? Das »Ersatz­an­ge­bot« digi­ta­ler Per­for­mance-Platt­for­men (Zoom & Co) klingt zwar ver­lockend. Aber Kaba­ret­ti­sten wis­sen: Bei­fall und Lachen für eine kri­ti­sche Poin­te über­ra­schen nicht nur Büh­ne, son­dern auch Publi­kum: »Hopp­la, der Mensch neben mir klatscht ja auch ris­kant!« In digi­ta­ler Per­for­mance folgt dar­auf aber nur Grund­rau­schen. Es bedarf kol­lek­ti­ver Prä­senz, um nicht pas­si­ver, weil ato­mi­sier­ter Medi­en-Spiel­ball zu blei­ben. Hegel notier­te, »die Begei­ste­rung am Wah­ren« schü­fe erst »die wah­re Begei­ste­rung«. Und Pierre Bour­dieu nann­te es »Gegen­öf­fent­lich­keit«. Damit Demo­kra­tie nicht ver­welkt, müs­sen Orga­ni­sa­tio­nen, die der Arbei­ter­klas­se nahe­ste­hen, auf Prä­senz-Ver­samm­lun­gen insistieren!

Zwar gestand Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel in einer Pres­se­kon­fe­renz, dass es kei­ne bezif­fer­ba­ren Infek­tio­nen in Thea­tern gebe. Aber die Anfahrt mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln sei »der Gefah­ren­herd«. Wann ist die Kanz­le­rin zuletzt per Bus ins Thea­ter? Oder mor­gens Schul­ter an Schul­ter in der S-Bahn gefah­ren – wie Arbei­ter in die Fabrik, Kin­der zur Kita? Oder zum Media­markt, der ja geöff­net bleibt?

Um für Abstand und Kli­ma zu inve­stie­ren, war­um wird der 15-Mil­li­ar­den-Inve­sti­ti­ons-Bedarf in Bahn und Takt­zahl gera­de so dröh­nend verschwiegen?

Vier­tens: Die Gewerk­schaft Erzie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) und Leh­rer­ver­bän­de in Bun­des­län­dern schla­gen mobi­le virus­tö­ten­de Luft­fil­ter für alle Schu­len vor. Kosten: eine Mil­li­ar­de. Zu teu­er? Um vier Mil­li­ar­den soll jetzt der deut­sche Rüstungs­etat stei­gen. War­um für Fil­ter­an­la­gen kei­ne Zuschüs­se? Oder zumin­dest erhöht steu­er­li­che Absetz­bar­keit für Gastro­no­mie, Kul­tur­ver­an­stal­ter et cete­ra? Viren mutie­ren. Statt sie dau­er­haft von Lern­or­ten fern­zu­hal­ten, muss Tech­nik her, wel­che die Infek­ti­ons­ge­fahr min­dert. Oder soll da künf­tig Kul­tur et cete­ra lie­ber immer wie­der in den Lock­down? Und wie lan­ge die Frie­dens­be­we­gung? Obwohl Rüstungs­expor­te, Lager, Flucht und Krie­ge kei­nen Lock­down ken­nen, aber Hot­spots liefern?

Fünf­tens: Die Influ­en­za-B-Epi­de­mie hat­te im Win­ter 2017/​18 eine vom Robert-Koch-Insti­tut (RKI) geschätz­te Über­sterb­lich­keit von 25.100 Toten in Deutsch­land zur Fol­ge. Eine Rück­kehr des Virus war denk­bar. Trotz­dem – und auch trotz »Hong­konggrip­pe« und Ebo­la – mach­ten Jens Spahn und sei­ne rosa-grün-gelb-schwar­zen Vor­gän­ger aus neo­li­be­ra­lem Kosten­fa­na­tis­mus mit Pri­va­ti­sie­rung und Ver­knap­pung von Schutz­klei­dung, Inten­siv­per­so­nal, Gesund­heits­äm­tern, Hygie­ne und Pfle­ge wei­ter. Immer wei­ter: Trotz der 20.000 bis 30.000 Men­schen, die in Deutsch­land jähr­lich an mul­ti­re­si­sten­ten Kei­men ster­ben. Trotz der Pan­de­mie-Stu­die des RKI von 2012 »zum mutier­ten Sars-Virus«, trotz des Sze­na­ri­ums 1970 im DDR-Insti­tut Berlin-Schöneweide.

Am 22. April lob­te sich Bun­des­ver­kehrs­mi­ni­ster Andre­as Scheu­er im Bun­des­tag: »Heu­te rollt der erste Zug mit Schutz­ar­ti­keln von Chi­na nach Deutsch­land.« Zuvor – als die Mas­ken noch nicht da waren – hieß es offi­zi­ell, Mas­ken tau­gen nichts. Epi­de­mie­be­kämp­fung andern­orts wur­de aus­ge­blen­det. Statt­des­sen wur­den Luft­han­sa, TUI, Rhein­me­tall, BMW & Co gepam­pert, hin­ge­gen Arbeits­plät­ze und Solo­selb­stän­di­ge platt­ge­macht. Noch im Febru­ar hat­te Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Jens Spahn die Pan­de­mie »eine beson­ders mil­de Form der Grip­pe« genannt. Der Baye­ri­sche Rund­funk beschimpf­te zuerst alle als »Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker«, die das Virus dra­ma­ti­sier­ten. Weni­ge Wochen spä­ter nahm er die Denun­zia­ti­on aus der Media­thek, ent­schul­dig­te sich und bezich­tig­te fort­an »Ver­harm­lo­ser« der Ver­schwö­rungs­theo­rie. War Deutsch­land auf­ge­klärt oder im Ver­hält­nis zu sei­nem Reich­tum gut oder mise­ra­bel auf eine Pan­de­mie vor­be­rei­tet? Wur­de der Som­mer für Prä­ven­ti­on und Erkennt­nis­ge­winn genutzt?

Sech­stens: Der Frei­tag (43/​20) inter­view­te den anti­ka­pi­ta­li­sti­schen Bio­lo­gen Rob Wal­lace zu des­sen Buch »Was Covid-19 mit der öko­lo­gi­schen Kri­se, dem Raub­bau an der Natur und dem Agro­busi­ness zu tun hat« (Papy­Ros­sa). Dort ver­weist Wal­lace auf die Lebens­kür­ze von Tie­ren in Mas­sen­schlacht­an­la­gen, wodurch kei­ne Immun­bar­rie­re ent­steht. Und auf ande­re Pan­de­mien wie Ebo­la: »Das Virus selbst war unver­än­dert. Aber wie brach­te es das Virus, das sonst ein, zwei Dör­fer außer Gefecht setzt – was schlimm genug ist – dazu, 35.000 Men­schen zu infi­zie­ren und 11.000 zu töten. Gui­nea, Libe­ria und Sier­ra Leo­ne, wo Ebo­la wüte­te, gehö­ren zu den Län­dern, die Struk­tur­an­pas­sungs­pro­gram­men unter­wor­fen« und gezwun­gen waren, die »Aus­ga­ben für das Gesund­heits­sy­stem zu sen­ken und Öko­sy­ste­me für Kon­zer­ne zu öff­nen. Kom­ple­xe Wäl­der, in denen gefähr­li­che Patho­ge­ne ein­ge­schlos­sen waren, wur­den für Mono­kul­tu­ren platt­ge­macht, etwa Palmöl.«

Ist Wal­lace jetzt ein Ver­schwö­rer? Weil er jene Pro­fi­teu­re auf­zählt, die bereits Arbeits­lo­sig­keit, Finanz­kri­se, Hun­ger, Flucht und Kli­ma­wan­del mit­ver­ur­sacht hat­ten: »Nach dem Aus­bruch der Wirt­schafts­kri­se 2008 diver­si­fi­zier­ten Invest­ment­fir­men ihre Bestän­de. Gold­man Sachs ent­deck­te den Agrar­sek­tor und über­nahm 60 % der Antei­le an Shuang­hui-Deve­lo­p­ment, einem chi­ne­si­schen Agrar-Unter­neh­men. Das hat­te Smit­h­field Foods gekauft, den welt­größ­ten Schwei­ne­fleisch­pro­du­zen­ten aus den USA. Umge­kehrt kauf­te Gold­man Sachs Geflü­gel- und Schwei­ne­far­men in den Nach­bar­pro­vin­zen von Wuhan. Dort wer­den Wild­tie­re, die für die Stadt gefan­gen wer­den, gegen Fle­der­mäu­se gedrängt, die SARS-Stäm­me beher­ber­gen … Die glo­ba­len Kapi­tal­zy­klen spiel­ten eine grund­le­gen­de Rolle …«

Soll­ten wir Lin­ken jetzt nur Son­der­ab­ga­ben von Kri­sen­ge­winn­lern wie Ama­zon, Liferan­do, Zoom und ande­ren ein­for­dern? Oder auch radi­ka­le, nach­hal­ti­ge­re, anti­mo­no­po­li­sti­sche Alter­na­ti­ven, wie die Regio­na­li­sie­rung von Wirt­schafts­kreis­läu­fen? Sol­len Gewerk­schaf­ten zur Plei­te­wel­le der Klein­un­ter­neh­men wei­ter schwei­gen? Und umge­kehrt: Was sind die Fol­gen der staats­mo­no­po­li­sti­schen »Markt­be­rei­ni­gung« per Lock­down? Außer noch mehr Inve­sti­ti­ons­macht für trans­na­tio­nal agie­ren­de Kon­zer­ne? Zum Bei­spiel zur Ver­la­ge­rung von Arbeits­plät­zen in Bil­lig­lohn­stand­or­te? Und wie weni­ge Tarif­ver­ein­ba­run­gen über­le­ben das hierzulande?

Neue anti­im­pe­ria­li­sti­sche Soli­da­ri­tät ist notwen­dig – hier­zu­lan­de und trans­na­tio­nal. Laut Han­dels­blatt vom 17. Sep­tem­ber ster­ben in der »Drit­ten« Welt mehr Men­schen an lock­down­be­ding­tem Hun­ger und Krank­hei­ten als an Covid-19 in der »Ersten« Welt.

So, wie jeder Krieg mit Lüge beginnt, beginnt der »Shut­down« des Sozi­al­staats mit »Shut­up!« gegen Mei­nungs­frei­heit. Wer für Demo­kra­tie kämpft, tut dies also auch für Gesund­heit und Menschenleben.

Zum Coro­na-Song sie­he: https://www.youtube.com/watch?v=k4OFXkcn24Q, sowie Reden bei »Alarm­stu­fe Rot«: https://youtu.be/ldTzlCpzWJ0; zu Luft­fil­tern für Klas­sen­räu­me gibt es mehr unter https://www.facebook.com/DietherDehmMdB/photos/a.64558316850/10157310928771851; außer­dem »System im Stress­test« – Anhö­rung der Lin­ken in der Bun­des­tags­frak­ti­on unter: https://www.youtube.com/playlist?list=PLG4aoPhmPo8UxZP3iKgz8QXAAai02yxCp